Ein Recht auf genetische Unversehrtheit?

Die zweite Sendung von Radio Lora Wissenschaft KONTOVERS befasste sich mit der Genchirurgie: „Machen wir uns die Welt, wie sie uns gefällt?“ Mit sogenannten Gen-Scheren lässt sich das Erbgut von Pflanzen, Tieren, vielleicht auch Menschen manipulieren. Sie fügen der DNA Bausteine hinzu oder entfernen solche. Das erfolgt durch minimale, nicht nachweisbare Eingriffe. Zu Möglichkeiten und Risiken nahmen Stellung: Prof. Dr. Wolfgang Wurst (via Einspielungen), Direktor des Instituts für Entwicklungsgenetik am Münchner Helmholtz-Zentrum; und als Live Studiogast Dr. Christoph Then, Tierarzt und Geschäftsführer des Instituts für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie Testbiotech, München.

Dr. Christoph Then (li.) und Günter Löffelmann im Lora Studio (c) Goede

Dr. Christoph Then (li.) und Günter Löffelmann im Lora Studio (c) Goede

Wurst erklärte zunächst die Methode. Er stellte sie als universell bei Tieren und Pflanzen vor, als „unkompliziertes und günstiges Werkzeug“. Es sei imstande, eine Vielzahl von Veränderungen im Erbgut herbeizuführen.

Then fand dieses Bild zu einfach. Die Abläufe in den DNA-Ketten seien grundsätzlich „sehr komplex und unterliegen vielen Wechselwirkungen“. Das System reagiere auf Manipulationen mit vielen Fehlern. Insofern sei der Begriff „Genchirurgie“ zu glatt und wecke falsche Erwartungen.

GENCHIRURGIE GEGEN ERBLEIDEN

Wurst kann sich einen Einsatz der Methode bei Menschen vorstellen, die etwa unter seltenen Erbkrankheiten wie Muskelschwund leiden. Bei Mäusen, betonte er, „lässt sich das defekte Gen bereits reparieren“.

Für Then ist das alter Wein in neuen Schläuchen. Die neue Methode, Fachbegriff CHRISPR/Cas-9, sei prinzipiell weiterhin die bekannte Gentechnik, „monokausal und reduktionistisch“. Die bei Mäusen erzielten Ergebnisse ließen sich nicht ohne Weiteres auf Menschen übertragen. In den USA gehe diese Forschung mit viel kommerziellen Rummel einher. Wer gentechnisch veränderte Mäuse kaufe, kriege als Werbemaßnahme obendrein ein ipad.

GEN-CHAMPIGNONS BETRÜGEN VERBRAUCHER

Moderator Günter Löffelmann fragte nach den Gefahren. Then fehlt eine saubere Risikobewertung. Gerade wenn die Eingriffe nicht sichtbar seien, müssten sie um so sorgfältiger dokumentiert werden. „Diese müssen offengelegt und von Behörden überwacht werden“, forderte er.

Eine weitere Frage galt dem Schutz gegenüber genchirurgisch manipulierten Produkten aus Übersee. So sollen in den USA etwa Champignons in den Handel kommen, die keine braunen Druckstellen mehr aufweisen. Das nannte Then „Verbraucherbetrug“, da man die Frische der Ware nicht mehr beurteilen könne.

KOMMT JETZT DIE GEN-MÜCKE?

Trotz Importen von Soja und anderen genveränderten Nutzpflanzen habe sich Europa dagegen gut behauptet, lobte Then. Dank erfolgreicher Politik sei seine Landwirtschaft weitgehend frei von Gentechnik geblieben.

Genetisch veränderte Mücken als Mittel gegen Infektionskrankheiten wie Malaria und Zika bärgen allerdings erhebliche Gefahren. Daraus erwüchsen in Thens Sicht neue Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft sowie besonders auch für die EU.

BIO-VIELFALT SCHLÄGT GEN-TECHNIK

Könnte Deutschland einen wichtigen Zukunftsmarkt durch das Nichtbedienen der Gentechnik verlieren? Das wollte Then so nicht stehen lassen. „Bereits vor 30 Jahren wurde so argumentiert“, erinnerte er sich.

Die Alternative zu Gentechnik, ganz egal in welcher Form, sei die Nutzung der natürlichen biologischen Vielfalt. Die große Anpassungsfähigkeit des natürlichen Erbguts sei genetischen Manipulationen gegenüber überlegen.

Neue Saatgutmonopole, wie sie etwa aus der Fusion von Monsanto und Bayer hervorgingen, bedrohten die Existenz mittelständischer Pflanzenzüchter. „Hier muss die Politik eingreifen“, verlangte Then.

KEINE MANIPULATION VON EMBRYOS!

In seinem Schlussplädoyer wünschte sich Wurst „breite Unterstützung für somatische Gentherapie“, also die Bekämpfung genetischer Erkrankungen mit Hilfe der Genchirurgie. Eine sogenannte Keimbahntherapie, also die genetische Veränderung von Embryos, lehnte er entschieden ab.

So auch Then. Obwohl sich diese Ablehnung international schwer durchsetzen lasse, gab er zu bedenken, nachdem Länder wie China mit CRISPR/Cas-9 bereits an ungeborenem Leben experimentierten. Sein Schlusswort: Welche Rechte haben Pflanzen und Tiere auf genetische Integrität? Zukunftsfantasien gehörten in den Griff genommen, damit sie und damit wir nicht entgleisten.

Moderatoren der Debatte: Günter Löffelmann und Wolfgang Goede.

Eine Datei zum Nachhören der Sendung findet sich auf dem Blog des Mitmoderators und Medizinjournalisten Günter Löffelmann

http://www.form-und-fuellung.de/genchirurgie-machen-wir-uns-die-welt-wie-sie-uns-gefaellt/

LINKS

Prof. Dr. Wolfgang Wurst https://www.helmholtz-muenchen.de/idg
Dr. Christoph Then https://www.testbiotech.org/node/1230

Programm Radio Lora München 92.4
http://lora924.de/

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