Tatort Wissenschaft: Hausarzt oder Dr. House?

Konkurrenz bei Förderanträgen, gefälschte Messergebnisse im Labor, militante Gegner der Gentechnik — der jüngste Tatort (noch zu sehen in der ARD-Mediathek, wegen Jugendschutzes allerdings erst nach 20 Uhr) spielte diesmal im vermeintlichen Forscheralltag. Während wohl besser Genomforscher darüber urteilen sollten, in wie weit diese Darstellung im Detail authentisch war oder überhaupt sein konnte (siehe hierzu auch die extrem spannenden Anmerkungen von Martin Ballaschk, Doktorand am Leibniz-Institut für molekulare Pharmakologie), lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass der Tatort grundsätzlich ein im deutschen TV überraschend ausgewogenes Bild des Wissenschaftsbetriebs im Allgemeinen (Erfolgsdruck, Konkurrenzdenke, Förderabhängigkeiten) und der Gentechnik im Besonderen (etwa was den natürlichen Wechsel von Genen zwischen Organismen anbelangt) zeichnete. Natürlich alles fürs Fernsehen ordentlich nachgewürzt: Nachwuchswissenschaftler fahren Porsche, trinken Vodka mit Zitroneneis in ihrer Designer-Wohnung und stanzen im Labor Pflanzenproben zur Musik aus dem iPod. Und doch: Ein Tatort zur besten Sendezeit, in dem es wie selbstverständlich, ja fast schon wie nebensächlich um Berufungskommissionen und Ehrenautoren, Publikationslisten und Juniorprofessuren geht. Ich finde das richtig erfrischend — Wissenschaft als gesellschaftliche Normalität zur Primetime.

Vielleicht ist sogar die Frage „Zerrbild oder nicht?“ gänzlich zweitrangig. Wäre es nicht vorrangig, zunächst zu fragen, warum überhaupt so wenig Wissenschaft in den Vorabendserien und TV-Produktionen vorkommt oder anders herum: Welchen Einfluss haben die in Film und Fernsehen vermittelten Rollenbilder eines Wissenschaftlers bzw. einer Wissenschaftlerin allgemein auf das öffentliche Image unserer Community, ja, auf die Entstehung medialer Vorbilder? Wie wirkt sich CSI auf die Berufswahl junger Leute aus, und was heißt es, wenn dem amerikanischen Dr. House unser deutscher Hausarzt oder Bergdoktor gegenüber steht? Sind wir da mit unserem Berufsbild wirklich noch aktuell? Läge hier gar eine Lösung für den Fachkräftemangel in den MINT-Fächern, weil man über die etablierten Unterhaltungsformate auch jene jungen Leute erreichen könnte, die bisher kategorisch ausschließen, je Wissenschaftler(in), Ingenieur(in) o.ä. werden zu wollen? (mehr…)

Um solche Fragen ging es auch bei einer Befragung der TU Berlin unter 2.457 Jugendlichen, von denen 66% angaben, aus den Serien zumindest gelegentlich interessante Informationen über Berufe zu entnehmen. Bedenkt man diesen Einfluss, ist kaum zu verstehen, weshalb angesichts sinkender Erstsemesterzahlen in naturwissenschaftlichen Studiengängen gerade einmal zwei Prozent aller im Fernsehen gezeigten Berufe etwas mit den viel zitierten MINT-Fächern zu tun haben (verglichen mit mindestens sechs Prozent in der Realwirtschaft), so Projektleiterin Prof. Dr. Marion Esch. Sie versucht deshalb, zwischen Filmschaffenden und Forschung zu vermitteln, schlägt Drehorte, Storys und Experten vor, so auch bei besagtem Tatort am vergangenen Wochenende. Drehbuchautor Karl-Heinz Schäfer hatte ein Stipendium im Rahmen des Projekts bekommen und war von Fraunhofer-Forschern in seiner Vorbereitung unterstützt worden.

Dass man sich mit einem solchen Austausch auf einem schmalen Grat der womöglich unlauteren Einflussnahme auf die Medien bewegt, gab jüngst Gebhard Henke, Fernsehspielchef beim WDR, im Karriere-Teil der Süddetschen Zeitung zu bedenken. Auch er sehe in dem Projekt aber grundsätzlich ein sinnvolles Angebot. Es geht also letztlich darum, dass Forschung und Fernsehen gegenseitig voneinander zu lernen, ohne dass auf Seiten der Wissenschaft ein Erwartungsdruck aufgebaut wird.

Solche Diskussionen hat die National Academy of Sciences in den USA schon lange hinter sich: Der Science & Entertainment Exchange in Hollywood hat gerade den Abschluss seines 300. Projekts gefeiert, mit Filmprojekten wie Avatar, Green Lantern oder Terminator, und sogar die größte politische Bewegung, die es je in den Vereinigten Staaten gegeben hat, die Science Debate zur jüngsten Präsidentschaftswahl ging ursprünglich von der Filmindustrie aus, nicht von der WIssenschaft.

Belege für den oben beschriebenen Einfluss fiktionaler Formate auf die Berufswahl gibt es laut Prof. Esch en masse, etwa durch eine Untersuchung der Wirkung von LA Law auf das Interesse am Jura-Studium in den USA (Wasburn, M.: Creating Positive Media Images of Techy Women. 2004), durch eine Analyse der Beliebtheit der Kriminalwissenschaften bei britischen Student(inn)en in Korrelation zum Aufkommen von TV-Gerichtsdramen (Sector Skills Council: Forensic science — Implications for Higher Education. 2005) oder das zeitliche Zusammenfallen bestimmter Doku-Soaps auf die Studienbewerber in einschlägigen Fächern wie Tiermedizin oder Innenarchitektur in Belgien (Beullens, K. 2005). Bezogen auf die Sozialisation von Jugendlichen im internationalen Vergleich wies Frau Esch beim jüngsten Fachkongress in Berlin darauf hin, dass inzwischen indische Mädchen eine höhere Technikaffinität hätten als deutsche Jungs. Man möchte also meinen, dass zumindest etwas mehr „Normalität“ bzw. Nähe zur Realität nicht nur dem deutschen Fernsehen gut zu Gesicht stünde, sondern dass es sogar wahrscheinlich ist, dass mehr „coole Forscher“ im TV einen signifikanten Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels versprechen.

Innerhalb des erwähnten Projekts ist übrigens gerade ein zweiter Ideenwettbewerb gestartet. Und noch ein zweiter Hinweis: Auch SciLogs-Kollege Alf Köhn hat sich gerade zum jüngsten Wissenschafts-Tatort geäußert. ScienceBlogs-Kollege Cornelius Courts hat zum „CSI Effekt“ zudem einen Beitrag aus Sicht der Rechtsmedizin verfasst.

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