Der 9. Münchner Klimaherbst „stellt die Machtfrage“. Mit diesen Worten eröffnete Winfried Eckardt, Mitglied des Vorstands Netzwerk Klimaherbst, die Auftaktveranstaltung mit Repräsentanten der Landeshauptstadt München und dem renommierten Klimaforscher Joachim Schellnhuber.
„POLITIK. MACHT. KLIMA. und wir?“ lautet das diesjährige Motto. Mit 60 Veranstaltungen rund um die Klimafrage will die Münchner Stadtgesellschaft „die Politik in die Pflicht nehmen“, so Eckardt, nachdem das Zwei-Prozent-Ziel „krachend zu scheitern droht“. Das ist das seit Jahren und auf vielen internationalen Klimagipfeln angestrebte Ziel, die globale Erwärmung durch eine konzertierte Drosselung des CO2-Ausstoßs auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Der Münchner Klimaherbst will damit auch ein deutliches Signal an die nächste UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember senden, dem mittlerweile 21. Gipfel.
Des Weiteren verwies Eckardt eindringlich auf die innige Verwobenheit der Klima- mit der Flüchtlingsfrage. Das sich verschlechternde Klima nötige Millionen Menschen zum Verlassen ihrer Heimat, sagte der Klimaherbst-Vorstand und machte klar: „Viele werden versuchen Europa zu erreichen.“ Das lasse sich nur beeinflussen durch bessere Perspektiven in den Herkunftsländern und durch das Eindämmen der Folgen des Klimawandels, machte er klar.
Die Bewältigung Hunderttausender in München ankommender Flüchtlinge in den letzten Wochen habe gezeigt, „zu welchen enormen Leistungen die Stadtgesellschaft fähig ist“, lobte Eckardt, und: „Ihr wichtigstes Thema muss der Klimaschutz werden!“ Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter konnte die Klimabotschaft persönlich freilich nicht entgegen nehmen. Er hatte sich durch seine Umwelt- und Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs vertreten lassen.
Mit Eckardts Einführung war die Bühne bereitet für den prominenten Gastredner des Abends, Professor Schellnhuber, den die Moderatorin Dietlind Klemm (Bayerischer Rundfunk) als Mann der deutlichen Worte einführte, wie etwa, dass Europa „im Norden von Eisbergen und im Süden von sich heranschiebenden Wüsten“ bedrängt werde. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung näherte sich dem Thema aus verschiedenen Richtungen.
Zuallererst klärte er die industriell-ökonomischen Ursachen der Klimaerwärmung. Dabei stellte er die westlich-abendländische Entwicklungs- und Prosperitätsdefinition in Frage. Schellnhubers „C-Story“, der Metabolismus des Industriezeitalters, beginnt ca. 1780, als die wassergetriebene Spinnmaschine und Watts Dampfmaschine zusammenfanden und die industrielle Dampfkraft als neuen effektiven Antrieb begründeten, die sich als Siegeslauf ohnegleichen über den Planeten ausbreitete, bis heute von einem fossilen Mix aus Kohle, Öl, Gas getrieben.
Auf Schellnhubers Weltkarte färben sich die Kontinente von den Kohlenstoffemissionen rot ein, von England ausgehend, sich über Europa und Nordamerika ausbreitend, in neuester Zeit China in nur zwei Dekaden erobernd; das Alarmrot ist dabei Ausdruck der kohlenstoffhaltigen Klimagase. Sie verursachen in der Erdatmosphäre den Treibhauseffekt.
„Was passierte mit uns, wenn sich alle Kontinente rot einfärbten?“, fragte der Referent. Das wäre die logische Entwicklung, wenn alle Nationen der Welt auf ungehemmte Industrialisierung durch fossile Energien setzten. Als Bezugsgröße für den CO2-Impakt führte Schellnhuber die Hiroshima-Atombombe ein. Der „Nettoenergieimport“ durch das Klimagas entspreche pro Jahr 125 Millionen Explosionen—das sind 4 pro Sekunde!
Wenn in der herrschenden Wirtschaftsdoktrin der Nationen der Welt „Wachstum, Arbeitsplätze, Konsum“ weiterhin die dominante Rolle spielten, nähmen wir eine Zunahme der Welttemperatur um vier bis fünf Grad Celsius in Kauf, warnte Schellnhuber, bis zur Mitte des Jahrtausends sogar um acht Grad. Ein ungerührtes „Business as usual“ auf der Wirtschaftsagenda, besonders der Industrienationen, führe zur einer totalen Schmelze der Antarktis mit Meeresspiegeln um 50 Meter höher als heute.
Schellnhuber verwies auf eine blaue Stelle im Nordatlantik bei einer Klimagrafik. Die Abkühlung stamme von der bereits begonnenen Schmelze des grönländischen Eisschilds. Als Folge davon „beginnt der Golfstrom bereits zu schwächeln“, kommentierte Schellnhuber, späterer Kollaps nicht ausgeschlossen. Könnte das möglicherweise eine Eiszeit auslösen, den CO2-getriebenen Treibhauseffekt, die lethale Vergasung des Planeten neutralisieren?
Regulär würde die nächste Eiszeit in 60 000 Jahren einsetzen, erklärte der Klimaforscher, doch: „Die nächste Eiszeit fällt aus“, denn „der Mensch als biologische Kraft kann Eiszeiten unterdrücken“.
Schellnhuber wurde, für Wissenschaftler nicht selbstverständlich, konkret: „Wir sind wie Lemminge, die in die falsche Richtung laufen.“ Statt sichere geografische Gebieten aufzusuchen, ziehe es Menschen in die Wüsten (Phoenix), die Berge hinauf (La Paz) und an die Küsten (Miami). Das sind die vom Klima am meisten gefährdeten Zonen.
Die Klimabombe habe hochexplosive soziale Komponenten. Zum einen, dass sich die Folgen der fossilen Wirtschaft hauptsächlich nicht bei den Verursachern, also in den Ländern des Nordens, sondern in den Tropen und Subtropen niederschlügen. Verbunden damit und dem Wirtschaftssystem, dessen systemische Schwächen und Gier eingangs so treffend vom Metropol Theater und dem Stück „Schuld und Schein“ beschrieben worden waren, sei „ein obszönes Auseinanderlaufen von Reich und Arm“, erklärte Schellnhuber.
Die 60 Reichsten besitzen so viel wie 3,5 Milliarden der Ärmsten, bei zunehmender Konzentration. „Das ist nicht menschengemäß!“, sagte er entschieden. Für ihn sei die Zeit gekommen, jetzt auch „moralisch Partei“ zu ergreifen. Schellnhuber verwies, bevor er unter großem Applaus aus dem vollbesetzten Saal eilte, auf sein neues Buch „Selbstverbrennung“ (C. Bertelsmann)*, das rechtzeitig zum Pariser Klimagipfel erscheint.
Falls auch diese Chance verrinne, die Klimagase zu begrenzen, gerate das System völlig aus der Kontrolle, war sein auch von den Nachrichten des Bayerischen Rundfunks zitiertes Fazit.
Als internationaler Co-Referent zu Schellnhuber trat anschließend der britische Klimaaktivist und Fotograf Sebastian Copeland ans Rednerpult. Er stellte unter Beweis, dass auch Nicht-Akademiker, also sozusagen Citizen Scientists, Bürgerwissenschaftler die Klimathematik professionell beherrschen. Copeland lieferte viele weitere wissenswerte Einsichten, zum Beispiel:
• dass die Energiekonzerne 700 Milliarden Dollar für die Exploration weiterer fossiler Lagerstätten einsetzten (deren Förderung die CO2-Bombe noch volatiler machte)
• dass die Hälfte der derzeit 60 Millionen Flüchtlinge vom „Ernährungsstress“ getrieben seien als Folge klimatischer Verschlechterung (die Zahl der Klimaflüchtlinge könnte bis 2050 auf 330 Millionen steigen, einigen Schätzungen zufolge, die während des Klimaherbsts diskutiert werden)
• dass Klimastress, Dürren, Ausbreitung der Wüsten und Vertreibung der Bauern letztlich zur politischen Destabilisierung ganzer Regionen, Revolutionen und bewaffneten Konflikten führe, worauf etwa der Arabische Frühling und auch die derzeitige Syrienkrise zurückzuführen seien.
Copelands Empfehlungen, wie sich die Zivilgesellschaft gegen die Klimaerwärmung wehren kann:
• Divestment, also keine Gelder in die fossile Industrie investieren
• Rechenschaft und Transparenz von den Unternehmen hinsichtlich ihrer Klimapolitik fordern
• konsequent erneuerbarer Energien einsetzen, besonders in Privathaushalten.
„Your money talks“, riet der Brite als Handlungsweisung für die Bürger*Innen.
Neben Klimagrafiken zeigte er Bilder von erhabener Schönheit aus bisher unberührten Eiswelten. Die Polregionen hat er auf Skiern durchstreift, 8000 Kilometer weit. Über diese Reisen hat er ein lesens- und sehenswertes Buch veröffentlicht: “The Vanishing North“ (teNeues). Es ruft u.a. ins Gedächtnis, dass seit dem ersten Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC im Jahr 1990 über die drohenden Klimafolgen kaum etwas geschehen ist. Die Flüchtlinge sind eine Konsequenz und Vorboten dessen, was auf Europa und Deutschland zukommen könnte.
*) Hans Joachim Schellnhuber: SELBSTVERBRENNUNG. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff. ISBN 978-570-I0262-2. C. Bertelsmann. München 2015
Klimaherbst-Programm, mehr Info, Details http://klimaherbst.de/
TELI Veranstaltung zum Münchner Klimaherbst 2015: It’s the economy, stupid!
http://klimaherbst.de/veranstaltung/its-the-economy-stupid
27. Oktober, 18.30 Uhr, in Münchens Internationalem PresseClub am Marienplatz, neben Hugendubel
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