by Wolfgang Goede | 24. August 2024 18:00
Die ewige Frage nach Henne oder Ei ließe sich mit der britischen Anthropologin und Hühnerfreundin Sally Coulthard ganz machohaft mit „Hahn“ beantworten. Das männliche Geschlecht der Hühner gilt seit der Urzeit als Inbegriff von Stolz, Schönheit, Kampfesgeist. Davon zeugen die bis heute zelebrierten Hahnenkämpfe. Der Gockel frühes Krähen galt als Zeichen eiserner Disziplin, inspirierte Krieger, so wie der Hahn auf dem Kirchturm uns Mut signalisiert. Wenn da sein weibliches Pendent die Henne nicht wäre!
Zwischen Kloakenkuss und Gottesstatus
Das feminine Geschlecht gilt als kooperativ, Pazifistin, und hat dem Gockel durch die selektive Wahl weniger aggressiver Begattungspartner sozusagen den Zahn, pardon Penis gezogen. Der verkümmerte offensichtlich in der über 60 Millionen Jahre langen Evolutionsgeschichte des Federviehs, so die These der Autorin und der Hühnerforschung. Der Begattungsakt ist der sogenannte „Kloakenkuss“, bei dem Hahn und Henne für den Besamungsvorgang zwei Körperöffnungen aufeinanderpressen. Dabei findet der männliche Part in Abwesenheit eines Penis keinen Halt, eiert herum, weshalb er sich am Hals der Partnerin festklammert. Deshalb erscheint der eigentlich harmlose Akt aggressiver als er tatsächlich ist.
Insofern hat die Henne im Hühnerstall weiterhin das Krönchen auf, die ja auch die von unserer Frühstückstafel nicht wegdenkbaren Eier liefert. Nicht nur an Ostern, ganzjährig und rund um den Globus gelten sie als Symbol der Fruchtbarkeit, Geburt, Schöpfung, ja erreichen sogar Gottesstatus.
Das Buch Am Anfang war das Huhn überrascht mit vielen Infos, die den meisten Eier- und Hühneressern unbekannt sein dürften – hier die spannendsten aus der großen Fülle:
Die mit Hühnern aufgewachsene Autorin macht aus ihrem Unwillen über die Exzesse moderner Agrarwirtschaft und Fleischproduktion keine Mördergrube. Sie wundert sich über unser Entzücken über die so niedlichen Küken, die uns indes nicht abhalten, Hühnerkeulen und Flügel aus dem Fast-Food Bizz gleich eimerweise zu verzehren. Und noch eine Spitze: Im Ofenrohr findet der Broiler mehr Platz als in der Legebatterie.
Tierleid und Agrarwahnsinn
Das Buch ist ein ebenso unterhaltsamer wie ernsthafter Beitrag zu einem großen Ernährungsthema unserer Zeit. Sehr sachlich, „very British matter of fact“, polemisch nur am Rande, aber mit genug Anstoß für die Debatte über Chicken Food und Tierleid, Agrarwahnsinn oder sinnvolle Welternährung. Das Buch war vermutlich harte Arbeit für die Übersetzerin, die die Anglozentriertheit mit vielen deutschen Bezügen und zusätzlichen Fußnoten ausbalanciert. Zeichnungen zu den diversen Hühnerrassen im Buch lockern den Text weiter auf, wohingegen das Buchcover im Vergleich mit dem heute üblichen Design eher schal erscheint. Der englische Originaltitel mit Hinweis auf die Dinosaurier macht neugieriger auf die 277 Textseiten (plus 24 mit Quellennachweisen) als der deutsche Titel.
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