by Wolfgang Goede | 27. Oktober 2023 17:30
Der Rezensent gesteht: Trotz lebenslangen intensiven Umgangs mit Büchern und bibliophilen Neigungen hat er noch nie ein Sachregister in Anspruch genommen. Vielleicht ein Fehler, eventuell hätte er sich Arbeit ersparen können, hätte ihm das Register noch das eine oder andere Licht aufstecken können. Nach der Lektüre dieser mit viel schreiberischer und verlegerischer Liebe erstellten Register-Historie hat sich sein Blick auf diesen bibliografischen Mehrwert geschärft. Gleichwohl beim Nachforschen in seiner Bibliothek immer weniger Bücher ein Register besitzen und, wenn ja, diese auffällig dünn geworden sind.
Erst seit 500 Jahren haben Bücher Seitenzahlen
Index, eine Geschichte des Vom Suchen und Finden ist ein Werk über das Ordnung-Schaffen in Schreibwerken und Büchern. Eine Struktur war lange nicht möglich. Die antiken Schriftrollen hatten weder Kapitel noch Seitenzahlen. Darin sich zurechtzufinden war unendlich mühselig. Deshalb legten die Griechen und Römer Indexe an, Register, die Inhalte, Merkmale, Schlagwörter erfassten. Das erfolgte nach alphabetischen Kriterien, was vor 2500 Jahren der erste Anfang für mehr Durchblick war.
Erst fast zwei Jahrtausende danach dreht sich das Rad weiter. Mittelalterliche Mönche „extrahierten“ die Bibel und legten ihre wichtigsten Aussagen frei. Geistliche, die sich in klösterlichen Studierstuben damit Lorbeeren erworben hatten, winkten Karrieren im Vatikan. Und dann erst gelang der größte Durchbruch: Gerade erst um 1440, mit Gutenbergs Buchdrucktechnik, wurden Seitenzahlen üblich, sodann auch Inhaltsverzeichnisse sowie das Ausstatten der Register mit Seitenzahlen.
Register – sie sind auch politische Erklärungen
Das Sezieren von Inhalten, vom britischen Autor Dennis Duncan in seiner lebendigen Hands-on Sprache auch mit Keltern verglichen, trat mit der Renaissance und der Aufklärung in seine Hochphase, wobei Duncan die Eckpunkte klärt: dass ein sachlich-objektives Sachregister – damals wie noch heute – eine hohe Kunst ist, von hochprofessionellen Kräften erstellt wurde, in unendlicher Fronarbeit, Erfassen aller Details auf Zetteln und Karteikarten, sodann die Informationen im intellektuellen Hochleistungsmodus zu aussagefähige Listen zu synthetisieren.
Ein gutes Register zerlegt den Inhalt, so wie der Metzger ein Rind oder ein Schwein in seine Einzelteile zerteilt, ordnet und schafft Übersicht, sodass im Idealfall nur das Register gelesen werden muss zum Rezipieren des Buches. Andererseits war Registermachen Vertrauenssache, auch ein sehr subjektives Geschäft. Politiker der „Whigs“-Fraktion verlangten, dass „kein verdammter Tory“ das Register zu ihren Werken erstellte. Was sich andeutet: Register konnten auch auf eine Kommentierung, Satire, Verunglimpfung hinauslaufen, so etwa in einem zitierten Werk, das aus 200 Seiten 44mal den Vorgang des Weinens und Heulens herauszog.
Auch Google folgt der Registerkunst
Insgesamt ist Index sehr anglo-zentrisch. Bei so vielen Einzelheiten und vielen spannenden Exkursen in die Buchkunst hätte man sich auch ein Kapitel gewünscht, wie die lange Zeit kulturell Ton angebenden Araber und Chinesen mit Ordnungssystemen für ihre Schriften umgegangen sind und welche Impulse der Okzident ihnen verdankt.
Am Ende schafft es Duncan, den großen Bogen zu schließen, wie Sachregister und die bibliografischen Zerlegungs- und Ordnungssysteme das Kategorisieren von Wissenschaftsliteratur begünstigten, das Bibliothekswesen beflügelten, ja auch letztlich Programmierer und Algorithmen der Suchmaschinen wie Google, das sich nunmehr in Anlehnung an die ersten abendländischen Ordnungssysteme „Alphabet“ nennt.
Mensch bleibt Maschine überlegen
Gleichwohl beim Registermachen der Mensch der Maschine weiterhin voraus ist, wie Duncun an seinem eigenen Buch demonstriert. Er stellt den Auszug eines maschinenerstellten Registers den 44 Seiten eines menschengemachten gegenüber, die tatsächlich erheblich übersichtlicher, dichter sind und tiefer ins Nervensystem des Buches dringen.
Gleichwohl ein Terminus in diesem Register fehlt, und zwar im ausführlichen Bibliotheken-Cluster, wo man „Bibliophilie“ vergeblich sucht. Schade. Denn darunter hätte ohne Zweifel auch der Name des Autors gehört.
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