Fluch der Sklaverei

by Wolfgang Goede | 8. September 2024 10:56

Die beiden Buchtitel, hier im Tandem besprochen, sind inhaltlich zwei Seiten derselben Münze. Eine in Afrika Geborene und dem Kontinent engstens Verbundende schreibt aus der Sicht von Afrikanern über die Historie des Erdteils. „Eine afrikanische Geschichte Afrikas“ ist so kunterbunt wie die Region, durchweg spannend erzählt, narrativ-historisch, und überrascht mit einer 3-fachen Perspektive des Kolonialismus: Europäer, Araber, die Afrikaner selbst, alle bedienten sich der Sklaverei. „Der Fluch der Muskatnuss“ eines indischen Autors hält die Lupe über den europäischen Kolonialismus in Asien und Amerika. Auch hier neue Erkenntnisse: Der vermeintlich hehre Geist der Aufklärung befeuerte ihn.

Das wird lesend nachempfindbar: die große Faszination Afrikas und die enorm große Diversität des Kontinents, wie die Autorin Zeinab Badawi als Auftakt zu ihrer Rundreise verspricht. Die hat sie in sieben Jahren durch etliche der 54 Nationen geführt. Dabei hat sie bei etlichen Gesprächen mit Wissenschaftlern und Amtsträgern ihre Recherchen vertieft, die zum großen Teil in einem UNESCO Projekt zur Erforschung der afrikanischen Geschichte durch Einheimische verankert sind. Das sorgt für Authentizität, wohingegen das allgemein gültige Afrikabild ein kolonialistisches ist aus dem Blickwinkel des weißen Europas. Viele Kolonialfiguren wie Cecil Rhodes sind heute samt ihrer Denkmäler umstritten.

Christen versklavten 10 Millionen,
Muslime 14 Millionen,
Afrikaner Millionen Afrikaner

Badawis Reise startet bei den Anfängen der Menschheit in Afrika und führt ins große alte Ägypten, das drei Jahrtausende blühte und bis heute voller Geheimnisse steckt. Licht in den Bau der Pyramiden vermag auch sie nicht zu werfen, außer der Spekulation, dass die gigantischen Bauwerke von freien Bürgern errichtet wurden, nicht von Sklaven. Die spielen in der Kultur des Kontinents eine große Rolle, stammte der Handel mit menschlichen Arbeitskräften doch von den afrikanischen Fürstentümern selbst, so wie Versklavung und Leibeigenschaft bis in die Neuzeit in fast allen Gebieten der Erde üblich war. Innerafrikanisch wurden Millionen von Einheimischen durch Einheimische versklavt, was dieses Buch ausführlicher hätte thematisieren müssen. Im großen kommerziellen Stil aber führten die Sklaverei erst die europäischen Kolonialherrn ein, Briten, Franzosen, Portugiesen, Niederländer, Belgier. Sie verschleppten von 1500 bis 1850 ca. zehn Millionen Menschen auf die Plantagen in den Amerikas.

Dies schildert die Autorin ausführlich, auch die Rolle der christlichen Kirche, unter deren Gotteshäusern das auf den Überseetransport wartende Menschengut oft untergebracht wurde. Die arabischen Völker standen den Europäern nicht nach. Sie transportieren ca. 14 Millionen Schwarzafrikaner über den Indischen Ozean nach Asien ab, wo ihr Schicksal allerdings weniger grausam verlief, sie oft in wichtigen häuslichen Funktionen Einsatz fanden. Die muslimische Sklavereihistorie, fordert die Autorin, verlangt nach weiterer Forschung und Aufklärung.

Badawis Reise fördert oft Erstaunliches zutage. Wie westafrikanische Potentaten im 14. Jahrhundert ein Vermögen von umgerechnet 400 Milliarden US Dollar ansammelten, wobei allerdings Quellen und Umstände nicht klar werden; wie grausam im Kongo die Belgier gegen die nativen Völker vorgingen, ihnen die Hand abschlugen, um mit diesem Nachweis ein Kopfgeld zu kassieren, ihre Opfer somit am Leben blieben und sie selber eine Patrone einsparten; wie im südlichen Afrika Kriegervölker große Imperien errichteten, sogar von Kriegerfrauen geführt, die in ihren Unterwerfungstaktiken, Ausschalten von Konkurrenten, Ermorden von Familienangehörigen nicht zimperlicher waren als die europäischen Dynastien.

Kleine Eiszeit
Folge des Kolonialismus?

Insofern ist die populäre Schwarz-Weiß Optik dem Buche fremd. Der Machttrieb entmenschlicht den Menschen ganz egal welcher Hautfarbe, Kultur, Religion – bis heute. Gibt es Auswege aus diesem Dilemma? Bleibt die Sehnsucht nach den „Besseren“, ohne sich in Totalitarismen zu verrennen, ein Traum? Zu fragen wäre auch, ob die seit ihrem sechsten Lebensjahr in England verwurzelte Autorin wirklich authentisch für Afrika sprechen kann und wie sie eine vieljährige Recherche über alle Teile des Kontinents und Interviews mit hochkarätigen Repräsentanten finanzierte. Hier fehlt Transparenz. Und wenn sie am Ende den „schlafenden Riesen“ in den Armen der Global-Süd BRICS-Staaten unter Führung Chinas (und Partnerschaft Russlands) sieht, ist eine solche Allianz aus der Kolonialgeschichte logisch, aber lauern darin nicht die modernen kolonialen Lassos, Abhängigkeiten, Grausamkeiten?

Afrikas Schicksal – auch in Asien und Amerika. Das ist der Tenor des in Kolkata (Kalkutta) Geborenen und in New York lebenden Amitav Ghosh in „Der Fluch der Muskatnuss“. Er rahmt seine eher literarische Expedition durch die Abgründe westlicher Kolonialherrschaft mit der Muskatnuss, die nur auf den indonesischen Banda Inseln wuchs, zum Verhängnis der dortigen Bevölkerung. Sie wurde von den Niederländern 1621 ausgelöscht, die damit das damals schier unendlich kostbare Gewürz unter ihre Obhut brachten. Das war der Start zu einem lukrativen Gewürzhandel, der dem kleinen Land Geldströme und den wirtschaftlichen Aufstieg bescherte, in dessen Kielwasser auch Kunst und Kultur bis heute gefeierte Höhepunkte erlebten.

Ausführlich geht der Autor auf seine amerikanische Wahlheimat ein und beschreibt, wie die Europäer sich die Urbevölkerung mit Genoziden und Ökoziden (= Omniziden) unterwarfen. Der Rückgang der Population bis zu 95 Prozent ließ landwirtschaftlich genutzte Flächen wieder zuwuchern, was einen umgekehrten Treibhauseffekt auslöste und zur Kleinen Eiszeit beitrug. Das ist zwar eher eine Hypothese, basiert aber auf einer Grundbefindlichkeit, dass Mensch, Natur, Atmosphäre, Klima engstens miteinander wechselwirken. Die drastischen Einschnitte in die Natur durch die Kolonialherrschaft nennt der Autor „biopolitische Kriege“ und „Terraforming“, umformen der Erde nach dem Geschmack der Eroberer.

Herrenmenschentum
angelegt in der Aufklärung

Den Keim dazu lieferte die Aufklärung, deren Vordenker im 16. Jahrhundert Sir Francis Bacon war. Er setzte auf Ratio und Wissenschaft, mit der sich der Natur alle ihre Geheimnisse entlocken ließen, notfalls durch die Folter, wie sie zum Erlangen von Geständnissen in den Hexenprozessen angewendet wurde. Sein mechanistisches Weltdenken schloss ein wohlgeordnetes und gottgefälliges Leben in der europäischen Zivilisation ein. Wer nach diesem Schema nicht lebte, war ein Wilder und verdiente nicht die Erdenbürgerschaft. So traten der Rassismus und der Missionierungswahn ins europäische Geistesleben und ins Christentum. Wer Widerstand leistete, verdiente ausgelöscht zu werden. So entstand der Herrenmenschenglaube schon lange vor dem 20. Jahrhundert, als die Nationalsozialisten ihn für sich entdeckten und damit ihre Ideologie fütterten, schreibt Ghosh.

Dieses Primat hat sich auch im extraktivistischen Kapitalismus niedergeschlagen, der danach fragen lässt, ob der Westen respektive Norden nicht einen kapitalen Systemfehler historisch, wissenschaftlich, aktuell in seiner Denke enthält. So etwa, wenn das karibische Haiti sich selbst aus der Sklaverei auslösen musste und seine Schuld an Frankreich erst kürzlich abtragen konnte, während es in Armut und politischen Turbulenzen versinkt. Die Französische Revolution hat zwei Gesichter. Nach lesenswerter Lektüre mit vielen Anstößen fällt auf, dass das Buch formal unvollständig ist, als ihm das Impressum und das Erscheinungsjahr fehlen (Originaltitel „The Nutmeg’s Curse“, 2021).

Zeinab Badawi: Eine afrikanische Geschichte Afrikas. Vom Ursprung der Menschheit bis zur Unabhängigkeit. Piper München 2024

Amitav Ghosh: Der Fluch der Muskatnuss. Gleichnis für einen Planeten im Aufruhr. Matthes § Seitz Berlin 2023

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