by Wolfgang Goede | 28. August 2024 09:38
Als Twen benutzte ich zum Reisen einen Seesack mit aufgestickter nach innen gerichteter Spirale: „Turn Inside“, inspiriert von John Lennon Songs und Indiens Weisheitslehre. Psychedelika hat mich, jetzt Silberrücken, daran erinnert und nachdenklich gemacht. Welches sind unsere Lebenswerte, wofür lohnt es sich anzustrengen, was machen die Emotionen mit uns? Das waren in den Aufbruchszeiten der 1970er die großen Fragen und sind es bis heute, in die 2020er geblieben, hinter einer Fassade von Wohlstand, Konsum und mittlerweile tiefen auch innerlichen Rissen darin.
LSD gegen Depression
Der Autor Jascha Renner beschreibt seinen Lebensweg, in dem es ein großes Trauma gab. Sein Vater, stellte dich heraus, war nicht sein leiblicher. Das warf ihn aus der Bahn. Der Weg der Rekonvaleszenz führte ihn zu den Psychedelika, in denen er seine geistige und seelische Heimat so wie auch berufliche Bestimmung als Coach und Facilitator fand. Er experimentiert damit, beschreibt seine Erfahrungen, gibt Empfehlungen und Warnungen und glaubt, dass LSD, Pilze & Co künftig das Sortiment der Heilmittel gegen psychische Leiden und Anfechtungen der mentalen Gesundheit bereichern werden.
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Medizinische Versuche mit LSD haben in den letzten Jahren bestätigt, dass es in kontrollierten Dosen für Linderung in schweren Fällen der neuen Volkskrankheit Depressionen hilft. Als Psychoheilmittel fand es ja ursprünglich einmal Einsatz, bevor es von Politik und Gesellschaft verteufelt wurde. Wobei das Auge für die Teufelsdroge Alkohol erblindete.
Nicht nur mit Blick hierauf ist Renners Buch richtig lesenswert. In angenehmer Prosa durchgehend gestützt auf wissenschaftliche Quellen führt er durch die Höhen und Tiefen von Seele und Emotionen, persönlich und immer bildhaft. Ob man durch Psychedelika Zugang zu einem wirklich glücklicheren Leben findet bleibt offen. Es wird aber reicher an den vielen und heutzutage meist ignorierten Seiten, am Kaleidoskop des Lebens und seiner tiefgründigen Spiritualität.
Umbau der Legowelt
Das Buch wirft frisches Licht auf ein bereits in der antiken Philosophie diskutiertes Thema. Unsere Realität ist eine konstruierte und das Bild davon ist ein sehr subjektives, geformt von unserer Erziehung, Umwelt, Erlebnissen. Im Drogentrip wird der Blick darauf klarer, „wie der Blick durch eine vom Scheibenwischer geputzte Scheibe“, findet Renner.
Oder, anders, Realität ist eine Art Legowelt, die ich nach eigenem Gusto de- und rekonstruieren kann. Das weckt ungeahnte Machtgefühle ebenso wie tiefe Ängste. Traue ich mich an diese Architektur heran? Wer das schafft, mit welchen Mitteln auch immer, realisiert die dieser Tage so häufig zitierte Transformation, im Kleinen wie Großen. Aber: Wenn ich mit dem Umbau beginne, werde ich zweifelsohne in Konflikt mit anderen geraten, Mitwelt und Autoritäten, ethischen wie materiellen Besitzstandswahrern, mit denen ich anecke. Das ist die Crux bei jeder Veränderung, auch Therapie.
In jeder und jedem selbst arbeitet ein ganzer Kosmos. Das kann in sämtliche Ausfächerungen hinein eine erschreckende Erkenntnis sein, auch in der Verantwortung dafür. Aber hilft uns die Erkenntnis? Macht sie uns zu besseren Menschen? Vor allem, wenn wir unseren Blick auf die aktuellen Probleme, Kriege und Ökozid richten. Helfen uns Psychedelika und Spiritualität auf breiterer Basis bei der Heilung der Welt? Oder bleibt der Drogentrip ein individueller, letztlich eine Form des Egozentrismus?
Helfer Yoga und Meditation
Am Ende braucht es gar keiner Substanzen für den Trip nach innen. Eine Woche in absoluter Dunkelheit, schreibt der Autor, können ähnliche Effekte hervorbringen, ebenso Tanzübungen, ja Meditation und Yoga sind Schwestern und Brüder. All das praktizieren Indigene, Schamanen, Geistliche seit Jahrtausenden. Auch sie führen zu den großen Themen unserer Zeit: Selbstachtsamkeit, Resilienz, mentale Immunität. Der Kreis der Stimulanzien, darunter auch Psychedelika, ist groß.
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