Invasion der Exoten

by Wolfgang Goede | 11. Juni 2022 22:18

Artenschutz Extrem war das Thema von Radio Lora Wissenschaft kontrovers im Juni 2022. Wie Moderatorin Lisa Popp erklärte, haben sich in Deutschland 12.000 gebietsfremde Arten angesiedelt, davon sind 10 bis 15 Prozent invasiv – sich stark ausbreitend und andere Arten gefährdend. Zu dem Thema begrüßte sie als Studiogast Dr. Markus Baur, Fachtierarzt und Leiter der Reptilienauffangstation München e.V.

Als Intro bat Popp den Experten, den Satz „meine Lieblingsinvasionsart ist …“ zu vervollständigen. Der antwortete ohne Umschweife „die Hauskatze“. Sie sei gefräßiger als der Marderhund, fresse sich durch Vogelwelt und Wildleben, vermehre sich dazu massenhaft in Europa.

RANDALEBOLZEN

Sorgen bereiten Baur auch die stark anwachsenden Waschbärenpopulationen in Deutschland. Das bis 70 Zentimeter große Tier mit der charakteristisch-drolligen dunklen Augenpartie stammt ursprünglich aus Nord und Mittelamerika. Es kam nach Deutschland zur Haltung in Pelztierfarmen. Ausgebrochene und freigesetzte Tiere verbreiten sich seit der Jahrhundertwende stark. Nur Wolf und Luchs, von denen es allerdings zu wenige gibt, könnten ihnen Einhalt gebieten.

Das Raubtier sei ein Allesfresser und Alleskönner, so Baur, der schwimmen, klettern und graben könne, ein „Randalebolzen“, der gerne auch mal einen Garten und Gartenhaus zerlegt. Weil Waschbären einheimische Arten verdrängen, dürfen sie ganzjährig geschossen werden. Erlegte Muttertiere hinterlassen oft hilflose Welpen, die in der Münchner Auffangstation ein Tierasyl finden.

KASTRIEREN

Baur plädiert für eine „ethische und waidmannsgerechte“ Behandlung der auf den Invasiv-Index gesetzten Arten. Das Waschbär-Problem ließe sich wie bei wild lebenden Katzen simpel lösen: Einfangen-Kastrieren-Wiederfreilassen. Ein tiergerechterer Umgang werde unterdessen von der 2016 in Kraft getretenen EU-Verordnung zur Eindämmung invasiver Arten erschwert, begleitet von der bürokratisch-starren Umsetzung durch deutsche Behörden. Weitgehend fehlen begleitende Managementpläne für die hiervon betroffenen Tierarten, darunter der südamerikanische Nasenbär und die asiatische Hirschart Muntjak.

So leben in der Auffangstation mittlerweile auch mehrere hundert amerikanische Schmuckschildkröten, deren Schicksal nicht geregelt ist. Die europäische Sumpfschildkröte, nach offizieller Lesart nach der Eiszeit verschwunden, bis heute aber an Weihern heimisch, wird den Schmuckschildkröten gleichgestellt und gilt als invasiv. Das heißt, bei der Auffangstelle abgegebenen Fundstücke dürfen unsinnigerweise nicht mehr ausgewildert werden.

DINGO-BINGO

Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten in der Migration der Arten. Popp, diplomierte und praktizierende Biologin, nannte Beispiele. In Nordamerika wurde das ausgerottete uramerikanische Pferde mit dem Mustang ersetzt. Australien setzt auf das Ansiedeln des Dingos bei der Bekämpfung von Fuchs und Katze. Im Yellowstone Park wurden erfolgreich Wölfe ausgesetzt zum Eindämmen der Wapiti-Hirschart, die den Waldzonen großen Schaden zufügte. Und: Erst mal Ruhe zu bewahren lohnt sich! Die Balkan-Miniermotte, die heimische Rostkastanien befällt, erwies sich als wertvolle Futterquelle für Blau- und Kohlmeisen.

Baur ergänzte: Viele heimische Arten wie Molche, Kröten, Eidechsen, gefährdet durch die voranschreitende Zivilisation, haben in stadtnahen Gärten Überlebensbiotope gefunden. Nur könnten heutige Zeitgenossen nicht mehr zwischen Ringelnattern und Kreuzottern unterscheiden; und im Gully entdeckte vermeintliche Krokodile entpuppen sich als harmlose Molche.

RESPEKT!

Beide Experten, Biologin und Tierarzt, stimmten überein, dass es in der Natur kein Richtig und Falsch gebe, sondern nur eine nicht-zielgerichtete Dynamik (Popp); die im Sinne von Josef H. Reichholf auch mit Druck klarkomme und unter Selbigem stets ihre eigenen Wege finde (Baur). Der Mensch sei in diesem Evolutionsgeschehen nicht Krone der Schöpfung, sondern Gleicher unter Gleichen, der vor allem andere Lebewesen zu respektieren lernen müsse.

„Ein bissel mehr gucken und weniger schießen – dann haben wir schon eine bessere Welt“, schloss Dr. Baur, verbunden mit der Bitte um Patenschaften für die heimatlosen Exoten, möglicherweise bis zu ihrem Lebensende in der Auffangstation.

Abschließender Dank an Günter Löffelmann, der die Sendung mitkonzipierte und schnitt für die Audio-Podcast-Version.

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