Wissenschaftsdebatte goes Kolumbien

Nach dem Friedensschluss mit der FARC blüht Kolumbien auf. Ein Koloss und Scharnier der Amerikas, reich an Natur- und Bodenschätzen, erwacht. Die Andenstadt Medellín gilt als eine der innovativsten Metropolen der Welt. Dort, an der Uniminuto Universität, stellte die TELI ihre Wissenschaftsdebatte vor.

Uniminuto Universität in Medellín, Kolumbien (c) Vicki Isaza

Uniminuto ist der Campus des einfachen Volkes, gegründet von Pater Herreros. Er war berühmt für seine pointierten einmütigen Ansprachen in den Medien. Sie riefen die Kolumbianer dazu auf, der Gesellschaft zu dienen. Transformation war Herreros Mantra. Emanzipation, Partizipation und Inklusion der Armen durch Bildung.

SPEZIALISIERUNG IN WISSENSCHAFT

Die Uniminuto Universität steht in einem nördlichen Vorort der Dreimillionenstadt Medellín, von Industrie umgeben sowie Hochhäusern des sozialen Wohnungsbaus. Hier studieren 5000 Studenten, zu günstigen Studiengebühren, 800 davon Journalismus und Kommunikation. Wobei die meisten nicht in den traditionellen Medien unterkommen, sondern in der Firmen-PR. Eine Spezialisierung in Technik und Wissenschaft gibt es bisher nicht, wäre aber eine wichtige Spezialisierung und könnte den Absolventen Türen in Presse, Radio, TV öffnen.

Uniminuto Campus, Innenhof (c) Luis Sierra

Dies ist auch der Tenor des Koordinators des Studiengangs, Jorge Bustamente, der die Veranstaltung vor ca. 50 Lehrkräften und Studenten der Sozialen Kommunikation einleitet. Sie ist die Eröffnungsvorlesung zur neuen Reihe „Journalismus und die Wissenschaft“. Der Auftakt dafür ist ein Blick auf Deutschland.

VIERTE MACHT

Die Freiheit der Presse wurde dort, ebenso wie in vielen anderen Ländern Europas und der Welt, gegen den Widerstand der Obrigkeit und deren Zensur erkämpft. Journalisten nahmen sich das Recht, die Regierung und Verwaltung zu kritisieren. Immer wieder wanderten couragierte Journalisten wegen Majestätsbeleidigung hinter Gitter. Für das Absitzen der Strafen hatte jedes Blatt einen sogenannten „Sitzredakteur“.

Die Freiheit der Presse erfolgte aus dem Geist der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts heraus (Locke, Rousseau, Kant, Jefferson). Sie führte zur französischen und amerikanischen Revolution, Verkündung der Menschenrechte und Etablierung der Gewaltenteilung, mit der Presse als inoffizielle vierte Macht. Zum politischen Journalismus und Kulturjournalismus gesellte sich erst im 20. Jahrhundert der technische und wissenschaftliche Journalismus.

PROPAGANDA-INSTRUMENT

Dabei nahm die 1929 gegründete TELI eine Pionierrolle ein, um bald darauf sich in den politischen Fallen zu verfangen: Im Nationalsozialismus wurde sie zum willfährigen Propagandainstrument. Auch im DDR-Kommunismus, anders als die NS-Zeit bisher leider nicht aufgearbeitet, ließen sich die TELIaner willig gleichschalten.

Uniminuto Campus: Außenansicht (c) Luis Sierra

Ein unabhängiger Wissenschaftsjournalismus müsste sich von der Beherrschung durch Politik und Wissenschaft befreien. So wie etwa die Washington Post in der Wategate Affäre, die aufgrund von Erkenntnissen, gewonnen durch investigativen Journalismus, Präsident Nixon zur Abdankung zwang.

KATALYTISCHER WISSENSCHAFTSJOURNALISMUS

Auch aus ihrer historischen Erfahrung heraus suchte die TELI in ihrer neueren Geschichte innovative Wege. Sie versuchte sich in einem katalytischen Wissenschaftsjournalismus, der die vierte Macht mit der fünften, der Zivilgesellschaft zusammenbrachte. In Wissenschaftsdebatten sitzen Vertreter relevanter gesellschaftlicher Gruppen, einschließlich Zivilgesellschaft und NGOs auf dem Podium. Aber das Publikum bestimmt die Agenda und die Fragen, auf die die Experten antworten.

Das Ergebnis dieser Debatte, in der Regel zu gesellschaftlich und ethisch umstrittenen Fragen der Forschung und Technologie, wird als Pressemeldung der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dient der wissenschaftlich-politischen Meinungsbildung. Diese Struktur sichert, dass Bürgerinnen und Bürger daran erstmals beteiligt sind.

Uniminuto Campus: Umfeld (c) Luis Sierra

SCHUTZ DER BIODIVERSITÄT

Aktionsfelder dafür gibt’s überall auf der Welt, in den Amerikas, besonders auch in Kolumbien: Erfundene Wahrheiten und der Anti-Science-Kurs der neuen US-Regierung, der Raubbau internationaler Konzerne in und an den kolumbianischen Regenwäldern. Sie beherbergen die größte Biodiversität der Welt. Damit sind sie eine Schatzkammer für Medikamente gegen Infektionskrankheiten wie Zika ebenso wie die großen Zivilisationskrankheiten Krebs und Demenz.

Saatguthersteller des Nordens verbreiten in den Ländern Lateinamerikas genmanipulierte Saatgüter, gegen die Campesinos machtlos sind. In diesem Sinne hat Kolumbien wie viele andere Länder des Südens einen post-kolonialen Status mit großer Abhängigkeit von den Ländern des Nordens. Wissenschaftsdebatten könnten helfen, den gesellschaftlichen Dialog darüber mit den Verantwortlichen zu moderieren.

KANTSCHE SELBSTVERANTWORTUNG

In der Aussprache über den Vortrag meldeten sich die Dozenten des Fachbereichs Soziale Kommunikation zu Wort. Eine Frau korrigierte ein vielfach verbreitetes und tief sitzendes Fehlurteil, dass Wissenschaft immer auf Wahrheit und das Gute abziele. Das Leiden vieler Tiere, die für kosmetische Produkte verwertet werden, spreche eine andere Sprache.

Sie appellierte im Kantschen Sinne an die Selbstverantwortung der Bürger und Kolumbianer. Sie selber benutze kein Plastik und auch kein Kraftfahrzeug, die Nummer-eins Umweltverschmutzer in Medellín, das Ende März wegen hoher Luftschadstoffkonzentration ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge aussprechen musste.

SAGAN & POSADA SWAFFORD

TELI Referent mit UNIMINUTO-Team: Maria del Rosario Alvarez, Leiterin Studiengang Soziale Kommunikation (re.), Jorge Bustamente, Koordinator (ganz re.), Luis Sierra, Professor Soziale Kommunikation (ganz li.) (c) Vicki Isaza

Ein anderer Dozent beantwortete die Frage einer Studentin nach Quellen wissenschaftlicher Information, die leicht begreifbar sei. Er empfahl die Bücher Carl Sagans, das populäre Wissenschaftsmagazin Muy Interesante (Ableger des deutschen P.M.) und die Blogs von Kolumbiens führender Wissenschaftsjournalistin Angela Posada Swafford.

In ihrem Schlusswort griff die Direktorin des Studiengangs, Maria del Rosario Alvarez, die in der Präsentation erwähnten Faked News/erfundenen Wahrheiten/Post-Fakten und Alternativ-Fakten auf. Sie schärfte den Studenten ein: Nichts leichtfertig glauben, besonders wenn es aus der Ecke der sozialen Medien komme, sondern doppelt und dreifach nachzurecherchieren und verlässliche Quellen dafür zu finden – das Einmaleins guten Journalismus wie auch kritischen Denkens, gültig überall auf der Welt.

Innovations-Drehscheibe Medellín (c) Elementis, Belgrad

Der Referent an der Uniminuto Universität war das TELI Vorstandsmitglied Wolfgang Chr. Goede. Er ist auch Verfasser dieses Berichts. Das Engagement erfolgte im Rahmen eines privaten Aufenthalts in Medellín, ohne Sponsoring, mithin in gänzlicher Unabhängigkeit. Der Referent und die TELI sind Dr. Luis Sierra, Professor am Uniminuto Campus, zu Dank verpflichtet. Sierra initiierte die Veranstaltung. GRACIAS!

TELI WISSENSCHAFTSDEBATTE INTERNATIONAL:
INFOS AUF SPANISCH, ENGLISCH, DEUTSCH

www.scielo.org.co/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0120-48232011000200007

www.pcst-2014.org/pcst_proceedings/artigos/wolfgang_c_goede_workshop.pdf

http://www.maecenata.eu/images/documents/mi/resources/2013_op68.pdf

ERFOLGE DER WISSENSCHAFTSDEBATTE:
COPENHAGEN DECLARATION ON NANO TECHNOLOGY

http://www.eusja.org/kopenhagen-declaration

MANCHESTER DECLARATION ON EHEALTH

http://www.eusja.org/manchester-declaration-on-ehealth-more-training-better-choice/

ÁNGELA POSADA SWAFFORD

(c) Posada Swafford

http://www.angelaposadaswafford.com
https://www.facebook.com/angela.posadaswafford

HINTERGRUND WISSENSCHAFT & FORSCHUNG IN KOLUMBIEN: PACIFIC PUMA

http://www.dkfev.de/downloads/KA_Archiv/ka_101_plus.pdf, S. 12ff

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