by Wolfgang Goede | 5. Oktober 2016 21:53
Mit diesem Satz eröffnete der Politikwissenschaftler Claus Leggewie den 10. Münchner Klimaherbst. Städte produzieren 80 Prozent der klimaschädlichen Emissionen. Stadtgesellschaften und besonders deren Bürger sind deshalb der Schlüssel zu einer gelingenden Klimapolitik. Professor Leggewie, ein Vordenker der Bürgerbeteiligung und Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, wünscht sich von den Bürgern „mehr Mut, Fantasie, Experimentlust“.
Die Jubiläumsveranstaltung bietet ein Novum. Künftig beginnt der Klimaherbst gleich nach dem Oktoberfest und dauert einen Monat lang. Das Programm umfasst über hundert Veranstaltungen, darunter auch eine der TELI über die Freiheit der Wissenschaft (s. unten). Klimaherbstposter zeigen einen roten Feuerlöscher mit der Aufschrift: „Cool bleiben, auf geht’s!“ Die Kernfrage des diesjährigen Zyklus ist, wie Bürger, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft den Klimaschutz voranbringen können.
In seinem Vortrag umriss Leggewie Wege einer verantwortlichen Bürgerbeteiligung in der Klimapolitik. Den Stadtgesellschaften räumte er dabei sogar eine wichtigere Rolle als den Nationalstaaten ein – mit Blick auf den Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter in der ersten Reihe. Der Klimaschutz hat für Leggewie eine ganz neue Dimension gewonnen. Viele der nach Europa drängenden Flüchtlinge seien Klimaflüchtlinge. Die müssen nicht nur untergebracht werden. Wichtiger sei, die Ursachen der Flucht, die Klimaveränderung auf dem Planeten zu bekämpfen.
KLIMA URSACHE FÜR FLUCHT
„Politik im Anthropozän muss grundlegend neu gedacht werden“, forderte Leggewie. Anthropozän heißt das vom Menschen, der Industrialisierung und der fossilen Wirtschaft geprägte Erdzeitalter.
Dazu findet sich im Programmheft ein Beitrag des Klimaherbstvorstandsmitglieds Daniel Überall über die destabilisierenden Folgen der globalen Erwärmung. „Wenn das Klima verrückspielt (…) steigt in ethnisch gespaltenen Ländern das Risiko für bewaffnete Konflikte“, schreibt er und zitiert das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung: „Zwischen 1980 und 2010 folgte fast ein Viertel der Gewaltausbrüche in 50 der am stärksten ethnisch zerrissenen Länder unmittelbar auf ein klimatologisches Extremereignis.“
KLIMAPOLITIK = FRIEDENSPOLITIK
Nach UN-Schätzungen werden im Laufe unseres Jahrhunderts 350 Millionen Menschen von Klimawandelfolgen aus ihrer Heimat vertrieben. Klimaschutz, so Überall, ist die „Grundlage des Fortbestands unserer Zivilisation“ mit der Zivilgesellschaft als maßgeblicher Taktgeber für die notwendigen Rettungsmaßnahmen und den Transformationsprozess.
Das sieht Leggewie nicht anders. Die von den Bürgern mitbestimmte Transformationsagenda und die Dekarbonisierung, Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas könnte zu „einem der großen Friedensprojekte“ dieses Jahrhunderts werden. Das gehe einher mit sozialen Reformen, einer dezidierten Gerechtigkeitspolitik und einer grundlegenden Veränderung der Weltwirtschaft. Sie legt das Kapital sinnvoll und zur Förderung des Gemeinwohls an, also nicht nur in wachstumsfördernde Maßnahmen.
MUTBÜRGER STATT WUTBÜRGER
Gegen den „Aufstand der Wutbürger“ in neo-nationalistisch geprägten Bewegungen setzte Leggewie die Mutbürger und Weltbürger. Sie vertreten die Prinzipien der liberalen Demokratie und setzen sich „für noch mehr Demokratie ein“, betonte Leggewie. Die Demokratie muss ständig neu behauptet werden. Eine Überlebensgarantie gebe es nicht.
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Die Journalistenvereinigung TELI trägt zum diesjährigen Münchner Klimaherbst, wie bereits in den Vorjahren, eine Wissenschaftsdebatte bei. Der Titel: „Wir müssen mal reden! Wie frei ist eigentlich die Wissenschaft?“ Fragt doch die Klimaproblematik auch nach dem Selbstverständnis von Forschung, Wissenschaft und Technologie sowie ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, dem Planeten, unserer gemeinsamen Zukunft darauf. Welche gemeinsamen Interessen führen Forschungspolitik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Ein Debatte über Freiheit und Demokratie, Mitbestimmung und innovative Dialogformen mit Bürger/innen – für GESUNDES Klima.
IMPULSGEBER
Prof. Dr. Christian Kreiß (Volkswirtschaftler, Hochschule Aalen, Autor „Verkaufte Wissenschaft“
Dr. Helmut Selinger, Physiker Klimaforschung, Inst. sozial-ökolog. Forschung, attac
Dr. Daniel Krausnick, Oberregierungsrat, Bayer. Staatsministerium für Bildung, Kultus, Wissenschaft u. Kunst
Roland Kreitmeier, Siemens AG, Leiter d. Niederlassungen München u. Augsburg, Vorsitzender Hochschulrat HS Augsburg
MODERATION
Maren Schüpphaus, Netzwerk Gemeinsinn, Dialog:Impulse
VERANSTALTER
Journalistenvereinigung TELI und Netzwerk Gemeinsinn
TERMIN
Dienstag, 25. Oktober 2016: 19.00 bis 21.30 Uhr
LOCATION
IMAL im Kreativquartier (Halle 10), Schwere-Reiter-Str. 2
http://www.imal.info/index.php
ANREISE
Das IMAL ist am besten öffentlich zu erreichen. Es liegt zentral am Leonrodplatz, Kreuzung Dachauer Straße und Schwere Reiter Straße. Dort halten die Trambahnlinien 12 (Scheidplatz – Romanplatz), 20 (Moosach Bahnhof – Stachus), 21 (Hanauer Str. – Stachus) und die Buslinie 53 (Münchner Freiheit – Aidenbachstr). Zum IMAL von der Kreuzung der roten Linie auf dem Lageplan folgen. Das sind drei Minuten. Herzlich willkommen!
INFO & ANMELDUNG
Nina.Eichinger@teli.de
Klimaherbst 2016 Programm
http://klima-herbst.de/2016/wp-content/uploads/2016/08/Klimaherbst-web.pdf
Source URL: https://www.wissenschaftsdebatte.de/?p=5788
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