by Wolfgang Goede | 20. Juni 2015 08:54
Ein Dinosaurier aus dem 19. Jahrhundert häutet sich. Das Deutsche Museum, einst Vorbild für die Welt, drängt zurück an die Spitze. Es will zu einer Experimentierplattform der Gesellschaft, zur allumfassenden Stätte verantwortungsvollen Umgangs mit Technologie werden. Die Ausstellung „Willkommen im Anthropozän“ ist Auftakt zu basalem Umdenken. Nicht technische Allmacht, sondern „begrenzte Machbarkeit“ heißt künftig die Mission.Der Tag für diese Führung hätte nicht besser gewählt sein können. Während der Papst in Rom mit seiner Öko-Enzyklika „Laudato si“ den Mächtigen der Welt die Leviten liest und sie an den pfleglicheren Umgang mit unserem Heimatplaneten gemahnt, führt Professor Helmuth Trischler durch die Ausstellung „Willkommen im Anthropozän“ im Deutschen Museum zu München.
Klaffende Wunden
Was die oberste moralische Autorität der Menschheit geißelt, den ungebremsten Raubbau an Natur und Erde, dokumentiert der Kurator der Ausstellung an den Exponaten, etwa: klaffende Wunden in der Haut der Erde, die der extensive Abbau von Eisenerzen reißt; dem Boom energiefressender Großstadtmoloche, besonders in China. Ursache allen Übels, wenn man so will, ist die gute alte Dampfmaschine, die den Eingang zur Ausstellung ziert. Sie brachte die Macht des Homo faber mit voller Wucht zur Entfaltung.
Die neue, vom menschlichen Forschungsgeist und technischen Genius geschaffene Zeit, das Anthropozän oder Menschenzeitalter, hat in jeder Nische unserer Welt Fingerabdrücke und Spuren hinterlassen: wahllos weggeworfenen Konsumwaren, von immer asthmatischeren Produktionszyklen entwertet; einer furiosen Kaskade von Kunststoffen, in krank machender Gesellschaft von chemischen Schadstoffen und Emissionen. Die zunehmenden CO2-Treibhausgase in der Atmosphäre sind, in einem schiefen, aber sinnfälligen Vergleich, nur die Spitze der in Rekordtempo schmelzenden und möglicherweise bald verschwundenen Eisberge.
Ab 1950: exponentiell
Die Dampfmaschinenzeit erfuhr mit der Spaltung des Atoms eine weitere Beschleunigung. Damit schien alles machbar. Ab 1950, so Trischler, befinden sich die Wirtschaften der Erde „in großer Beschleunigung“ mit „exponentiellem Wachstum“, seit 25 Jahren nochmals weiter angestachelt von Digitalisierung und Globalisierung, ausgedrückt durch immer dichtere Verkabelung und gigantische Serverfarmen.
Die Ausstellung im Deutschen Museum zeigt nicht nur Auslöser und damit eingehandelte Probleme, sondern führt sinnfällig Auswege vor Augen. Upcycling, in dem Plastikmüll zu Kleidung verarbeitet wird; Urban Gardening, das Großstadthäuserdächer als landwirtschaftliche Nutzflächen erschließt; ressourcenschonende Mobilität mit Muskelkraft getriebenen Fahrzeugen.Fragilität unseres Wissens
Mit dieser Ausstellung, erklärt ihr Designer, versucht das Deutsche Museum für sich eine neue Vermittlerrolle in der Welt der Wissenschaft und Technologie zu finden, nämlich „die Dualität derselben darzustellen, Lösungswege mit Hilfe technischer Kreativität aufzuzeigen, die Fragilität unseres Wissens uns einzugestehen, in diese Offenheit die Gesellschaft mit einzubeziehen und die Debatte darüber kontrovers zu führen“.
Eingebettet in dieses Konzept ist eine demnächst anlaufende grundlegende Umgestaltung des Deutschen Museums. Es wird nach Trischlers Worten zu einer „Experimentierplattform“ mit „partizipativen Ansätzen“ sowie Elementen von Citizen Science, einer neuen Bürgerwissenschaft, die den Steuerzahler und Verbraucher in den wissenschaftlich-technologischen Schöpfungs- und Gestaltungsprozess von Anfang an einbezieht. Besonders das Reich der Mitte ist offensichtlich an diesem Modell interessiert und wittert möglicherweise weiteres Wachstum damit. Wenn es denn seiner Demokratie hülfe …
Begrenzte Machbarkeit
Keine Scheu hat Trischler vor neuen Kreativformen, wie Science oder Anthropozän Slams als Ideenlieferanten. Solche Veranstaltungen etwa wagen zu fragen, was von einem Vogel nach einem Vogelschlag übrig bleibt.
Es geht dem einstigen technisch-musealen Leitbild um nichts Weniger als einen Paradigmenwechsel, „die Folgen unseres Handelns systematisch und von Anfang an mit in den Blick zu nehmen“, erklärt Trischler, nicht menschlicher Allmacht ein Denkmal zu setzen, sondern „die begrenzte Machbarkeit“ auszuloten.
Kirchen zu Laboren
Nur schade, wie ein Teilnehmer der Besichtigung beobachtet, dass diese Absicht in der Ausstellung nicht so richtig ins Auge springe, sondern erst bei der Führung und Begleitung durch den Kurator klar werde. Was zeigt, dass die Kunst des Ausstellens durch das neue Museum 2.0 oder besser: X.0 einer harten Prüfung unterzogen wird und sich ebenfalls neu erfinden muss.Und müsste das labor-getriebene Museum nicht auch neue Räume, den gesamten öffentlichen Raum erobern, vor allem Stätten, die meist leer stehen, zum Beispiel Kirchen, insbesondere auch eingedenk der Kanonade des Pontifex maximus?
Mehr Info: http://www.deutsches-museum.de/ausstellungen/sonderausstellungen/2014/anthropozaen
Ausblick
Dieser Beitrag über „Willkommen im Anthropozän“ ist Auftakt zu einer neuen Wissenschaftsdebatte. Sie ist auf der Suche nach den tiefer gelegenen, strukturellen Auslösern des Menschenzeitalters. Die Debatte ist Teil des Münchner Klimaherbstes 2015. „It’s the economy, stupid!“ geht der Frage nach, ob das Anthropozän ein Kapitalozän ist und welche neuen Wirtschaftsformen aus der Krise führen könnten. Dazu liefern Experten aus Forschung und Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft Denkimpulse. Ein so genanntes „inverse panel“ dreht das veraltete Modell der Podiumsdiskussion, stellt das Publikum ins Zentrum der Veranstaltung.
PLEASE SAVE THE DATE: Dienstag, 27. Oktober 2015, 18.30 Uhr, Münchner PresseClub am Marienplatz
Mehr demnächst bei http://klimaherbst.de und www.teli.de
Source URL: https://www.wissenschaftsdebatte.de/?p=5213
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