Bürgerwissenschaftler sind Partner der Forschung

imgresDer Wissenschaftstheoretiker Peter Finke, emeritierter Professor der Uni Bielefeld, rüttelt die Forschung und Bürgergesellschaft auf. In seinem neuen Buch „Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien“ bricht er Bürgerwissenschaftlern, den wissenschaftlich interessierten und privat forschenden Laien eine Speerspitze.

„Die Bürgerwissenschaft ist der stärkste und traditionsreichste Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements“, sagte er bei der Buchvorstellung im Münchner Zukunftssalon bei oekom e.V., Herausgeber der Publikation. Citizen Science, so auch im Deutschen der mittlerweile gängige Begriff, gehe bis auf Kant zurück, der verlangte: „Trau nur deinem eigenen Kopf!“, hob der Autor hervor.

Finke beruft sich auf die wissenschaftlichen Durchbrüche von etwa Charles Darwin und Gregor Mendel, die beide keine Profi-Forscher waren, sondern sich von bohrender Neugier zu ihren epochalen Erkenntnissen treiben ließen. Die Forschung sei heute so komplex und spezialisiert, dass viele Forschungsgebiete wie etwa die Naturkunde vernachlässigt werden. Neue Entdeckungen wie etwa seltene Fische seien den Beobachtungen und Studien von Laien zu verdanken.

Seine Einlassungen will der schon immer eher stachelige als stromlinienförmige Forscher als „Plädoyer für eine Abrüstung der professionellen Wissenschaft“ verstanden wissen. Deren „verengten und überhöhten Wissenschaftsbilder“ seien überholt. Eine neue strategische Partnerschaft von Profis und Laien sei erforderlich, entsprechend dem im Buch dargestellten Bergsteigerbild. Gemeinsam arbeiteten sich beide Gruppen zum Basislager hoch. Zum eigentlichen Gipfelsturm treten dann ein paar Hochqualifizierte an.

(c) Aquaref

(c) Aquaref|Finke

Außer auf Kant und den unlängst verstorbenen Physiker und Träger des alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr beruft sich Finke in seinen Studien und seiner Kernthese auf Paul Feyerabend. Der schrieb den Laien die Rolle zu, die Experten zu kontrollieren – „sonst werde es gefährlich“, unterstrich der Buchautor. „Ehrenamtlichkeit ist ein Garant für wissenschaftliche Unabhängigkeit“, fügte er hinzu.

Im regulären Forschungsbetrieb gehe es mehr denn je um Macht statt um Wahrheit. Elfenbeintürme und Wirtschaft sind insofern miteinander verfilzt, als „Forschungsprojekte nur dann mit Drittmitteln bedacht werden, wenn die Verwertung lukrativ erscheint“, bedauerte Finke, und: „Das Korsett und der Rahmen werden immer enger“, sagte der Wissenschaftstheoretiker, der auf eine 25-jährige Hochschulkarriere zurückblickt.

Auch die Politik mische sich immer mehr ein. Bei der Besetzung von Lehrstühlen gehe es schon lange nicht mehr darum, den besten Wissenschaftler für diesen wichtigen Posten zu finden, sondern dies sei heute stets eine politische Entscheidung, rügte er. Dass Deutschland den unteren sozialen Klassen immer noch gerechte Bildungschancen verweigert, gehöre auch zum wenig rühmlichen Kapitel deutscher Forschungs- und Bildungspolitik.

Mit dem ihm eigenen Enthusiasmus für das Thema verwies Finke darauf, dass Kinder mit ihrem Forschungsdrang natürliche Forscher seien und auch Laien instinktiv einem allgemein gültigen Wissenschaftskanon folgten: Wahrnehmung und Beschreibung, Ursachenforschung und Beantwortung sowie, wichtig, Kontrolle und Selbstkontrolle.

Die Betätigungsfelder für Bürgerforscher sind mannigfaltig. Sie reichen vom Naturschutz, über praktische Nachhaltigkeit (wie im Münchner Klimaherbst) bis zur Ethik, erklärte Finke. Ein einfaches Beispiel für Citizen Science: In Berlin haben die Bewohner einer Straße deren gesamte Historie erforscht und darüber ein spannendes Buch geschrieben. Die gesamte Selbsthilfebewegung, vom bayerischen Ministerpräsident Seehofer als mittlerweile „vierte Säule des Gesundheitswesens“ gelobt, ist möglicherweise der eindrucksvollste Beweis für erfolgreiche Bürgerwissenschaft, so wie auch auf der Selbsthilfetagung 2014 im Mai in München demonstriert (http://www.seko-bayern.de).

Peter Finke:
Citizen Science
Das unterschätzte Wissen der Laien
oekom Verlag, München 2014
240 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-866581-466-1

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5 Gedanken zu “Bürgerwissenschaftler sind Partner der Forschung

  1. Ich will hier auf meinen Artikel in der taz über den Citizen Science-Workshop vom 8.7.14 in Berlin hinweisen:

    http://www.taz.de/!142148/

    Was der Bericht nicht enthält, sind folgende (selbst)kritische Bemerkungen:
    1) Was ich nicht geschrieben habe: Die Schwäche der Zivilgesellschaft, mit diesem Ansatz Bürgerwissenschaft konstruktiv und alternativ umzugehen. Die Zivilgesellschaftliche Plattform „Forschungswende“ hätte das auf ihrer Abschlusstagung im Mai längst leisten müssen: Wie gesellschaftlich relevantes Wissen beschaffen ist und wie es jenseits der Profi-Wissenschaft produziert und verteilt werden kann. Peter Finkes Buch ist nur eine theoretische Vorarbeit. Es mangelt an konkreter Praxis zur Umsetzung. Ich habe das schon in meinem Artikel über deutsche Wissenschaftsläden festgestellt.

    2) Wissenschaft ohne Presse: Beim Citizen Science Workshop in Berlin fühle ich mich recht unwohl. Die Wissenschaftler dort diskutieren, wie sie die Bürger der Zivilgesellschaft erreichen, sprechen aber kaum noch von Presse und Journalismus. Diese zivilgesellschaftliche Basiskommunikation ist dieser jungen Forscher-Generation erkennbar fremd geworden. Sie leben ihr Zeitungs-freies Leben in der digitalen Moderne. Recherchierender Journalismus in gesellschaftlichem Auftrag hat für sie entsprechend auch keinen Wert. Wozu Wissenschaftsjournalismus, wir machen doch Wissenschaftskommunikation! Durch die Kalkscheune weht der Siggener Geruch. Wenn auf dieser Veranstaltung die Wissenschaft ihren Kontakt zur Gesellschaft suchen will, dann heißt meine Bilanz: Annäherung durch Entfremdung.

  2. Während die Elfenbeintürme der Hochschulen längst zu Ausbildungsbetrieben wurden und die forschenden Bereiche von den Rüstungsinteressierten per Drittmittelförderung übernommen werden, regt sich in der guten alten Bürgerwissenschaft wieder was.

    Galten vor ein paar Jahrzehnten die regionalen Imker, Apfelpfarrer, Wetterforschenden und Heimatkundler noch etwas mehr, bevor die Gläubigkeit an Experten das Renomme der Professoren und Lehrstühle anwuchs, können wir heute bei einer „Wiesenhof-Hochschule“ mit zuverlässigem Hähnchenwissen rechnen.

    Neben der von Peter Finke in der Vorstellung seines Buches „CITIZEN SCIENCE – Das Unterschätzte Wissen der Laien“ als „Lite“ bezeichneten Einbeziehung von Feldforschenden in wissenschaftliche Projekte (in der US-Anwendung vorherrschend) wäre es besonders in den Sozialwissenschaften angesagt, die Bürger selbst in die Lernsituationen ihrer Bewegungen einzubeziehen.

    So, wie sich in einigen Unternehmen die „lernende Organisation“ auf dem Hintergrund von Peter Senge und Paulo Freire entwickelt, könnte mit der Transition Town Bewegung eine Bürgerwissenschaft zukünftigen Zusammenlebens wachsen, zu der parteiliche Politik nicht in der Lage war.

    Transition Towns sind eine Bewegung des Bürger-Lernens und des gemeinschaftlichen Forschens, das sich nicht an den Wissenschaften misst, sondern an der Zukunftsfähigkeit, die uns diese derzeit wenig zu bieten scheinen:

    Ende Juni starten dazu drei Veranstaltungen: Eine in Regensburg an der Ostbayrischen Technischen Hochschule und eine Zukunftswerkstatt am 29.6. ab 11h im Ökologischen Bildungszentrum http://www.oebz.de (Selbstversorgung, offenes Gartentürl)

    und 30.6. ab 18h Bericht für das Netzwerk Gemeinsinn mit einer kleinen Einführung in die erste Interview-Methode

    Für München und Regensburg erproben wir in Hochschulen ein „Community entwickeln“, das an bekannte Ansätze des Community Organizing ansetzt und vereinfachte Formen für Gruppen und Nachbarschaften zur Verfügung stellt. http://www.fritz-letsch.jimdo.com

  3. Bürgerwissenschaftler sollten Partner der Forscher sein, aber nicht unbedingt »der Forschung«. Denn wer bestimmt denn, was »Forschung« ist? Goede selbst zitiert hierzu Finke:

    »Forschungsprojekte nur dann mit Drittmitteln bedacht werden, wenn die Verwertung lukrativ erscheint.«

    Die Wissenschaftler und Forscher sind, wie allein die Beispiele Finke und Dürr zeigen, meistens doch ganz anderer Meinung, vor allem die jüngeren. In die Geschichte zu greifen und dann »Citizen Science« zu propagieren, greift aber viel zu kurz. Auch bei dem professoralen Autor eines Buches mit einem zunächst sympathisch klingenden Titel sollte man journalistische Sorgfalt walten lassen.

    Natürlich war Charles Darwin ein Profi-Forscher: Er stammte aus reichem Hause und war sein Leben lang finanziell unabhängig, konnte also tun und machen was er wollte. Er erhielt Privatunterricht und studierte ohne finanziellen Druck so vor sich hin. Zunächst Medizin, Meereszoologie, lernte das genaue wissenschaftliche Beobachten und das Präparieren von Vögeln. Aus Langeweile studierte er dann Theologie, um sich nach dem ersten Abschluss der Biologie (Botanik und Insektenkunde) und der Geologie zuzuwenden. Mit 22 Jahren hatte er bereits einen derart guten Ruf als Wissenschaftler, dass er für die Reise der MS Beagle 1831 als naturwissenschaftlich gebildeter Begleiter ausgewählt wurde.

    Gregor Mendel hatte zwar keinen finanziellen Rückhalt, musste sich als Mönch und Priester aber ebenfalls nicht um sein Auskommen Sorgen machen. Insofern konnte er genauso wie Darwin weitgehend tun und lassen, was er wollte.

    Bei ihm zeigte sich aber auch der große Nachteil von Bürgerwissenschaft, wenn eine grundlegende Ausbildung fehlt: Seine Statistiken waren weitgehend manipuliert, um sie seinen theoretischen Ideen anzupassen, sei es bewusst oder unbewusst. Es war einfach nur Glück, dass seine »Versuche« die Biologen später auf die richtige Fährte zur Vererbungslehre setzten.

    »…, dass viele Forschungsgebiete wie etwa die Naturkunde vernachlässigt werden.«

    Das ist angesichts der Suche nach neuen Naturstoffen und nach Wirkstoffen für Medikamente nicht richtig. Taxonomen gehören zu der Berufsgruppe der Biologen, die händeringend gesucht werden.

    »Neue Entdeckungen wie etwa seltene Fische seien den Beobachtungen und Studien von Laien zu verdanken.«

    Wie das? Um neue Fischarten zu entdecken braucht man Forschungsschiffe, und die sind teuer. An dem Projekt »Zensus des marinen Lebens« (2000 bis 2010) konnten schwerlich Laienwissenschaftler teilnehmen. Denn dazu wurden 540 Ozean-Expeditionen durchgeführt. Das ganze kostete 650 Millionen USD. Unter anderem wurden dabei mehr als 6000 neue Arten entdeckt. Sowas kann man nicht ehrenamtlich tun. Zu Zeiten von Darwin und Mendel war das noch ganz anders. Da gab es in der makroskopischen Welt noch außerordentlich viel zu entdecken.

    Zweifellos gibt es seltene Ausnahmen, wie den finnischen Kapitän zur See und Amateurbotaniker Markku Häkkinen, der während eines Landausflugs 2012 in Vietnam eine neue Bananenart entdeckte. So ein Amateurglück ist aber derart selten, dass es allen Nachrichtenkanälen weltweit eine Sensationsmeldung wert war.

    Dennoch: Wenn Finke meint, dass

    »Ehrenamtlichkeit […] ein Garant für wissenschaftliche Unabhängigkeit«

    sei, so ist das nur zu unterstreichen. Das ist ja auch ein Ziel der Wissenschaftsdebatten.

    Wenn Finke aber meint, dass es bei der Besetzung von Lehrstühlen schon lange nicht mehr darum gehe, den besten Wissenschaftler für diesen wichtigen Posten zu finden, sondern dies heute stets eine politische Entscheidung sei, so weist er damit aber immerhin auf einen kleinen historischen Fortschritt.

    Denn bevor sich die Politik in die Besetzung von Lehrstühlen einmischte, waren es die Professoren, die für eine Neubesetzung gerne solche Kollegen aussuchten, die akademisch ein wenig schlechter da standen als sie selbst, um nicht ihr eigenes wissenschaftliches Ansehen zu verlieren.

    Nachdem sich die Politik seit zwanzig oder dreißig Jahren einmischt, ist das wissenschaftliche Niveau ja durchaus gestiegen. Die derzeit laufenden Reformen in der Universitätslandschaft sind aber wieder rückwärtsgewandt, wenn den Universitäten ihre politische Unabhängigkeit zurück gegeben werden soll. Das Problem ist, wie dann wieder der Qualitätsverlust verhindert werden kann. Genau hier könnte eine gesellschaftliche Kontrolle jetzt durchaus eine Rolle spielen.

    Bürgerwissenschaft versus Wissenschaftsdebatte

    An dem Konzept der »Bürgerwissenschaft« stört mich vor allem, dass es potenziell zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft und zur Stärkung einer gebildeten Elite führen kann, die sich möglicherweise auch politisch-herrschaftlich auswirkt.

    Eigentlich sind wir doch ganz froh, dass die bürgerliche Wissenschaft vorbei ist, wie sie bis vor 150 Jahren entweder von wohlhabenden Bürgern oder Mönchen als Freizeitbeschäftigung betrieben wurde – oder von Königen und Fürsten aus Prestige- und Herrschaftsgründen.

    So wichtig die Beteiligung von Laien an der Naturbeobachtung war und immer noch ist, so sehr stieß sie bereits im Zuge der Atomforschung an ihre Grenzen. Das tut sie noch viel mehr, wenn es um die moderne Physik (Teilchen-, Molekül-, Astrophysik), um die Genforschung und heute um die Nanotechnologien geht.

    Anders als die Bürger- oder Laienwissenschaft will die Wissenschaftsdebatte dagegen alle Menschen einbeziehen. Sie will sie in die Lage versetzen, Urteile auch über Erkenntnisse zu fällen, die schwer verständlich und vermittelbar sind, aber die Entwicklung der Gesellschaft vorantreiben. Doch diese Wissenschaftsresultate sind wegen ihrer Komplexität auch besonders gut geeignet, sich als Herrschaftswissen zu verstecken.

    Dies will die Wissenschaftsdebatte im Sinne von Paul Feyerabend durchbrechen, wobei schon klar ist, dass das ein langer Weg ist, der zu Beginn durchaus auch nur von einer Elite gegangen wird. Das sollen aber die Veranstaltungen »Wissenschaftsdebatte live« zu ändern versuchen.

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