Dr. Ehrenamt

by Wolfgang Goede | 16. Mai 2015 18:42

BürgerplattformDer Bürger als Wissenschaftler, eine Quadratur des Kreises? Nein, immer mehr streben ins forscherische Ehrenamt und erbringen dort wertvolle Beiträge für die Wissenschaft.

Wissenschaft im Dialog WiD und das Museum für Naturkunde haben eine neue Partizipationsbühne. „Bürger schaffen Wissen“, kurz GEWISS will den Bürger als Wissenschaftler in den Forschungsprozess einbeziehen. Das eröffnet zum einen neue Quellen für die Wissenschaft, birgt zum anderen noch manche ungelöste Frage. Das berichtete die für diese Plattform zuständige WiD-Mitarbeiterin Wiebke Volkmann bei einer Veranstaltungsreihe im Deutschen Museum in München mit dem Titel: „Werden die Bürger vom Zuschauer zum Akteur?“csm_14_Team_WV_Grueber_1000_be1f4be8c4

Während eine allgemein akzeptierte Definition für Citizen Science noch fehlt, drängen immer mehr Laien als Beitrag ihres bürgerschaftlichen Engagements in die Forschung, hat Frau Volkmann beobachtet. Innerhalb einiger Monate registrierte allein ihr Portal fast 50 Projekte, von Igelstandortstudien, über das Ermitteln unterschiedlicher Fahrverhalten im Straßenverkehr, bis zum Vergleichen von Bildern aus unterschiedlichen Zeiten, um die Veränderungen von Landschaften visuell zu dokumentieren. Projekt des Monats ist eine Studie über Baumblüten über den Zeitraum von zehn Jahren. Es will dem Klimawandel auf die Spur kommen.

„Diese große Bandbreite der Projekte erschwert die Arbeit“, sagt die Plattformmanagerin, gleichwohl Projekte aus den Geisteswissenschaften unterrepräsentiert seien und deshalb gesucht würden. Einigen Veröffentlichungsbegehren muss sie allerdings sofort einen Riegel vorschieben, so allem, was nach Pseudowissenschaften riecht. „Jemand der auf der Suche nach der Weltformel ist, hat keine Chance“, erzählt sie, ebensowenig wie ein Antragsteller, der mit einer Standpendeluhr zur Vorhersage von Erdbeben auf das GEWISS-Portal wollte. „Die wissenschaftliche Fragestellung muss immer klar sein“, fordert sie von ihren Zuträgern.

Zur Qualitätssicherung soll auch eine Kategorisierung beitragen. Citizen Science unterscheidet zwischen vier Stufen der Beteiligung am Forschungsbetrieb. Eine „Kooperation“ findet statt, wenn jemand seinen Rechner zum Auswerten von Daten zur Verfügung stellt. Die „Kollaboration“ setzt aktives Sammeln von Daten voraus, etwa Mücken fangen oder Sterne vermessen. Bei der „Ko-Produktion“ wird der Laienforscher direkt in ein Projekt einbezogen. Das „Ko-Design“ ist die höchste Stufe und verbindet persönliches, gesellschaftliches und wissenschaftliches Interesse. Der Hobbywissenschaftler entwickelt mit professionellen Forschern ein gemeinsames Projekt.

Bei aller Systematisierung bleiben Unschärfen. Ist ein Patient, der ein Medikament testet oder Jemand, der an einem psychologischen Test teilnimmt, bereits ein Akteur der Citizen Science? Auf der anderen Seite kennt sich ein Bauer mit der heimischen Fauna und Flora oft viel besser aus als ein Biologe. Rückt ihn das bereits in die Nähe von Wissenschaft?, fragt Wiebke Volkmann.

Was ist ein Laie, was ein Experte, wo verlaufen die Grenzen? Was vor 20, 30 Jahren noch klar definiert war, stimmt heute nicht mehr, nachdem sich Expertenwissen oft als irrführend oder falsch herausgestellt hat, auf der anderen Seite sogenannte Betroffenheitsexperten (etwa in der gesundheitlichen Selbsthilfe) oder Erfahrungsexperten, wie etwa der Bauer, kurz Praxisexperten über oft verlässlichere Daten verfügen als die Fachexperten.

Diese Fragen bestimmten auch einen Teil der Diskussion mit den Teilnehmern der Veranstaltung, Studierende und Praktiker der Wissenschaftskommunikation an der TU München, veranstaltet von Dr. Marc-Denis Weitze, zusammen mit dem Generaldirektor des Deutschen Museums, Professor Dr. Wolfgang M. Heckl. Bei der Beantwortung stellte Wiebke Volkmann die positiven Seiten heraus. Nicht-Wissenschaftler stellten oft Fragen und eröffneten Perspektiven, an die die Fachexperten nicht dächten. Hier sehe sie ein großes Potenzial für Citizen Science.

Wissenschaft im Dialog, das seit 15 Jahren den Dialog und die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit in technologisch-wissenschaftlichen Fragen fördert und gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die alljährlichen Wissenschaftsjahre ausrichtet, verfolgt mit Citizen Science ambitionierte Ziele. Das GEWISS-Projekt zielt darauf ab, bis 2020 Ko-Design und Ko-Produktion zum integralen Bestandteil von Wissenschaft und Gesellschaft zu machen. Die Bürger sollten sich nicht nur für die Forschung begeistern, sondern sie auch kritisch begleiten, den Ausstoß von technischen und sozialen Innovationen erhöhen helfen und gleichzeitig für mehr Nachhaltigkeit sorgen, sagte die Referentin. Viel Erfolg!

Anhänge: GEWISS Citizen Science Präsentation & TUM Veranstaltungskalender „Bürger vom Zuschauer zum Akteur“ (siehe unten)

Links
http://buergerschaffenwissen.de
http://www.wissenschaft-im-dialog.de/

www.wisskom.edu.tum.de/
http://www.cvl-a.mcts.tum.de/index.php?id=361

Literatur zum Thema
Peter Finke: Citizen Science, Das unterschätzte Wissen der Laien, oekom 2014
http://www.oekom.de/buecher/vorschau/buch/citizen-science.html
Steffi Ober: Partizipation in der Wissenschaft, oekom 2014
http://www.oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/partizipation-in-der-wissenschaft.html

(c) Bildmaterial GEWISS, WiD

TUM Veranstaltungskalender Bürger Akteur

CitizenScience_oS (1)

Source URL: http://www.wissenschaftsdebatte.de/?p=5184