Doping gegen Angst

by Wolfgang Goede | 28. Januar 2013 16:55

Am Anfang war die Angst. Sie ist ein Überlebensprogramm aller höher entwickelten Wesen. Bis sich dieses verselbständigte. Heute leidet jeder Zehnte in den Industrieländern an Panikattacken, Phobien, angstvoller Unruhe. Hinzu kommt, oft als Mischform, Depressionen und Burnout.

Managerin in Ketten: Hetzen und ängstigen wir uns zu Tode? (c) Benjamin Thorn_pixelio.de

Die Medizin, Psychologie und Psychiatrie sind ziemlich ratlos. Es werden massenweise Beruhigungstabletten verschrieben, manchmal hilft eine Expositionstherapie. Grundsätzlich, darin sind sich viele Experten sowie Selbsthilfegruppen einig, hilft nur eine radikale Veränderung des Lebensstils.

Das hat der von sportlichem Ehrgeiz getriebene US-Golfer Charlie Beljan bisher noch nicht beherzigt. Bei einem Turnier in Florida griff er sich plötzlich an die Brust. Herzrasen, Atemnot, Schwindelgefühl. Er musste sich hinsetzen. Ein Krankenwagen holte ihn ab und brachte ihn ins Krankenhaus mit Verdacht auf Herzinfarkt. Organisch war der Mann völlig intakt. Panikattacke hieß die Diagnose.

Ein Prominenter, dem das vor laufender Kamera widerfuhr: ein Novum. Der Zwischenfall hat die Diskussion über unsere Psycho-Hygiene angeheizt. Dass das Internet alles immer schneller drehen lässt und die Arbeitswelt unter immer größeren Druck setzt ist seit Jahren bekannt. Wieviel mehr kann sich der Mensch aufhalsen, ohne wie der erst 28-Jährige zu kollabieren?

Eine bemerkenswerte Beobachtung dazu hat die britische Publizistin Ruth Whippman notiert. Sie lebt in den USA und argumentiert aus dem transatlantischen Vergleich heraus. Doch ihr Eindruck lässt sich fast eins zu eins auf Europa übertragen.

Basis zunehmender Ängste und psychischer Störungen ist ihres Erachtens die Suche nach Glück. Dieses ist für viele Menschen die Arbeit: „Intensive Arbeit, unter Druck, analysiert in Motivationsseminaren und Therapiesitzungen, mit Rückzugsnischen in der Meditation und den Leseangeboten auf Flughäfen“, schreibt sie. „Zur linken Hand Yoga, zur rechten Jesus, alles ohne Atem zu holen.“

Im Klartext: Wir arbeiten wie die Irrsinnigen in der Illusion, uns damit glücklicher zu machen – und ruinieren uns dabei. Haben Mediziner und Forscher, Therapeuten und Angstselbsthilfegruppen diesen Teufelskreis begriffen? Oder dopen sie ihre Patienten, Klienten oder „Konsumenten“ – wie die Journalistin und Psychiatrieerfahrene Bettina Jahnke diesen Kreis unlängst nannte – bloß für eine weitere Runde im Hamsterrad?

Übrigens: Charlie Beljan kehrte nach seinem Angst-K.O. auf den Platz zurück, schlug sich mit zitternden Händen durch, siegte und räumte fast eine Million Dollar an Preisgeldern ab. Narr oder Held?

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