Wo bleibt der Weltuntergang!

by Wolfgang Goede | 4. April 2010 02:39

Am Dienstag vor Ostern 2010 fand DAS wissenschaftliche Ereignis statt: CERN nahm den havarierten Beschleuniger wieder in Betrieb und schaffte die ersten Kollisionen. Schon beim Aufstehen am Morgen um sieben Uhr berichteten die Nachrichten in Bayern 2 ausführlich, die Kollegen schauten gebannt Internet-TV, wo die Genfer in allen Einzelheiten und mit großem Aufwand ihr Urknall-Experiment darstellten und in die Öffentlichkeit und die Medien drückten, fast so, als wären Bürger und Journalist live dabei (hier die Ergebnisse). Klar, am Mittwoch waren alle Zeitungen voll davon: Urknall-Aufmacher bei den großen Überregionalen, Kommentar, sogar Feuilleton, Urknall-Rekord bei der Frankfurter Rundschau, die gleich in vier verschiedenen Teilen des Blattes berichtete.

Was bleibt hängen: Wackelt der Hund mit dem Schwanz – oder der Schwanz mit dem Hund? Wer setzt die Agenda, Wissenschaftler oder Wissenschafts-Journalisten? Was sagen wir, was sagen die Mitglieder der TELI, des weltältesten Zusammenschlusses von Technik- und Wissenschafts-Journalisten zu diesem Supereignis: pro, contra, sowohl als auch, anders, kein Thema – CERN ist hochgradig kontrovers, für einige sogar hochgefährlich und auf jeden Fall DAS Thema für die TELI Wissenschaftsdebatte. Hier Auszüge aus den großen meinungsbildenden Tageszeitungen.

Die „Süddeutsche“ teaserte das Thema auf Seite eins als Top News an, berichtete ausführlich und sehr positiv im Wissenschaftsteil und schob am Donnerstag/Karfreitag den Kommentar nach: „Was ein Proton kosten darf“, Antwort von Patrick Illinger: Dieses Schöpfungsexperiment lasse sich ökonomisch nicht bemessen, denn: „Das Wissen um die Herkunft seiner eigenen Spezies … für solche Erkenntnisse gibt es keine Preisschilder.“

Zu einem völlig entgegengesetzten Urteil war tags zuvor der bekannt launige BILD-Kommentator Franz Josef Wagner gekommen: „Liebe Urknall-Forscher … wenn ein zweijähriges Kind in Deutschland verhungert, dann geht mir das gesamte Universum am A*** vorbei“ – und plädiert für den Einsatz der drei Milliarden Forschungsgelder für humanitäre Zwecke. Klingt flapsig und flach, aber BILD spricht vielen Menschen aus der Seele, ob die intellektualisierenden Kollegen das nun mögen oder nicht …

Überraschend zahnlos, hohl und wischi-waschi die kritische taz, mit immerhin dem feinsinnigen Aufmachertitel „Treffen sich zwei Teilchen“. Darunter dann der schwärmerische Satz, der von einem 12-Jährigen stammen könnte: „Es ist einfach toll, dass so eine verrückte Maschine überhaupt zum Laufen kommt.“ In einer vertiefenden Sicht weiter hinten im Blatt vergleicht der Physiker und Schriftsteller Ralf Bönt das Ereignis mit der Mondlandung 1969.

Die WELT, die sich sonst um einen wirklich spannenden und originellen täglichen Wissenschaftsteil bemüht (anders als die Süddeutsche), wie ich finde, hat vier Berichte zu dem Experiment – alle nüchtern bis langweilig und ohne neue Erkenntnisse, enttäuschend: Nirgendwo bleibe ich richtig hängen, nur beim Kommentar auf Seite eins, der auf die CERN-Kritiker eingeht: „Man sollte diejenigen, die diesem Schöpfungsexperiment mit Unbehagen entgegensahen, nicht mit Hohn und Spott überschütten, weil der Weltuntergang ausgeblieben ist.“ Wüssten die Forscher genau, was sie tun und welche Folgen es hat, wäre das Forschen überflüssig. Wissenschaft ohne Risiko sei ein Unding, deshalb: „Wer die Wissenschaft eher skeptisch betrachtet, ist noch lange nicht blöde. Aber er wird nie das letzte Wort haben.“ Klare Ansage, mögen manche vielleicht nicht, aber daran kann man sich reiben.

Am ausführlichsten berichtete die Frankfurter Rundschau: Bildteaser von 1/3 Seitengröße auf Seite eins, flächendeckend auf Seite 2 und 3 der Bericht und ein Kommentar, Einspalter im Feuilleton und noch ein Einspalter im Medienteil. Was nehme ich von diesem massiven „CERN-Beschuss“ mit? Der Physiker Frank Grotelüschen ist kein Schwärmer, sondern ein kritischer Zeitgenosse, insofern liefert er einen fundierten Bericht, der auch auf die lange Pannen-Historie der Urknallmaschine Bezug nimmt. Der Kommentar daneben lässt zwar die CERN-Forscher jubilieren, stellt dann aber ausführlich die Kritik da. Warum das Bundesverfassungsgericht einem Kläger nicht folgte und das Experiment nicht verbat, wird zwar auch nach zweimaligem Lesen nicht verstehbar, dafür aber die plakative Interpretation des Schreibers: „Die höchsten deutschen Richter haben nicht die geringste Angst vor dem Weltuntergang.“ Interessant auch, dass der CERN-Generaldirektor Verständnis für die Sorgen seiner Kritiker aufbringt: „Immer wenn man Neuland betritt, dann gibt es Ängste bei den Menschen.“

Dies im Kontrast zum Feuilleton, das das Innenleben eines Schwarzen Loches erforscht, welches die Ängstler befürchten, um dann in Ratlosigkeit zu enden: „Vielleicht gibt es in einem Schwarzen Loch sogar ein weich gekochtes Ei, Milchkaffee und die Frankfurter Rundschau zum Frühstück? … Wer weiß schon, was letzte Nacht im CERN geschah?“ Und zuguterletzt der Bericht im FR-Medienteil, der die CERN-Übertragung im Internet als „Technik-Erotik“ beschreibt: „Balkengrafiken, Kontroll-Interfaces, die einen ’stable beam‘ vermelden, Monitorwände, schrullige Männer in weiten Pullovern, ‚Wissenschaft beim Entstehen‘, wie die Moderatorin ein ums andere Mal ausrief – so etwas muss junge Menschen in aller Welt doch für die Technik begeistern.“

Und last, but not least die Zeitung, hinter der immer ein Schlauchen steckt.
Blickfang auf Seite eins über dem Bruch ein Konditorei-Hase – mit einem langen Riss im Teig, daneben der Kommentar von Manfred Lindinger „Dem Urknall nahe“. Die erste Spalte ziemlich belanglos, dann der mehrjährige, holprige Start, am Schluss ein Kernsatz, der erstaunlich negativ ist, aber unbegründet bleibt: „Einen messbaren Nutzen wird man aus den Forschungsergebnissen des LHC allerdings wohl kaum ziehen können.“ So richtig Lust zum Kommentieren hatte der FAZ-Wissenschafts-Journalist an diesem Tage offensichtlich nicht – eine vertane Chance, denn eine prominentere Kanzel gibt es in Deutschland nicht.

Sodann Lindingers Bericht in „Natur und Wissenschaft“, der den Dienstag vormittag in Genf als Zitterpartie darstellt. Schön plastisch der Vergleich: für den Protonen-Crash wurden sieben Teraelektronenvolt eingesetzt, sieben Billionen eV, während ein Röhrenfernseher mit 20 000 eV die Bilder auf den Schirm schreibt. Kollegen, solche Bilder brauchen wir, wenn wir den Menschen klar machen wollen, was in CERN passiert! Am Ende dann Lindingers Hinweis, dass es eine Enttäuschung für viele Forscher wäre, wenn nur das Higgs- alias „Gottesteilchen“ entdeckt werden würde, dass es letztlich um die Grundfragen geht: Warum es Materie und die vier Naturkräfte überhaupt gibt – insgesamt alles sehr informativ und übersichtlich, deutlich besser als der lustlose Kommentar.

Ergänzend dazu das FAZ-Feuilleton, das den Genfern fast eine Seite spendierte, aus den Tasten des Schriftstellers Thomas Lehr, der seinen Roman „42“ in CERN spielen ließ. Nach einem katastrophalen Verlauf des Experiments kommt es zu einem Zeitstillstand. Seinen FAZ-Beitrag „Der Bagel zu Babel“ hatte Lehr bereits vor dem Hochfahren des Teilchenbeschleunigers verfasst. Darin gibt er sich zum einen gelassen, weil der Planet natürliche Kollisionen dieser Größenordnung bisher unbeschadet überstanden habe, zeigt aber mit Hinweis auf Los Alamos und Tschernobyl Verständnis für Menschen, die weniger begeistert als er selber das Experiment verfolgten.

Übrigens: Es gibt noch Jemanden, der einen Roman über CERN geschrieben hat. Das langjährige TELI Mitglied und der promovierte Chemiker Rolf Froböse veröffentlichte den Thriller „Sekunde Null“, in dem ein Schwarzes Loch in letzter Sekunde mit einer Rakete im All entsorgt wird – spannend und lesenswert, mit viel Physik serviert!

Frage: Wie geht’s weiter, was denkt die kleinere und größere Gemeinde der Wiss-Journs darüber, der Bürger, der Forscher, was die TELI – wäre der Large Hadron Collider nicht einmal eine große öffentliche Debatte wert?

Sagen Sie bitte Ihre Meinung dazu in dem Feld unten!

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