Bürgerwissenschaftler sind Partner der Forschung

by Wolfgang Goede | 9. Juni 2014 12:22

imgresDer Wissenschaftstheoretiker Peter Finke, emeritierter Professor der Uni Bielefeld, rüttelt die Forschung und Bürgergesellschaft auf. In seinem neuen Buch „Citizen Science. Das unterschätzte Wissen der Laien“ bricht er Bürgerwissenschaftlern, den wissenschaftlich interessierten und privat forschenden Laien eine Speerspitze.

„Die Bürgerwissenschaft ist der stärkste und traditionsreichste Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements“, sagte er bei der Buchvorstellung im Münchner Zukunftssalon bei oekom e.V., Herausgeber der Publikation. Citizen Science, so auch im Deutschen der mittlerweile gängige Begriff, gehe bis auf Kant zurück, der verlangte: „Trau nur deinem eigenen Kopf!“, hob der Autor hervor.

Finke beruft sich auf die wissenschaftlichen Durchbrüche von etwa Charles Darwin und Gregor Mendel, die beide keine Profi-Forscher waren, sondern sich von bohrender Neugier zu ihren epochalen Erkenntnissen treiben ließen. Die Forschung sei heute so komplex und spezialisiert, dass viele Forschungsgebiete wie etwa die Naturkunde vernachlässigt werden. Neue Entdeckungen wie etwa seltene Fische seien den Beobachtungen und Studien von Laien zu verdanken.

Seine Einlassungen will der schon immer eher stachelige als stromlinienförmige Forscher als „Plädoyer für eine Abrüstung der professionellen Wissenschaft“ verstanden wissen. Deren „verengten und überhöhten Wissenschaftsbilder“ seien überholt. Eine neue strategische Partnerschaft von Profis und Laien sei erforderlich, entsprechend dem im Buch dargestellten Bergsteigerbild. Gemeinsam arbeiteten sich beide Gruppen zum Basislager hoch. Zum eigentlichen Gipfelsturm treten dann ein paar Hochqualifizierte an.

(c) Aquaref

(c) Aquaref|Finke

Außer auf Kant und den unlängst verstorbenen Physiker und Träger des alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr beruft sich Finke in seinen Studien und seiner Kernthese auf Paul Feyerabend. Der schrieb den Laien die Rolle zu, die Experten zu kontrollieren – „sonst werde es gefährlich“, unterstrich der Buchautor. „Ehrenamtlichkeit ist ein Garant für wissenschaftliche Unabhängigkeit“, fügte er hinzu.

Im regulären Forschungsbetrieb gehe es mehr denn je um Macht statt um Wahrheit. Elfenbeintürme und Wirtschaft sind insofern miteinander verfilzt, als „Forschungsprojekte nur dann mit Drittmitteln bedacht werden, wenn die Verwertung lukrativ erscheint“, bedauerte Finke, und: „Das Korsett und der Rahmen werden immer enger“, sagte der Wissenschaftstheoretiker, der auf eine 25-jährige Hochschulkarriere zurückblickt.

Auch die Politik mische sich immer mehr ein. Bei der Besetzung von Lehrstühlen gehe es schon lange nicht mehr darum, den besten Wissenschaftler für diesen wichtigen Posten zu finden, sondern dies sei heute stets eine politische Entscheidung, rügte er. Dass Deutschland den unteren sozialen Klassen immer noch gerechte Bildungschancen verweigert, gehöre auch zum wenig rühmlichen Kapitel deutscher Forschungs- und Bildungspolitik.

Mit dem ihm eigenen Enthusiasmus für das Thema verwies Finke darauf, dass Kinder mit ihrem Forschungsdrang natürliche Forscher seien und auch Laien instinktiv einem allgemein gültigen Wissenschaftskanon folgten: Wahrnehmung und Beschreibung, Ursachenforschung und Beantwortung sowie, wichtig, Kontrolle und Selbstkontrolle.

Die Betätigungsfelder für Bürgerforscher sind mannigfaltig. Sie reichen vom Naturschutz, über praktische Nachhaltigkeit (wie im Münchner Klimaherbst) bis zur Ethik, erklärte Finke. Ein einfaches Beispiel für Citizen Science: In Berlin haben die Bewohner einer Straße deren gesamte Historie erforscht und darüber ein spannendes Buch geschrieben. Die gesamte Selbsthilfebewegung, vom bayerischen Ministerpräsident Seehofer als mittlerweile „vierte Säule des Gesundheitswesens“ gelobt, ist möglicherweise der eindrucksvollste Beweis für erfolgreiche Bürgerwissenschaft, so wie auch auf der Selbsthilfetagung 2014 im Mai in München demonstriert (http://www.seko-bayern.de).

Peter Finke:
Citizen Science
Das unterschätzte Wissen der Laien
oekom Verlag, München 2014
240 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-866581-466-1

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