Kants kategorischer Imperativ für das 21. Jh: technologisch & SOZIAL nachhaltig

Das Buch und dessen Autor sind in vieler Munde. „Zukunft 2050“* von Ulrich Eberl, promovierter Physiker und Chefredakteur des renommierten Siemens-Magazins „Pictures of the Future“, hat seine jahrzehntelange Erfahrung in der Innovationskommunikation zu einem veritablen Zukunftsbuch verdichtet. Das Werk ist wie ein Baedeker zu allen wichtigen Forschungsstaetten, wo derzeit an den Technologien des 21. Jahrhunderts gebastelt wird.

Jeder, der in diesem hochkomplexen Metier journalistisch unterwegs ist, kann ermessen, wieviel Schweiß beim Verfassen geflossen sein muss. Alles ist auf Anhieb verstehbar und auf dem aktuellen Stand. Das Buch schlaegt einen weiten Bogen mit allen nur denkbaren technologischen Blitzlichtern. Dieses gewaltige Technik-Gewitter ist spannend bebildert, mit einem Hauch Sciencefiction. Die Grundierung ist ein markant grüner Pinselstrich: der Umbau der sich selbst fressenden Industriegesellschaft in eine global nachhaltige Welt, unter einem eindrucksvollen theoretischen Dach.

Es geht um nichts Geringers, als die Nachhaltigkeit in den Koepfen als „kategorischen Imperativ“ zu verankern, schreibt Eberl, in Anlehnung an Kant: „Handle stets so, dass auch die naechsten Generationen noch eine lebenswerte Welt vorfinden.“ Das müsse, so wie die Menschenrechte, zum universellen ethischen Leitmotiv werden.

Das ist eine einpraegsame Formel, in der Umsetzung allerdings herausfordernd, auch beim Schreiben. Von einem exponierten Siemensianer wird nicht die Verbreitung von Weltuntergangsstimmung erwartet, von der sowieso schon viel zu viel im Umlauf ist. An verschiedenen Stellen indes wünschte man sich hinter der positiven Deskription ein wenig mehr nachdenkliche Reflexion.

Wenn Kommunikationssysteme und Roboter nicht nur immer intelligenter werden, sondern auch fühlen lernen, wie steht es dann um die Ethik? Nach allen Definitionen ist die emotionale Intelligenz etwas Ursaechliches für hoeher entwickelte Lebewesen, weshalb der Tierfleischverzehr immer umstrittener wird. Wieviel Roboterintelligenz kommt auf uns zu, was ist davon verkraftbar, wann sind sittliche Grenzen überschritten, werden Maschinenwesen 2050 eventuell Menschenrechte in Anspruch nehmen?

Das haette diesem lesenswerten Zukunftsbuch noch mehr Würze gegeben, ebenso wie die Hinterfragung von Technologien, die wie die Gentechnik hoch umstritten sind. Was genau sind die Argumente der Kritiker, stecken dahinter eine romantisierende Naturliebe und die tief verankerte Angst vor Technik und Fortschritt, die „German Angst“, die auch für den Ausstieg aus der Atomkraft immer wieder namhaft gemacht worden ist? Koennten wir die Welternaehrung sichern auch ohne gentechnische Veraenderung von Nahrungsmitteln, die moeglicherweise nur den Gewinnen der Großkonzerne zugute kommen, in der Dritten Welt aber noch mehr Unheil anrichten?

Wennn schon das Mikrokreditsystem des Muhammad Yanus aus Bangladesch und dessen Siegesmarsch um die Welt gewürdigt wird (das übrigens zunehmend im Fadenkreuz der Kritik steht), wünschte man sich tiefer ansetzende Betrachtungen über die globale Wirtschaft und ihre Wechselbeziehung mit den im Buch beschriebenen Technologien.

Sind beide einer gemeinsamen Nachhaltigkeitsethik verbunden? Bei der Wirtschaft, der immer mehr Menschen misstrauen, waeren Zweifel angesagt. Wie also dürfen wir uns die Umsetzung dieser Zukunftstechnologien vorstellen?

Eberl hat sein Buch auf die Konjunkturzyklen von Nikolai Kondratieff ausgerichtet. Der Autor versucht, den technologischen Beweis zu führen, wie unser gegenwaertiges Informationszeitalter sich einer neuen Ganzheitlichkeit oeffnet. Deren Motoren sind die Umwelt und die Gesundheit.

Nur zu dieser
allseitigen „Inklusion“, um ein derzeitiges Modewort zu benutzen, gehoeren auch die Gesellschaft und ihre Bürger. Sie, die Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlich aufgestellte Forschungsorganisationen, wollen mitbestimmen über ihre Zukunft, sie nicht nur den Forschern, der Wirtschaft und Politik überlassen. Eine solche „inklusive und inkludierende“ Wissenschaftsdebatte, von der TELI 2009 und 2010/11 bereits formuliert, wird derzeit aufgegleist. Sie koennte dem Ganzheitlichkeits-Gebot frischen Schub geben.

*) Beltz & Gelberg

[ Artikel drucken ]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert