Don Quijote gegen Angstmühlen

by Wolfgang Goede | 21. April 2024 09:41

Das Bild brennt sich ein. Ein Don Quijote der Philosophie, der gegen die mentalen Unbilden der Welt anreitet. Ohne Helm und Rüstung, dafür mit einem Stapel Wissenschaftsbücher. Sein Gegner sind keine trivialen Mühlenflügel, sondern nichts Geringeres als die Angst. Der Mann hat ein Geburtstrauma, er erstickte fast am Fruchtwasser, was ihm später wiederkehrend Luftnot und Asthma einbrockt – mit Panikattacken.

Auto-Angst-Therapie

Darüber hinaus teilt er ein verbreitetes Leid seiner Zeitgenossen: im Laufrad des sich Selbst-Optimierens und High-Performens bleibt er unglücklich. Sein innerer Kritiker, sein „Großinquisitor“ klatscht ihm seine Mängel ständig um die Ohren, womit er sich unablässig ins „Eskalationstheater“ der Angst jagt.

FOMO – „fear of missing out“: Der Individualismus in den liberalen Wettbewerbsgesellschaften und der Kapitalismus treiben die Menschen vor sich hin, hechelnd, zweifelnd, mental-psychisch kränkelnd.  

In Herr G. hat Angst ist der Titelheld der Autor Thorsten Glotzmann selbst. Sein Ziel ist, wie er humorig einräumt, fast größenwahnsinnig, sich von seinen Ängsten zu therapieren.

Angst als dienender Geist

Die Lektüre hinterlässt den Eindruck, dass er dabei auf gutem Wege ist. Schreiben gegen Ängste ist ein altes und verlässliches Rezept. Das Werk ist spannend, überraschend, geistig spritzig, vor allem breitbandig und transdisziplinär. Eine philosophische Hausapotheke gegen Ängste ist ein Novum in der immer breiteren Palette der Angstbücher und Lebenshelfer.

Auf seiner großen Angstreise durch die Jahrhunderte arbeitet sich der Autor an den antiken Philosophen ab ebenso wie den modernen Denkern über Skepsis und Zweifel, Angst und Tod, insbesondere den Herren Kierkegaard und Sartre. Ersteren, den Dänen zitiert der Autor mit „je tiefer er sich ängstigt, desto größer ist der Mensch“; letzteren, den Franzosen mit „Angst ist das reflexive Erfassen der Freiheit durch sich selbst“.

Angst ist sozusagen das Salz in der Suppe des Lebens, Schutzmechanismus wie Brandmauer ebenso wie, so Kierkegaard „ein dienender Geist“.

Angstbefreiung durch Tod

Die Freiheit unserer Gesellschaft, so oft gerade in diesen Tagen in Demokratie-Diskursen deklamiert und reklamiert, birgt das Risiko des Fehlens und Scheiterns. Wer aus der unter allen Menschen verbreiteten Herdenmentalität mutig ausbricht, eine eigene Meinung vertritt, als Freigeist neue Akzente setzt in Wirtschaft oder Politik, Wissenschaft oder Gesundheitsfürsorge, wird auf Widerstände treffen. Das bereitet Angst und lässt die meisten Menschen unauffällig im Hauptstrom mitpaddeln.

Der Autor gräbt weiter bis zum Existenzialismus, nach dem eigentlich nur jene Angst überwinden können, die sich mit dem Tode abfinden. Der aber, wie zum Troste, oft ganz sanft anklopfe und den Menschen praktisch entführe. Diese Pille muss man erst mal schlucken, aber im Abgang ist sie gar nicht so bitter, sondern heilsam. Demut vorm Sein ist gefragt.

Ewige Angstkreisläufe

Am Ende landet Herr G(lotzmann) im Spirituellen, dass letztendlich nur Meditation von Angst befreit: sich in Raum und Zeit verlieren, an nichts mehr denken, in Selbstauflösung zu einer Art Welle werden, wie es der Buddhismus vorlebt – die ultima ratio?

Nicht ganz. Nicht nur im Schlager sind wir „Sternenstaub“. Ganz real und physikalisch nachgewiesen werden unsere Atome im Kosmos laufend recycelt und zu neuer Materie und Lebewesen verbacken. Auskoppeln aus diesem Zyklus gelingt nicht mal durch Suizid. Wir und die Angst werden immer wieder neuerschaffen in einer Art ewigen Existenz der Evolution.

Für manche, noch gewöhnungsbedürftiger, sind Erkenntnisse aus der Quantenmechanik, dass jedes Teilchen Zwillinge hat, die synchron und verschränkt miteinander agieren, wir demnach überall im Kosmos Doppelgänger haben könnten, auch auf alle Ewigkeit?

Angst-Tipps!

Das ist eine große Bühne. Wem nicht nur an Angstphilosophie und -kosmologie, sondern konkreten Bewältigungstechniken gelegen ist – auch die kommen in diesem Opus auf ihre Kosten. Wen öffentliche Redeangst plagt, sollte sich, ein alter Tipp, sein Publikum nicht nur nackt vorstellen, sondern selbiges in Atome zerlegen, rät der Autor. Ausprobieren!

Grundsätzlich sind diejenigen vor Angst besser geschützt, die das Leben nicht so ernst, mehr als Spiel begreifen, was sich mit Kindern erlernen lässt. In eine ähnliche Kerbe schlägt Humor, eigene Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit in einen Witz zu kleiden und mit anderen darüber abzulachen. Echt befreiend!

Auch das für Selbst- und Angstselbsthilfe elementare Ehrenamt kommt zu Ehren. Etwas für andere, speziell mit anderen zu unternehmen zum Wohle des großen Ganzen als Teil der Zivilgesellschaft vertreibt Ängste, stiftet Zufriedenheit, auch Glück, viel mehr als materialistisch gesteuerte Motivation. Intrinsisches gewinnt!

Wille gegen Angst?

Und hier noch ein paar olle Kamellen: Atemtechniken (langsamer aus als ein) oder Kopfkino/Puppenspiel (angstbesetzte Situationen angstbefreiend im Auto-Modus durchspielen). All diese Tipps sind rein kognitiv, willentlich herbeigeführt, nicht durch noble philosophische Weisheitssuche.

Dieser schöne Angst-Strauß kann funktionieren, muss aber nicht, denn auch der Wille ist ein launischer Geselle, die hehren Tore des Willens erweisen sich am Ende oft als nicht sooo hehr, insofern darf und muss der große Schopenhauer den Schlusspunkt setzen, auch unter die Angst, mit:

„Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“

Thorsten Glotzmann
Herr G. hat Angst
Und macht sich auf eine Reise durch Philosophie und Spiritualität
Berlin Verlag 2024

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