Jane Goodall 90: Mut und Demut in Diensten der Natur

by Wolfgang Goede | 14. April 2024 12:08

Alles was … wir von Jane Goodall lernen können. Die Primatenforscherin, UN-Friedensbotschafterin und Umweltaktivistin feierte Anfang April 2024 ihren 90ten Geburtstag. Jahrzehntelang lebte sie mit Schimpansen im Dschungel von Gombe/Tansania zusammen. Als erste beobachtete sie, wie Schimpansen Werkzeuge herstellen und in menschenähnlichen Sozialstrukturen leben. Der Mensch, Krone der Schöpfung – das Dogma hat Goodall gründlich erschüttert und unser Menschen- und Naturverständnis zurechtgerückt. Heute gehen Schimpansenpopulationen drastisch zurück und sind ein alarmierendes Signal des Artensterbens, Zusammenbrechens von Ökosystemen, menschlichen Raubbaus an der Natur. Dies und Rettungsmaßnahmen waren das Thema der Radio Lora 92,4 April-Wissenschaftssendung. Im Studio zu Gast war Dr. Ulrike Beckmann, Tiermedizinerin und wissenschaftliche Beraterin im Vorstand des Jane Goodall Instituts Deutschland.

Inspirator Tarzan

Als älteste von drei Schwestern und Tochter eines Ingenieurs und einer Schriftstellerin wurde Jane Goodall am 3. April 1934 in London, England, geboren. Schon in jungen Jahren hegte sie eine tiefe Liebe zur Natur und zu Tieren, ihre Lieblingsbücher waren Dr. Dolittle und Tarzan. In ihrer Autobiographie Grund zur Hoffnung (2021) beschreibt sie ihre eigene Kindheit als eine Zeit voller Neugier, Abenteuerlust, Liebe und Humor.

„Dort oben, hoch über dem Erdboden, konnte ich mit dem Leben des Baums verwachsen, mich mit ihm wiegen, wenn der Wind stark blies, dem Rascheln der Blätter ganz nahe sein. Der Gesang der Vögel klang dort oben anders, klarer und lauter. Manchmal meinte ich, wenn ich meine Wange an den Stamm preßte, den Saft, das Lebensblut der Buche, unter der Rinde steigen zu spüren. Dort oben in meiner privaten grünen Blätterwelt pflegte ich auch zu lesen. Ich glaube, ich habe alle Tarzanbücher in luftiger Höhe gelesen! Es waren diese Tagträume von einem Urwaldleben an der Seite Tarzens, die in mir den Entschluss reifen ließen, nach Afrika zu gehen, mit Tieren zusammenzuleben und Bücher über sie zu schreiben.“

Der Mentor

In den 1950er Jahren schloß Jane die Sekretärinnenschule ab. Ihr Weg zur Spitze der internationalen Wissenschafts-Community begann, als sie 23 Jahre jung nach Afrika reiste, um eine Freundin zu besuchen. Dort lernte sie den berühmten Paläontologen und Anthropologen Dr. Louis Leakey kennen, der sie als Privatsekretärin engagierte. Leaky und seine Frau erforschten die evolutionären Ursprünge der ersten Menschen und waren auf der Suche nach dem Missing Link zwischen Affe und Mensch. Leakys Interesse galt den Menschenaffen, deren Verhalten vielleicht auf das der menschlichen Steinzeitvorfahren Rückschlüsse zulassen würde.

Er sah in Jane die perfekte Besetzung für eine neuartige Feldstudie über Schimpansen. So kam es, dass sie 1960 gemeinsam mit ihrer Mutter als Unterstützung ihr Zelt im Gombe Stream Nationalpark aufschlug. Mit wenig mehr als einem Notizbuch und einem unerschütterlichen Willen begann Goodall ihr Studium. Inmitten des dichten Dschungels begann sie, das Verhalten von Schimpansen aufzuzeichnen. Ihre Beobachtungen waren revolutionär.

Die Entdeckung

„Ich richtete rasch mein Fernglas auf die Stelle und sah, dass es sich um einen einzelnen Schimpansen handelte, einen erwachsenen Mann. Ich hatte ihn David Greybeard genannt wegen seiner hellen Bartbehaarung. Er saß auf dem roten Erdhügel eines Termitennests und stieß immer wieder einen Grashalm in ein Loch. Nach einer Weile zog er den Halm vorsichtig heraus und lutschte etwas davon ab. Als er fort war, ging ich zu dem Termintenhügel. Abgerissene Grashalme lagen überall herum. Ich ahmte nach, was David gemacht hatte, und als ich meinen Grashalm herauszog, hatten sich Termiten mit ihren Kiefern daran geklammert.“

Die Erkenntnis, dass Schimpansen Werkzeuge verwenden, war absolut neu. Als Goodall die Neuigkeiten Leaky telegrafiert, antwortet der mit dem berühmten Ausspruch: „Aha! Dann müssen wir jetzt entweder den Menschen oder den Werkzeugbegriff neu definieren oder Schimpansen als Menschen akzeptieren!“

Engste Verwandte

Im Laufe der folgenden 25 Jahre der Forschung registrierte Goodall viele weitere Erkenntnisse über Schimpansen, darunter Emotionen wie Freude, Trauer, Angst, Aggression. Schimpansen bilden Allianzen, haben soziale Rangordnungen, sind sogar zu politischen Intrigen fähig. Eine komplexe nonverbale Kommunikation gestattet ihnen, Informationen über Gefahren, Nahrungsquellen und soziale Beziehungen auszutauschen.

Die Verhaltensforschung ab den 1970er Jahren demonstrierte, dass Primaten und unter ihnen auch Gorillas und Organ-Utans über erstaunliche kognitive Fähigkeiten verfügen, einschließlich Problemlösungsfähigkeiten, Sprachverständnis, sogar Empathie. Genetische Studien ab den 1980ern haben unsere enge Verwandtschaft zu den Menschenaffen offengelegt.

Ethik-Umbrüche

Jane Goodalls Erkenntnisse planierten den Weg zu weiteren forscherischen Meilensteinen. Heute wissen wir, dass auch Krähen, Ottern, sogar Fische Werkzeuge einsetzen. Elefanten, Delfine, Raben zeigen Mitgefühl, trösten einander in Zeiten der Not und kümmern sich um verletzte oder kranke Gruppenmitglieder. Wale, Elefanten und Elstern bestehen den Spiegeltest – nehmen sich in ihrem Spiegelbild selbst wahr, was auf eine gewisse Ich-Wahrnehmung hinweist.

Diese Erkenntnisse warfen wichtige ethische Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Tieren in Landwirtschaft, Forschung und Unterhaltung, und haben das Bewusstsein für den Tierschutz und die Rechte von Tieren sowie Tierwohl weltweit gestärkt.

Die Aktivistin

In Tansania wurde Goodall Zeugin der zunehmenden Zerstörung der Lebensräume von Schimpansen und anderer Tierarten durch Abholzung, Wilderei, Menscheneingriffe jeder Art. Um ihre Forschung in Gombe finanziell zu sichern, gründete sie 1977 in den USA das Jane Goodall Institute. In den darauffolgenden Jahren veröffentlichte sie Bücher über ihre Forschung und hielt Vorlesungen an Universitäten als Gastprofessorin.

„Im Oktober 1983 änderte sich mein Leben für immer. Es war eine indirekte Folge der Veröffentlichung von The Chimpanzees of Gombe bei der Harward University Press. Der Direktor der Akademie der Wissenschaften in Chicago macht den Vorschlag, zur Feier der Veröffentlichung des Buches eine Konferenz zum besseren Verständnis von Schimpansen abzuhalten. Understanding Chimpanzees. Fast alle großen Namen aus der Schimpansenforschung waren da. Die Konferenz dauerte vier Tage, aber ihre Nachwirkungen waren deutlich länger zu spüren. Für mich brachte sie eine radikale Wende mit sich. Als ich in Chicago ankam, war ich noch Forscherin und hatte vor, einen zweiten Band über die Schimpansen von Gombe zu schreiben. Beim Abschied hatte ich mich in meinem Herzen bereits dem Natur- und Artenschutz und der Öffentlichkeitsarbeit verpflichtet.“

Institutionelle Verankerung

Goodall wollte das Bewusstsein für Umweltthemen schärfen. Sie wurde mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt, darunter UN-Friedensbotschafterin und Ehrendoktortitel von renommierten Universitäten weltweit. Auch im hohen Alter reist sie im Flugzeug noch um die Welt, um mit ihren Geschichten Menschen für den Naturschutz zu inspirieren. Sie hat es geschafft, aus einem Nischen-Thema eine globale Agenda zu schaffen. Mittlerweile gibt es in über 30 Ländern Jane Goodall Institute, ihr 1991 ins Leben gerufene Kinder- und Jugendprogramm Roots & Shoots ist sogar in mehr als 60 Ländern vertreten.

Die britische Vogue nannte anlässlich ihres 90. Geburtstages neun Life Lessons der Jane Goodall:

Work hard, Find common ground, Have empathy, Be a supportive parent, Don’t be afraid to change your mind, Everyone can have an impact, Be true to yourself, Everything happens for a reason, If you’re feeling helpless, do something: Mut und Demut, Forschungs-Freude, Hoffnung, Respekt vor allen Lebewesen.

Grand Lady

Die mit Dschungellauten hinterlegte Sendung wurde kuratiert und moderiert von Lisa Popp, Günter Löffelmann, Saman Naeini, Wolfgang Goede. Angesprochen wurde auch das Titelbild der Geo-Edition 03-2024, von dem ein Menschenaffe ängstlich in die Welt blickt unter dem Titel „Einer von uns“. Was die Frage aufwirft, ob Natur und Tier nicht Menschenrechte verdienten und wie sich solche realisieren ließen; und provokativ gerne auch, ob Schimpansen nicht die besseren Menschen wären (s. auch Leakey-Zitat oben!). Auch wie weit Umweltaktivisten gehen dürfen, stand zur Debatte, ob Diplomatie und Spendenkampagnen für eine Naturwende reichen? Es bleibt sehr viel zu tun und Jane ist ein Zeichen des Aufbruchs zu neuem, weithin immer noch überfälligen Denken. Sie bleibt, in einmütigem Resümee, eine Grand Lady der Wissenschaft und großes Signal der Hoffnung.

Die Zitate stammen aus der Autobiographie Grund zur Hoffnung von Jane Goodall in Zusammenarbeit mit Phillip Berman.

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