by Wolfgang Goede | 23. Mai 2024 08:08
Das E-Book flatterte mir überraschend in den Rechner und nachdem einige Medien mich bereits darauf aufmerksam gemacht hatten, war ich neugierig und browste durchs Opus: 150 Seiten übers Altern der Bestsellerautorin Elke Heidenreich, die ihr 80. Lebensjahr vollendet hat. Leichte Lektüre, partiell tiefsinnig, im großen Ganzen eine Aneinanderreihung vieler Zitate von vielen intellektuellen Menschen aus dem Laufe der Geschichte, verbunden mit Heidenreichs eigenen Erinnerungen und Reflexionen.
„Zur Hölle mit euch!“
So erfolgreich wie sie hätten viele Schreibende und Medienschaffende sein mögen – doch am Ende bleibt der Eindruck, dass die preisgekrönte Autorin irgendwie auf Kriegsfuß mit ihrem Leben steht, trotzig Trost sucht (?), was auch ihrer unschönen Kindheit und dem vielfach erwähnten Drachen von Mutter geschuldet sein mag, was alles dazu beitrug, dass sie nie eine Familie gründete, auch eine Schwangerschaft abtrieb, als sexuell befreite 68erin, wie sie mehrfach wiederholt, keine Liebe verschmähte. Umgeben von unzähligen Tagebüchern, die in einer Unmenge von Aktenordnern abgelegte Korrespondenz eines übervollen beruflichen Lebens, tausende Bücher in einem neugezimmerten Bücherregal, ein jugendlicherer Musikerfreund und -partner, ein junger Hund sind ihr geblieben. Ansonsten wünscht sie in ihrem selbst verfassten Nachruf alle zur Hölle, will auf keine Partys mehr eingeladen werden, nur ihre Ruhe haben.
Hm. Na ja, sie muss ja keinem und keiner mehr gefallen. Dem mittlerweile der Siebziger-Mitte entgegenstrebenden Rezensenten, mit Heidenreichs Gedanken durchaus vertraut, schlägt eine Zerrissenheit entgegen zwischen Rechtfertigung des eigenen, die Konventionen herausfordernden und frechen Lebens, ein Aufbäumen gegenüber der aktuellen Entwertung lieb gewordener Ethik in den Umbrüchen von Klimakrise, Demokratieverlusten, Digitalisierung. Resignation steht zwischen den Zeilen. Im Frieden mit sich ist sie wohl nicht, obwohl viele ihrer Zitate von älter werdenden Kulturmenschen dazu auffordern, weil ja dem täglich näher rückenden Tode eh nicht zu entkommen sei. Nun gut, was bleibt nach drei Stunden Lektüre?
Schön lockere Prosa, viel Altersfilosofie, die sich allerdings im Kreise dreht, in einer Art Fleißarbeit, im Abgang inhaltlich eher breiig, ohne das Wow-Erlebnis, den Blitzeinschlag, yeah, so ist das also! Vielleicht hätte Elke Heidenreich den Antrag des Verlages, dieses Alterswerk zu schreiben, doch ablehnen sollen, was offensichtlich ihr anfänglicher Impuls war. Das Buchcover mit den Blümchen ist auch keine Liebesgeste. Dieses Extrinsisch-Fremdbestimmte ist dem Buch anzumerken, zu müssen statt zu wollen, für etwas mit Feuer kämpfen zu wollen, was vielleicht auch ein Symptom unserer Zeit ist, sich wie ein Tau der Depression über so Viele gesenkt hat.
Zwiebel weiter schälen!
Also, liebe Elke Heidenreich, falls Sie dies lesen sollten, nicht hierüber mokieren, sondern den Ruderergruß bitte entgegennehmen: DRAN BLEIBEN, besonders im (Lebens-)Spurt im Wettlauf mit dem von Ihnen beschriebenen unvermeidlichen Todespfeil. Die Zwiebel ist noch lange nicht geschält. Unter der derzeitigen Schicht steckt eine weitere, stecken viele andere. Die zu entdecken wäre doch unsere vornehmste Lebenspflicht bis zum letzten Atemzug, oder?
Elke Heidenreich
Altern
Hanser Verlag 2024
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