by Wolfgang Goede | 18. August 2024 08:56
Hannah Arendt steht für die Freiheit des Denkens und Handelns. Bekannt wurde die charismatische Frau vor allem durch ihre Eichmann-Berichterstattung. Ihre Beschreibung des NS-Täters als Inbegriff der „Banalität des Bösen“ ist historisch. Arendts Maxime von „Denken ohne Geländer“, „Wahrheit gibt es nur zu zweien“, „wir sind frei, frei zu sein“ sind Teil unseres Ethik-Kompasses.
Arendt, Kant und Heidegger
Zwei aktuelle 2024 Bücher gehen ihren Spuren nach. Hannah Arend im Gepäck ist angenehm kleinformatig, reisetauglich. Es geht ihrer Einbettung im europäischen Geistesleben von der Antike bis zur Aufklärung nach. Das voluminösere Wir sind frei, die Welt zu verändern zeichnet ihren Lebensweg von den Anfängen in Hannover, den prägenden Jahren in Königsberg und Marburg sowie ihrer Flucht, Emigration und Jahre in den USA nach. Die unterschiedlichen Ansätze sorgen für eine kontrastreich-stimulierende Lesekost.
Das „Arendt-Reisegepäck“ bemüht sich in Anlehnung ans GPS um ein PPS, „Political Positioning System“. Daraus treten drei Wegweisungen hervor. Wie vor allem der Kantianische Freiheitsbegriff mit dem Mut zum eigenen Verstand Arendt geprägt hat; wie sie im öffentlichen Bürger-Sein ihre Bestimmung erblickte, ausgedrückt im Tocqueville-Zitat vom „pursuit of public happiness“; und wie im Diskurs hierüber Machiavelli eine neue Statur gewinnt, seine amoralische Machtgeilheit zugunsten eines Dienstes an Staat und Gesellschaft zurückweicht, nämlich im „republikgefälligen Leben“ sein Glück zu suchen statt im Himmel und Jenseits. Das war gegen das Primat des Christentums seiner Zeit, überliefert in Kunst und Kirchen, ein quasi-subversiver Angriff.
In Wir sind frei, die Welt zu verändern taucht immer wieder Arendts Liebesverhältnis zu Heidegger auf, ihrem Mentor, von den Nazis zum Rektor der Universität Freiburg berufen. Die verfolgte Jüdin und Aufklärerin und der in seiner Rhetorik dem Regime Nahestehende – ein No-No, eigentlich. Trotzdem trug Arendt nach dem Kriege zu seiner Entlastung bei, auch mit dem Vergleich eines Fuchses, der sich in seinem eigenen Labyrinth verrannte.
Vom Stift in den Mund
Ironischerweise trifft Arendt in ihrem US-Exil auf einen ähnlichen Rassismus, der sie aus Deutschland vertrieb, den der US-amerikanischen meist europastämmigen Weißen gegen die Afro-Amerikaner und ehemaligen Sklaven. Arendt war eine Anwältin des Wortes und wenn man der Autorin folgt, einer britischen Humanities-Professorin, hätte man in diesem Konflikt mehr Einsatz der berühmten Exilantin erwarten dürfen, selbigen auch in der Tat.
Deren Leben das Buch verdienstvollerweise mit vielen Fotos begleitet, bei denen auffällt, dass ihr zeit ihres Lebens ein eher männlichen Habitus zueigen war. Was der akribisch-empathischen Recherche und dem Hands-on-Stil fehlt: wie Arendt „vom Stift in den Mund“ lebend drei Jahrzehnte lang ihr Leben in den USA bestritt.
Beide Werke sind rechtschreiberisch nicht fehlerfrei. Über die „monadenhaften Einzelgänger“ des einen werden viele flüssig hinweglesen, während „John f. Kennedy“ im anderen für die meisten ein Stolperstein sein dürfte.
Prometheus und Despot
Was bleibt am Ende? Dass es überall menschelt, auch Heldenfiguren Patina ansetzen, die Anweisung zum diesseitig-irdischen Zupacken auch bei Arendt eher ein akademisches Postulat bleibt und vor allem keine Garantie für gedeihlichen Fortschritt ist. Schwingt der handelnde Mensch sich doch immer wieder zu Prometheus auf und missbraucht als Despot seine Handlungsmacht. Mit Arendt, die etablierten Machtverhältnisse sollten wir stets anzweifeln, uns in Wort, auch Tat auf den Weg machen, wo wir aber ankommen, bleibt offen.
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