Vorsicht, Sommerzeit: Unfälle, Depressionen! – Alzheimer?

by Wolfgang Goede | 30. März 2013 23:53

Alle Radionachrichten, vom Deutschlandfunk bis Antenne Bayern, sind sich am Ostersamstag einig: Die am Sonntag um zwei Uhr einsetzende Sommerzeit verursacht hohe Kosten bei geringem wirtschaftlichen Nutzen. Lohnt es sich wirklich, sie beizubehalten?

Bringt uns die Sommerzeit aus dem Takt? (c)Tony Hegewald_pixelio.de

Bringt uns die Sommerzeit aus dem Takt? (c)Tony Hegewald_pixelio.de

Die künstliche Verlängerung unserer Frühlings- und Sommertage durch Vorstellen der Uhr soll Energie einsparen, etwa Strom für Beleuchtung. Diese Maßnahme wurde in Deutschland 1980 eingeführt. Es schloss sich anderen europäischen Ländern an, die damit die Energiekrise der 1970er Jahre bekämpfen wollten.

Vielen unbekannt: Die Sommerzeit war erstmals 1916 während des ersten Weltkriegs im Kaiserreich dekretiert worden, um Kohle zu sparen. Von hier breitete sich sie sich bis 1918 über Europa bis Russland und in die USA aus. Wegen der damals bereits unbefriedigenden Ergebnisse wurde sie anschließend vielfach wieder abgeschafft.

Die Bilanz hat sich bis heute nicht geändert. Nirgendwo findet sich, siehe auch Tenor der Nachrichten, ein Hinweis, dass sich die Sommerzeit unterm Strich rechnet. Hinzu kommen die gesundheitlichen Beschwerden. Mediziner halten es für erwiesen, dass der Biorhythmus des Menschen durch die willkürliche Zeitmanipulation nachhaltige Störungen erfährt, wie bei einem kleinen Jet-Leg.

Das äußert sich www.medizininfo.de zufolge in Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Kreislaufbeschwerden, depressiven Schüben. Nach der Umstellung auf die Sommerzeit nehmen Unfälle im Verkehr (UK: 11 Prozent; Bayern: Anzahl der Kollisionen mit Wildtieren verdoppelt sich) und Haushalt zu–Vorsicht vor Fensterputzen und dem Besteigen der Leiter! Der tranceartige Zustand kann bis zu 14 Tage anhalten.

In den Comfort News schreibt der Mediziner Dr. Dieter Kunz, St.-Hedwig-Krankenhaus, Berlin über den Stand der wissenschaftlichen Forschungen bei Eingriffen in den Biorhythmus: „Bereits bei einer Zeitumstellung von nur einer Stunde von Winter- auf Sommerzeit klagen viele Menschen über Leistungs- und Befindlichkeitseinbußen. Als Langzeitfolgen bei z. B. Schichtarbeitern sind chronische Schlafstörungen sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität für jede kardiovaskuläre Erkrankung (z. B. Herzinfarkt) oder Tumorerkrankungen nachgewiesen.“ (http://www.healthcare.philips.com/pwc_hc/de_de/homehealth/resources/pdf/comfort_news_01_2011_04.pdf)

Das vertieft James Cornell, im US-Staat Arizona lebender Journalist und Präsident der International Science Writers Association (ISWA). Er moderierte unlängst bei der Tucson Buchmesse ein Experten-Podium über die Alzheimererkrankung. Danach haben Mediziner einen Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und abnehmenden kognitiven Fähigkeiten entdeckt. Für die gestörte Bettruhe, unter der immer mehr Menschen leiden, gibt es zwei Ursachen: die Lichtverschmutzung durch zunehmende künstliche Beleuchtung sowie die Sommerzeit. Das könnte auch zur Zunahme von Alzheimer beitragen, sagten einige Wissenschaftler, berichtet Cornell.

Andererseits wiederum sind Schlafstörungen oft keine richtigen, sondern nur vermeintliche. Viele Menschen wachen in der Nacht auf, stehen auf, erledigen eine Arbeit und legen sich dann wieder hin. Es gibt viele Hinweise darauf , dass der Mensch statt des Acht-Stunden-Gebots früher nur zweimal vier Stunden schlief (http://www.bbc.co.uk/news/magazine-16964783).

Über ganz andere Probleme mit der Sommerzeit berichtet Cornells Journalistenkollegin Viola Egikova aus Moskau. Die Vize-Präsidentin der europäischen Wissenschaftsjournalisten (EUSJA) ist viel auf Reisen und muss sich mit absurdesten Zeitsprüngen herumschlagen. Bei einem Besuch unlängst in Prag verkürzte sich ihr Tag um drei Stunden, bei einem in London wären es sogar vier. Der Grund: Russlands Präsident entschied vor zwei Jahren, die Sommerzeit zur Standardzeit zu erheben, was das Land gänzlich aus dem Zeittakt mit Europa kippen ließ. Lange wird es in den Wintermonaten in Moskau wie in Polarregionen erst gegen zehn Uhr hell, was Schulkinder großen Gefahren aussetzt.

Dieses durch die Sommerzeit ausgelöste Sicherheitsproblem bestätigt auch der US-Publizist Larry Krumenaker aus vielen Teilen der USA. Vielleicht auch wegen dieser bizarren Verschiebungen der Normalzeit entschied sich Cornells Heimat-Bundesstaat Arizona gegen die Sommerzeit und befindet sich immer in Winter-Standardzeit. Mit dem Ergebnis, dass Freunde von der Ostküste ihn mit Anrufen zwischen fünf und sechs in der Frühe aus den Federn schrecken.

Vielleicht würden wir heute alle gesünder und sicherer leben, wären die kaiserlichen Pickelhauben vor knapp 100 Jahren nicht auf die Idee gekommen, die Zeit für ihre Großmachträume zu missbrauchen.

Source URL: http://www.wissenschaftsdebatte.de/?p=3071