Wer frei ist von jeder Schuld, der werfe …

Alles was sich zur Doktorarbeit von Annette Schavan sagen lässt, ist in den letzten Tagen und Wochen von Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten gesagt worden, vielfach wiedergekäut. Was noch fehlt: Glaubt denn irgend jemand, dass sich über „Person und Gewissen“ nach über drei Jahrtausenden intensiver Recherche der Klügsten aller Kulturen wirklich etwas forscherisch Neues herausfinden ließe?

Die Arbeit hat mit vielen anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen eines gemein: Hier wird lediglich eine Stoffsammlung vorgelegt, mühselig bei Vordenkern kopiert und krude umschrieben, aber der Mut zu einer kühnen These und deren Nachweis fehlt den meisten Arbeiten dieses Genres.

Insofern sind Forscher und Journalisten in bester gemeinsamer Gesellschaft. Auch den meisten journalistischen Arbeiten fehlt die originäre Tiefe. Oft sind sie ein Flickenteppich aus Recherchen, Zitaten, Bekanntem. Immer wenn man am Ende mehr weiß, was man eigentlich gelesen hat, ist dem Schreiber die intellektuelle Puste ausgegangen. Oder, noch häufiger, sie war von Anfang an gar nicht da.

Deshalb ist die Plagiatsdebatte heilsam und besonders auch für uns Wissenschaftsjournalisten ein Anlass zum Nachforschen: Wie schaffen wir es, der Forschung ihren oft nichtssagenden und nur bombastisch drapierten Schleier zu entreißen — mit der Öffentlichkeit _wirklich neue_ Erkenntnisse über unsere ebenso spannende wie immer noch so geheimnisvolle Welt zu teilen?

Wissenschaftsjournalisten und Wissenschaftler teilen hier den gleichen schweißtreibenden Weg. Zu Beginn steht immer der geistige Mut, eine steile und provozierende Arbeitshypothese zu formulieren, quer gegen den erkenntnistheoretischen Mainstream, pro und contra dafür zu sammeln, am Ende eine ehrliche Synthese daraus zu schmieden, die zumindest einen Teil der These verifiziert und somit ein Stück Neuland aus dem Ozean des Halbwissens auftauchen lässt. Das dramaturgisch spannend und angenehm lesbar zu gestalten, ist auch eine Dissertation, an dessen Ende ein Dr. (der) Aufklärung winkt.

Wer das leistet in unserer anspruchsvollen und umstrittenen Profession, der hat die moralische Qualifikation, gegen die vielen Seichtwasserkapitäne im Erkenntnisschöpfungsprozess Wellen aufzutürmen.

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