Kreativ sein heißt, ein Huhn mit den Händen zu fangen

Das Buch des Zeichners Christoph Niemann ist eine Offenbarung. Wie Kreativität nicht einfach entsteht, sich abrufen lässt, einem in den Schoß plumpst — sondern wie der Mensch darum ringt. Das trifft natürlich auch für Schreiber und Texter zu. Die sollten sich sein Tortendiagramm über ihren Schreibtisch pinnen oder gleich auf den Rechner kleben.

Niemanns Antwort auf die Frage, was man für eine richtig gute Idee braucht, lautet: 87 % sind Anstrengung, nur 0,5 % Begabung + Musenküsse, immerhin: 7,5 % Glück und 5 % Enthaltsamkeit, nämlich 90 Minuten am Stück die Finger vom Internet lassen! Das steht im Gegensatz zu vielen Kollegen, räumt der Zeichner ein, die Maerchen und dreiste Lügen verbreiten, wenn sie glaubten, ein Schläfchen oder ein Museumsbesuch brächten die kreativen Säfte zum Sprudeln, schreibt er in seinem Buch „Abstract City. Mein Leben unterm Strich“ (Knesebeck).

Dazu passt auch, dass Niemann es gar nicht mag, wenn Leute ihm sagen: „Du bist begabt“. Die Werke, die er hervorbringt, sind jahrelanger Übung geschuldet und einem stoischen Enthusiasmus, „der einem hilft den ständigen Frust zu ignorieren“. Ins Bild gerückt: Es ist nicht ein geheimnisvoller guter Geist, der seine Hand führt, sondern eine Art Teufelchen, das ihn anspornt, ins Ohr brüllt, mit der Geißel traktiert.

Dazu gehört auch eine gewisse Verliebtheit, nämlich in Bilder aus der Jugend, die einen tief beeindruckt haben. Faltergleich versucht man sich in die Lüfte zu schwingen, um sie nachzubilden, stürzt ab und macht, mit Bandagen umwickelt, immer wieder einen Startversuch. Zur Kreativität gehört also eine große Portion Sturheit, lernen wir.

„Meine ganze verdammte Karriere ist eine einzige fette Schreibblockade“, entfährt es Niemann, keine, die sich wie eine Mauer umgehen lässt, sondern eine, die das Durchklettern eines Stacheldrahtknäuels verlangt. Erst nach Erreichen von dessen Mitte geht einem der Seifensieder auf. Für welchen Schreiber ist das nicht Balsam, wenn er einen halben Tag über einen passenden Einstieg nachgedacht hat.

„Der Teufel hat weiße, rechteckige Augen“, sagte einst Sigi Sommer, Münchens legendärer Spaziergänger-Journalist, der täglich zu Fuß Streifzüge durch die Stadtviertel der Isarmetropole unternahm. Ihm war der anschließende, lange Blick auf das unbeschriebene Stück Papier in der Schreibmaschine offensichtlich nicht unbekannt.

Niemanns Schlusssatz, für viele in der Branche auch gut nachvollziehbar: Kreative Arbeit fühle sich so an, „als müsse man ein Huhn mit bloßen Händen fangen“.

[ Artikel drucken ]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert