by Wolfgang Goede | 14. September 2021 00:14
Über Resets und Neustarts. Radio Lora Wissenschaft kontrovers Sendung zu den Bundestagswahlen 2021, Motto: Disruptiv ist attraktiv.
Zu den deutschen Bundestagswahlen im September 2021 veranstaltete das Radio Lora Wissenschaft-kontrovers-Team eine Sendung zu Reset und Neustart. Wie Moderatorin Lisa Popp erklärte, hieß „The Great Reset“ ein Aufruf des Weltwirtschaftsforums 2020 in Davos. Gleichnamig lautet eines vom Gründer Klaus Schwab veröffentlichtes Buch als erste Reaktion auf die Umbrüche und Herausforderungen der Corona Pandemie und Konturen einer neuen weiterführenderen Normalität.
Reset im Doppel
Auch Wolfgang Chr. Goede vom Redaktionsteam hat sich Gedanken über Neustarts gemacht und 20 Einwürfe dazu auf der Plattform der Zivilgesellschaft Maecenta unter dem Titel „Systemischer Reset, jetzt!“ veröffentlicht.
Worin unterscheiden sich die beiden Resets?
Während Schwab auf die Innovationskraft der Wirtschaft für eine neue Zukunft setzt (Moderator Günter Löffelmann: „Alter Wein in neuen Schläuchen“), setzt Goede auf die Innovationskraft von Bürger*innen. Das heißt, dass die Zukunft nicht allein durch die Bundestagswahlen 2021 entschieden wird, sondern viel mehr durch freiwilliges zivilgesellschaftliches Engagement von Bürger*innen: davor-jetzt-und danach.
Drei Eckpunkte zu dieser sozialwissenschaftlichen Reset-Strategie:
Der Einfluss von Bürger*innen und Zivilgesellschaft muss gegenüber dem schwerfälligen politischen Apparat gestärkt werden, durch Bürgerräte an gesellschaftlichen Schaltstellen und einer zivilgesellschaftlichen Kammer im Parlament: als Innovator und Beschleuniger.
Parlamentarische Verkrustungen auflockern durch eine Demarchie. Einen Teil der Bundestagssitze wie die Schöffen in Gerichtsprozessen auslosen: damit Alltags-Perspektive/-Expertise ins demokratische Getriebe säen.
So wie bereits die EU-Forschungspolitik die stärkere Einbeziehung von Bürger*innen in die Wissenschaft, etwa in Entscheidungen über Forschungsprojekte und Evaluation vorsieht, muss diese Beteiligung auf die nationale Ebenen und Deutschland heruntergebrochen werden, damit der Wille des Souveräns, der Bürgerschaft, in die Forschungs-Agenda und die darin eingebetteten Zukunftsvorstellungen eingeht.
Wolfgang verwies auf Hinderungsgründe für solche Reformen. Die liegen nicht nur in Parteien und Forschungsverbänden und deren Verbürokratisierungen, sondern in jedem Menschen selbst. Der Mensch neige von Natur aus zur Bequemlichkeit, wünsche wenig Änderung, keine Experimente. Wer mit neuen Ideen auf sich aufmerksam macht, wird von seinen Mitmenschen und Peers rasch in die Herde zurückgepfiffen.
Corona-Errungenschaften:
Popup-Radwege und Ausschank auf Parkplätzen
Gleichwohl haben sich Menschen in Historie und Evolution für ihre Ideen stets weit aus dem Fenster gelehnt und damit gegen soziale Widerstände Gefolgschaften und Durchsetzungskraft gefunden. Das war oft der Start zu Riesenentwicklungssprüngen, die zumeist von Einzelnen aus dem Mainstream der Gesellschaft hervorgingen, oft ohne gesellschaftshierarchische Legitimierung dafür.
Günter kommentierte, dass im momentanen Wahlkampf die etablierten Parteien wenig von solchem Aufbruchsgeist vermittelten. Deshalb „nicht auf den großen Wurf warten“, empfahl er, sondern mit Mikroprodukten und Ideen eigene kleine Schritte wagen: „Attraktiv ist alles, was disruptiv ist.“ Für langsame Umwälzungen über Jahrzehnte hinweg sei keine Zeit.
Dazu nannte Lisa Beispiele aus dem Lockdown. Popup Fahrradwege in München, jahrelang diskutiert, seien mit Ausbruch der Corona-Krise, Quarantäne und Isolation ganz fix möglich geworden. Ebenso wie das Ausweichen der Gastronomie auf Parkplätze, „das in der Autostadt München, wo Parkplätze heilig sind“ – ein kleiner Aufbruch, fand Lisa.
Die Kraft der Krise für Resets:
Churchill
„Never let a good crisis go to waste“
Was Günter zu dem Churchill-Zitat inspirierte: „Never let a good crisis go to waste”, also: Nutze die Energie von Krisen für den Aufbruch in neue Zukünfte. Das gilt für Politik, Wirtschaft, Forschung. Und Zivilgesellschaft.
Günter beschloss die Sendung mit einem Wahlappell. Er machte den Hörer*innen Mut, sich zu trauen und „mal ein bisschen progressiver zu wählen“. Dadurch werde das Abendland nicht untergehen, wohingegen mit einem Votum für die Konservativen „bleibt alles weiter so wie bisher“:
Alte Normalität und Reformstau, Frust und Demokratiezweifel – kein Reset.
Audiodatei zum Nachhören der Sendung „Reset“
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