Google Brain—ein Homunkulus?


7434Überraschung: Der umstrittene Datengigant Google stellt sich neu auf. In der Dachorganisation mit Namen Alphabet sollen die Geschäftsbereiche transparenter werden und mehr Profil gewinnen. Eine Reaktion auf die anhaltende Kritik am Geschäftsgebaren? Oder geht der Konzern in die Pole Position, für das visionärste und umstrittenste Forschungsprojekt aller Zeiten: ein künstliches Gehirn?

Er war der Debattenführer schlechthin. Der vor einem Jahr verstorbene FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher warnte in einer legendären Serie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor dem digitalen Totalitarismus. Unlängst sind die Gedanken renommierter Zeitgenossen dazu in einem Buch erschienen*.

Einer der lesenswertesten Beiträge ist der des Handelsblattherausgebers Gabor Steingart. Er ruft der Öffentlichkeit eine markante Zahl in Erinnerung. Das Datensammeln ermöglicht Google so glänzende Geschäfte, dass die Firma sich einen Forschungsetat von acht Milliarden US Dollar leisten kann. Das reicht in der Dimension fast heran an den Forschungsetat der Bundesregierung (2013: 11,9 Mrd. Euro)!

Das macht das Silicon Valley Unternehmen zur führenden Technologieschmiede. Damit wird nicht nur die Entwicklung von selbstfahrenden Autos und treffsicheren Drohnen finanziert, sondern auch Google Brain, in Steingarts Worten: „Wenn es derzeit eine Firma gibt, die sich mit Aussicht auf Erfolg in diese Gotteszone begeben kann, dann ist es Google“, urteilt der Wirtschaftsfachmann.

Die unkontrollierte und anmaßende Gottgleichheit des Giganten greift auch Schirrmacher in seinem Beitrag auf. Er zählt die sprunghaft zunehmenden und in alle Alltagsbereiche vordringenden digitalen Sensoren und Assistenten auf und kommt zum Schluss, dass „ein Homunkulus entstanden ist, der alle elementaren Bestandteile menschlichen Handelns, vom Sinnesapparat bis zur Sprache“ beherrsche.

Dieser Interpretation schließt sich auch die Harvard Business Administration Professorin Shoshana Zuboff an. Sie zitiert den MIT Media Lab Forscher Pentland, einen Google-Zuarbeiter, der von dem Projekt sprach, „einen weltumspannenden lebenden Organismus“ zu schaffen.

Zuboff bewertet das pointiert so: „Es geht nicht nur darum, wie Gott alles zu sehen; es geht um eine gottgleiche Macht, die Realität zu gestalten und zu kontrollieren.“

Um den digitalen Totalitarismus an die Leine zu legen, fordern Autoren wie die Publizistin und Internet-Kritikerin Juli Zeh einen „digitalen Code civil“, der Bundesinnenminster a.D. Gerhart Baum einen „neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Menschen und Maschine“; Markus Engels, Berater von Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments regt „Prozesse der kollektiven Aneignung und sozialen Interaktion“ an, „damit aus technischem Fortschritt gesellschaftlicher Fortschritt“ werde.**

Mit anderen Worten, mit Schulz sowie auch Springervorstandsvorsitzender Mathias Döpfner verlangt Engels eine politische Debatte über Technologie. Wer oder was könnte diesen besser erbringen als die TELI Wissenschaftsdebatte?

Quellen & Links
*) Technologischer Totalitarismus: Eine Debatte. Herausgegeben von Frank Schirrmacher. Edition Suhrkamp, Berlin 2015 http://www.suhrkamp.de/buecher/technologischer_totalitarismus-_7434.html
**) Eine ausführlicherere Vorstellung von „Technologischer Totalitarismus“ beim Netzwerk Gemeinsinn http://www.netzwerk-gemeinsinn.net/content/view/718/218/

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