Flügel statt Bremsen bauen

by Wolfgang Goede | 19. Mai 2023 16:10

In der Wolle gefärbte Grüne werden bei Vince Eberts neuestem Werk aufheulen. Der gelernte Physiker und bekannte Kabarettist zieht ihnen alle Zähne vom Mythos einer nachhaltigen Energie.

Nachhaltigkeit adios

Solar- und Windkraft seien zu unergiebig und stellen bei Schwankungen nicht die Grundversorgung sicher, fatal für eine hochindustrialisierte Nation wie Deutschland; für E-Autos wird es nie genug Rohstoffe geben; und für eine Stabilisierung der CO-Emissionen müsste die Welt dauerhaft im Energieverbrauchsmodus der Pandemiejahre verharren. Für Ebert sind alle konventionellen Gegenmaßnahmen „Sola-la“, auch angesichts der weiterhin steigenden Weltbevölkerung und des Anspruchs von Global-Süd auf Energie als Bringerin von mehr Mobilität und Wohlstand.

Der Profi-Performer Ebert zieht seine Leser absichtlich, wie er einräumt, „durch den Kakao“, manchmal am Rande, je nach Geschmack, von Humor und Zynismus (was den Verkaufserfolg nicht schmälert: 13. Auflage!). Das provoziert, schafft Amplituden. Nur in einer debattenfreudigen Öffentlichkeit ohne Tabus gelingt Meinungsbildung und öffnen sich Tore für die Böen der Innovation.

Fusionsreaktoren?

Diese Elastizität sieht Ebert eingeschränkt. Aus Forschersicht, findet er, wird Wissenschaft zu sehr als Wahrheitsstifterin verehrt, mit fast religiösem Heiligenschein. Doch Forschung sei immer nur eine Methode, sich an Erkenntnisse heranzutasten, mit vielfachen Fehlern behaftet, u.a. mit dem unvermeidlichen Bias, sprich ethisch-moralischen Korsett, vulgo Vorurteilen der jeweils Forschungstreibenden. Deren Ergebnisse immer nur vorläufig sind; im Wechselspiel von These-Antithese wird die Synthese immer wieder neu ausgelotet.

Wider den Strich gebürstet, mit Peitschenknall. Dann mit Zucker verarztet. Im zweiten Teil seiner Streitschrift streichelt Ebert die Klimaaktivisten, gibt sich eigentlich als jemand auf ihrer Seite zu erkennen, nicht ganz so visionär, wie er vorher der Bewegung vorgeworfen hatte, sondern eher als realistischer Visionär. Fusionsreaktoren, die die Atomschmelze auf der Sonne technologisch nachstellen und während der Atomeuphorie der 1950er geboren wurden, sind für ihn ein Lichtblick. Bis zur Gasversorgungskrise, die mit Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs um sich griff, galt Fusion als Utopieprojekt, unter Realwissenschaftlern fast esoterisch.

Zukunftsmut!

Schade, dass der Halbvisionär Ebert sich nicht an andere, bisher vernachlässigte Energieformen traut, etwa künstliche Photosynthese, welche in den vergangenen Jahren wiederholt von acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, ins Gespräch gebracht worden war, jetzt aber auch verstummt ist.

Ebert wünscht sich weniger Deutsche Angst, mehr Mut zur Zukunft. Das derzeit verbreitete Untergangsgefühl, eine historische Konstante, sei kontraproduktiv. Ebert ermutigt zu Pragmatismus und Optimismus, schließt:

„Lasst uns also lieber Flügel bauen und keine Bremsen!“

Vince Ebert
Lichtblick statt Blackout
Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen
dtv, 2022, 15 €

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