by Wolfgang Goede | 10. Februar 2024 00:23
Nein, das ist keine Büttenrede aus dem Kölner Karneval 2024! Jean Pütz, studierter Ingenieur, renommierter Wissenschaftsjournalist, TV-Legende (WDR Hobbythek), langjähriges TELI-Mitglied meint dies todernst: Mit Solarkraftwerken in den Wüstenregionen der Welt, die der Luft das Wasser entziehen, ließe sich die ganze Welt mit Energie beliefern, ohne Limit.
„Klimarettung JA!“
Das rechnet Pütz vor in seiner neuesten Publikation Wohlstand und Wachstum ohne Reue. Klimarettung JA! Deindustrialisierung NEIN!, zum Dubai Klimagipfel bei Diplomatic Council. Global Think Tank in Deutsch wie auch Englisch erschienen, mit Co-Redaktion von Andreas Dripke. Es ist Pütz‘ „71. und seiner Meinung nach sein wichtigstes Buch“, erläutert der Verlag.
Pützens Ansatz ist keine Raketenwissenschaft, im Gegenteil. Die hohen Temperaturen in Wüsten machen jene zu idealen Standorten für Solarkraftwerke. Mit dem gewonnenen Strom ließe sich Wasser H2O aufspalten – elektrolysieren – in seine Grundbestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. Mit dem würden dann Kraftwerke, Automobile, Energieverbraucher betrieben.
Nur: Das Kalkül leidet unter einem Dilemma. Die Wüsten der Welt sind meist weit entfernt von ausreichenden Wasserquellen.
Wasser aus der Luft
Das löst Pütz so. Das benötigte Wasser wird aus der Wüstenluft gewonnen. Deren Feuchte fällt nachts bei sinkenden Temperaturen aus, ernährt Tiere und Pflanzen, wird seit langem übrigens von Wüstenbewohnern mit Netzen aufgefangen. Nach der Reinigung erfolgt die Elektrolyse und fertig ist „grünes Methanol“: CH3OH; ein Kohlenstoffatom (C), vier Wasserstoffatome (H), ein Sauerstoffatom (O).
Pütz preist seinen Vorteil, dass die Methanol-Gewinnung den „CO2-Gehalt der Atmosphäre reduziert“ (S. 67), räumt aber gleichzeitig ein, dass „es bei der Reaktion CO2 abgibt“, aber damit nicht in die Ideologie der Dekarbonisierung passe (S. 44), weshalb „die grünen Ideologen es sozusagen verdammen“.
Das ist eine Spur polemisch, heißt aber im Klartext: Erst reduzieren, dann wieder freisetzen, das ist ein Nullsummenspiel, aber: Methanol ist flüssig wie Benzin, weniger gefährlich als Wasserstoff, gut transportierbar, auch über lange Wege – damit ideal?
Schönheitsfehler der Ampel
Selbst mit dem Twist, CO2 raus – und dann wieder rein, scheint Methanol aus Wüstenkraftwerken eine attraktive Option in den Szenarien der umweltfreundlich-drängenden Energiegewinnung. Realistischer jedenfalls, als was die derzeitig Ampel-Regierung bewirbt, etwa grünen Wasserstoff aus der Guajira Wüste Kolumbiens. Den eingewobenen Schönheitsfehler haben bisher Wenige bemerkt. Das Wasser käme aus der angrenzenden Karibik, aber die Elektrolyse von Salzwasser ist technisch bisher noch nicht möglich bzw. müsste mit riesigem Energieaufwand zuvor in Süßwasser umgewandelt werden.
Zu Recht erwähnt Pütz das mit viel Hype in den Nuller-Jahren gefeierte Desertec Projekt. Das sollte aus Wüstenkraftwerken in der Sahara via Stromleitungen Europa mit Energie versorgen. Es verschwand sang- und klanglos in den Schubladen, auch deshalb, weil die unruhigen politischen Verhältnisse auf dem afrikanischen Kontinent keine wirtschaftliche Sicherheit boten. Stattdessen, und ironischerweise, ließ sich Merkel-Deutschland auf das räumlich nähere Russengas ein, was mit dem Angriff Putins auf die Ukraine platzte und zur bis derzeit ungelösten Energiekrise führte.
Noch mehr Abhängigkeit?
Solche Abhängigkeiten müsste eine weitsichtige Energiepolitik verhindern, aber: Die meisten Wüsten der Welt liegen in politisch nicht besonders verlässlichen Regionen. Pütz benennt sie mit dem veralteten Terminus „Entwicklungsländer“, die sich mittlerweile als Teil des Globalen Südens verstehen. Was bereits auch das Problem markiert, nämlich die neue Machtposition und Spannung zum Globalen Norden, der mit seiner früheren Kolonialpolitik ebenso wie modernen Wirtschaftspolitik die „Unterentwicklung“ mit hervorgebracht hat.
Insofern steht Global-Süd, dem Wirtschafts- und Ressourcen-Riesen wie Brasilien und Indien angehören, China und Russland eher näher als Europa und den USA. Der Norden ginge mit Methanol-Wüsten-Kraftwerken eine neue, eventuell nicht weniger riskante Abhängigkeit ein, aus der zumindest Deutschland gerade erst mit einer krachenden Bauchlandung erwacht ist. Mit dem Ukraine-Krieg, dem unaufhörlichen Aufstieg Chinas zur Weltmacht, dem sich andeutenden Rückzug der USA als Schutzmacht Europas manifestiert sich ein tiefgreifender Umbruch der bisher herrschenden Welt- und Werteordnung.
Die Methanol-Luft-Strategie ist zwar technologisch bestechend, nur: politisch-wirtschaftlich mit immensen Investitionen in sehr weit entfernte und für Global-Nord mittelfristig volatile Weltregionen ein Lotteriespiel, so wie zuvor mit Russland. Aber: Sie sind eine Option und müssen debattiert, nicht totgeschwiegen werden, insofern: Jean Pütz, bitte nicht lockerlassen, im weiterhin unerschrockenen-humorigen Freigeist, wie wir es von ihm seit Jahrzehnten gewohnt sind.
… und künstliche Photosynthese?
Im Abgang vielleicht nur noch der Hinweis auf eine andere, visionär-alternative Energietechnologie, die künstliche Photosynthese, in den 10-er Jahren von acatech propagiert, mittlerweile leider vergessen. Strom aus Kunstwäldern am Ortsrand: Das Einfachere läge doch so nahe.
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