by Wolfgang Goede | 27. Januar 2024 22:51
G.W. Pabst war einer der angesagten Regisseure der Weimarer Republik. Er hatte das besondere Händchen für Kameraführung, Ansprache der Schauspieler, besonders den Schnitt. Die von ihm inszenierten Themen waren eher die der linken politischen Bühne, was ihn den Beinamen der „rote Pabst“ einbrachte, weshalb er mit der Machtergreifung der Nazis ins Ausland ging. Doch in Hollywood taugte er nur als Regieassistent. Hier herrschten andere Gesetze und sein kümmerliches Englisch tat ein Übriges. Bei einer Rückkehr nach Österreich zu einem Besuch seiner kranken Mutter wurden er, seine Frau und sein Sohn vom Ausbruch des Zweiten Weltkrieges überrascht. Die Grenzen waren zu, er und seine Filmkunst waren gefangen.
Halb zogen die Nazis ihn, halb sank er hin
In Lichtspiel empfindet der Autor Daniel Kehlmann diese Biografie in den unterschiedlichen Etappen nach, fragt vorsichtig nach: Wie verhält man sich einer Politik, einer Ideologie, einem Regime gegenüber, das auf Unrecht gründet? „Fight or flight“, Kampf oder Flucht, oder ein Arrangement, um leben, überleben, arbeiten zu können, gerade in einem künstlerischen Beruf. Doch Kunst ist wie alles andere bei den Nazis gleichgeschaltet.
So bleibt es nicht aus, dass Pabst schnell eine Einladung nach Berlin ins Propagandaministerium ereilt und Goebbels ihm unmissverständlich, mit Zuckerbrot und Peitsche, klar macht, was er von dem berühmten Filmmenschen erwartet. Der ist im Widerstreit, doch am Ende: halb zogen die Nazis ihn, halb sank er hin – und die anfänglichen Fluchtpläne in die Schweiz geraten immer mehr in Vergessenheit, während der leidenschaftliche Filmkünstler sich in die Arbeit stürzt, sich darin verliert und das politische Elend um sich herum, die Exzesse des Krieges gar nicht wahrnimmt.
Wann werden auch Technikjournalisten zu Tätern?
Der Mann erweist sich als politisches Chamäleon. Kaum ist der Krieg vorbei, ist er schon wieder im Geschäft. Ja, Filmen geht immer, die Massen wollen unterhalten werden – und wenn Kunst mit im Spiel ist, um so besser. Kehlmann stellt in seinem neuesten Werk die Frage nach der Ethik, die angesichts der zunehmenden Polarisierung mit Rechts hochaktuell ist. Auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich immer als Champion gehandelt wird: Die Lasten aus der Nazi-Diktatur sind noch lange nicht aufgearbeitet, die Deutschen war durchweg begeisterte Nazis, einschließlich der protestantischen Pfarrer, nach neuesten historischen Untersuchungen wichtige Vasallen der Hitlerei.
Die Journalistenvereinigung TELI hatte Anfang dieses Jahrhunderts die Beteiligung und Verwicklung von Technik- und Wissenschaftsjournalisten am braunen Terrorregime herausgearbeitet, als Publikation herausgegeben und auf seine Webseite gestellt. Die Dokumentation ist allerdings ziemlich allgemein geblieben und ließe sich in einer Überarbeitung bestimmt präzisieren, wie sich Technikjournalisten den Nazis ausgeliefert haben, wo sie Interpretationsspielräume wahrgenommen haben, wer sich widersetzt hat. Grundsätzlich waren aber Wissenschaft und Technik sowie auch ihre Kommunikatoren voll in Resonanz mit dem System.
Propagandist, aber kein Scharfmacher
Lichtspiel bleibt wie die TELI-Dokumentation vage. So packend der Pabstsche Lebensweg dargestellt wird, speziell auch in der einschüchternden Nazi-Welt, man wünschte sich klarere Kante, wie sich der berühmte Filmemacher durch Parteivorgaben lavierte, wieviel Propaganda seine Werke enthalten, nur eines war er wohl nicht, ein Scharfmacher.
Insofern knüpft Kehlmann nur schwer an seine grandiosen Meisterwerke Die Vermessung der Welt und Tyll an, die thematisch zu klareren Aussagen gelangten. Aber vielleicht ist es auch literarische Absicht, die Leserschaft nicht an die Leine zu nehmen, sondern sich selbst aus den Andeutungen ein Bild zu machen. Auch das ist (Schreib-)Kunst, in der Literatur vielleicht sogar ihre zentrale Funktion.
Was ist mit dem letzten Film passiert?
Die Strafe für seinen Opportunismus? Nach Kriegsende versinkt der Romanheld in düsterer Depression. Sein in den letzten Kriegswochen bereits im Bombenhagel mit höchstem Einsatz und Passion gedrehter Film geht auf der Flucht verloren. Aber nicht so richtig. Die sieben Filmrollen sind beim Assistenten gelandet, der aus nicht ganz geklärten Motiven darauf einfach sitzen bleibt und später mit ins Grab nimmt. So banal kann eine glanzvolle Karriere enden.
Daniel Kehlmann
Lichtspiel
Rowohlt 2023
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