Auf dem Weg zur Wissensdemokratie

Die deutsche Wissenschaftsdebatte der TELI ist auch in Holland angekommen

Keine Ahnung woher man im Nachbarland davon wusste, aber der niederländische Rat für Raumordnung, Umwelt- und Naturuntersuchung RMNO lud mich ein, auf seinem Kongress »Auf dem Weg zu Wissensdemokratie — Towards Science Democracy« am 26. und 27. August in Leiden über die Möglichkeiten von mehr Bürgerbeteiligung durch Wissenschaftsdebatten zu erzählen. Nicht nur das. Auch über das EUSJA-Seminar auf dem Weltkongress der Wissenschaftsjournalisten in London Anfang Juli wollten die Veranstalter mehr wissen.

Die Kurzfassung der beiden Vorträge »Public Science Debates« und »Promises, Promises, …« kann man auf der Webseite des Kongresses lesen.

LEHRSTUNDEN FÜR POLITIKER

Die holländische Regierung hat hier eine Konferenz von der Art organisiert, wie ich sie mir viel öfter, vor allem auch in Deutschland wünsche. Sie hatte offenbar vor allem den Zweck, dass Politiker und höhere Beamte etwas lernen. Die hielten, außer Begrüßungsreden, nämlich keine Vorträge. Sie saßen in den Seminaren, hörten zu, stellten allenfalls Verständnisfragen, und ließen ihre Protokollanten fleißig mitschreiben. Vorgetragen und diskutiert haben in den zahlreichen Einzelveranstaltungen vor allem Sozial- und Naturwissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Bürgerbewegungen.

Es ging in erster Linie um die Klärung, wie Bürger besser am gesellschaftlichen Wissen partizipieren und selbst das Wissen und den Wissensprozess in einer demokratischen Gesellschaft mitgestalten können. Auch darum, wie eine moderne Demokratie besser auf die Ideen, Wünsche und Visionen der Menschen eingehen kann, wie sie basisdemokratischer werden kann.

Das alles ist einfacher formuliert, als umsetzbar. Es fängt mit den völlig unterschiedlichen Vorstellungen von Demokratie an, die die verschiedenen Kulturen in den Niederlanden haben. Viele Einwanderer trauen sich beispielsweise nicht, ihre Ideen, Visionen oder auch Beschwerden etwa bei der Stadtteilgestaltung in öffentliche Anhörungen einzubringen.

Aber die moderne Demokratie in Holland spielt sich auch zunehmend in den sozialen Formen des Internet ab, wie einer der Redner mit eindrucksvollen Beispielen berichtete. Es wird nicht mehr auf der Straße demonstriert, es werden keine Flugblätter mehr verteilt, es wird direkt und sofort politisch gehandelt. So verlor beispielsweise eine holländische Großbank binnen weniger Wochen 75 000 Kunden, nachdem bekannt wurde, dass sie mit ethischen Zertifikaten handelte.

Dann ging es auch darum, wie das Wissen aus Forschung, Technik, aber auch das Erfahrungswissens der Bürger besser organisiert und zugänglich gemacht werden kann, um sinnvoll eingesetzt zu werden. Dazu gehört beispielsweise auch, wie das verteilte Wissen der nicht organisierten Web 2.0-Generation besser in demokratische Prozesse einfließen kann.

Nicht zuletzt ist Wissen und dessen Richtigkeit und Wahrheit auch relativ. Was für die einen Wissen ist, ist für andere Humbug. Was für die einen wichtig ist zu wissen, ist für andere nebensächlich, ja, sogar schädlich. Auch die Frage, wie Wissen denn eigentlich richtig angewendet werden kann, spielte eine Rolle. Technisches Wissen nützt beispielsweise nicht viel, wenn es in der Anwendung nicht funktioniert, wie es viele Menschen täglich bei abgestürzten Computerprogrammen oder mit nicht funktionierenden Verkehrsleitsystemen erfahren.

ZU VIEL THEORIE

Leider blieb der Kongress viel zu stark im Theoretischen hängen. Es waren wohl zu viele Wissenschaftler dabei. Auch das Seminar »Von der Reaktion zur Verantwortung — From Response to Responsibility«, in dem ich über öffentliche Wissenschaftsdebatten erzählte, war schlecht besucht. Denn auch die anderen Vortragenden gingen eher von der Praxis aus und stellten Beispiele vor, wie Wissen und Demokratie besser zusammen kommen können. Es waren der Vizebürgermeister von Den Haag, dazu ein früherer politischer Aktivist, heutiger Kommunikationsberater, und schließlich der Ankermann eines politischen Fernsehmagazins in Pakistan, der leider zu spät kam, weil ihm die Einwanderungsbehörde am Flughafen Schipol Probleme machte.

Offen blieb auch die Frage nach der sinnvollen Nutzung von Wissen. Denn Wissen allein führt eher zur Technokratie, anstatt die Demokratie weiter zu entwickeln. Es genügt nicht, wenn die Menschen über Wissen nur verfügen. Vielmehr müssen sie auch so gebildet sein, dass sie in der Lage sind, mit Widersprüchen zu leben oder damit, dass es für viele Probleme keine einfachen Lösungen gibt, vielleicht sogar überhaupt keine. Aber das Problem mangelnder Bildung, nicht zu verwechseln mit Ausbildung, wurde ausgespart.

Das habe ich auch in meinem Kongressblog »Wissen ohne Bildung ist wie Information ohne Wissen — Knowledge without literacy ist like Information without Knowledge« im Englisch-sprachigen Magazin »The Broker« als Kritik zum Ausdruck gebracht.

Aber bei der Offenheit für Lernprozesse, die die niederländische Regierung mit diesem Kongress gezeigt hat, denke ich, dass dieser Aspekt sicherlich beim nächsten Mal berücksichtigt wird.

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