Zwischen Kooperation und Korruption – Wie unabhängig ist die Wissenschaft?

by Wolfgang Goede | 7. Juli 2017 15:10

Im Frühjahr gingen beim Science March 3000 Münchner Wissenschaftler auf die Straße. Sie forderten die Berücksichtigung wissenschaftlicher Fakten, insbesondere die über die Klimaerwärmung, in der Politik. Aber wird die Wissenschaft nicht auch zunehmend entwertet durch ihre Abhängigkeit von Industriegeldern? Das diskutierte die Juni-Sendung Wissenschaft Kontrovers bei Radio Lora München 92,4 mit Professor Dr. Christian Kreiß, Hochschule Aalen. Der Volkswirt ist Autor des Buches „Gekaufte Forschung“.

Science March München (c) Goede

Der Studiogast bedauerte, dass in den letzten 25 Jahren die Grundmittel zur Finanzierung der Forschung immer mehr geschrumpft seien. Im Gegenzug wären die Drittmittel stark angewachsen. Das sind Gelder, die nicht von den Bundesländern kommen (zuständig für Bildung), sondern vom Bund, der EU, der Wirtschaft. Besonders problematisch findet Kreiß Zuwendungen aus der Industrie, die Lehrstühle und Professoren finanzieren.

GELDDIKTATUR

In diese Stiftungsprofessuren fließen jährlich zwei Milliarden Euro. Die Nutznießer davon forschten nach Kreiß’ Erkenntnis oft an Projekten der Industrie und erfüllten deren Aufträge. „Das ist ein Irrweg“, befand er, „und hebelt die freie Forschung aus.“ Sie werde von immer mehr Konzerngeldern beeinflusst und von ihnen „ökonomisch vereinnahmt“, in einer Art „Gelddiktatur“.

Science March (c) Goede

Auf Nachfrage von Moderator Günter Löffelmann, ob dadurch die gesamte Forschung verzerrt werde, räumte Kreiß einen relativ geringen Anteil dieser Mittel am Gesamtforschungsvolumen ein. 20 Prozent dieser Drittmittel stehen 80 Prozent von öffentlichen Geldern gegenüber, die in die Arbeit der großen Forschungsgesellschaften wie etwa Deutsche Forschungsgemeinschaft und Max Planck Gesellschaft fließen. Aber auch hieran übte der Volkswirt Kritik.

PROFIT VOR GEMEINWOHL

Über die Verteilung dieser Mittel aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung BMWF werde zum großen Teil vom Hightech-Forum entschieden. In diesem säßen hauptsächlich wiederum Vertreter der Industrie und Wirtschaft. Die Zivilgesellschaft und NGOs seien aber nicht repräsentiert. Dies nannte Kreiß die „Farce von den unabhängigen Staatsmitteln“.

Auf den Einwand von Co-Moderator Wolfgang Goede hin, ob in einer Marktwirtschaft ein wirtschaftliches Übergewicht bei der Mittelverteilung nicht zu erwarten sei, auch um der Konjunktur und Arbeitsplatzsicherung willen, und ob dies vielleicht nicht das geringere Übel sei, eingedenk eklatanten Missbrauchs der Forschung durch den Staat im Dritten Reich, antwortete der Studiogast: Als ehemaliger Investmentbanker wisse er, dass es der Industrie heute um kein Gemeinwohl mehr gehe, sondern drei Ziele, „Profit, Profit, Profit“.

14 MRD. € DIREKT AN HOCHSCHULEN?

Science March (c) Goede

Beispiele dafür seien Manipulationen der Tabak- und Pharmaindustrie, ausführlich dargelegt in Kreiß’ Buch. Als einen weiteren Fall nannte er ein deutsches Institut für Arbeitsrecht. Es sei arbeitgeberfinanziert und vertrete konsequent arbeitgeberfreundliche Positionen. „Die Gewerkschaften haben keine Lehrstühle“, sagte Kreiß und bekräftigte: Geistiges Eigentum werde zu Geldeigentum, Wahrheitssinn und Geist korrumpiert.

Auf die Frage nach Lösungen für dieses Dilemma schlug der Hochschulprofessor vor, die Geldmittel des BMWF unter Umgehung des Hightech-Forums künftig direkt an die Universitäten auszuschütten. Das sind 14 Milliarden Euro.

MEHR GRUNDMITTEL UND TRANSPARENZ!

Löffelmann fragte nach den Verteilungskriterien: Gießkanne, „also gleiche Anteile für onkologische Forschung und keltische Gewandfibeln“, oder ein spezieller Schlüssel? Kreiß schlug vor, dass sich die Höhe der Gelder nach Größe der Hochschulen und Studentenzahlen bemessen sollten. Er habe das Vertrauen, dass die Wissenschaftler das untereinander regeln könnten und auch müssten. Denn auch die Hochschulräte seien von der Industrie dominiert.

Science March (c) Goede

Am Ende einigte sich die Radio-Lora-Debatte auf zwei grundsätzliche Maßnahmen für eine robustere Verankerung der Freiheit der Forschung in Deutschland: Eine verstärkte Grundfinanzierung, seit Jahrzehnten rückläufig, sowie eine viel größere Transparenz bei der Vergabe und Nutzung von Drittmitteln.

Audio-Datei zum Nachhören der Sendung auf der Web-Seite des Wissenschaft-Kontrovers-Moderators Günter Löffelmann

Hintergrund: Science March in Munich: Don’t Mess With Science!

Nächste Sendung Wissenschaft Kontrovers am Donnerstag, 28. September 2017: Ernährung gänzlich ohne Tiere. Utopie oder unsere tägliche Kost von morgen? Stichwort: Post Animal Bioeconomy

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