by Wolfgang Goede | 21. November 2024 16:46
Wir könnten ihn den deutschen Greta Thunberg nennen: Jemand, der sich auflehnt, gegen Lobbies, Klüngel und Denkschienen, Ideologismen und Deutungshoheiten – nur anders herum als die Schwedin. Der Hamburger Journalist Axel Bojanowski hat die Klimagleichschaltung, das Lamento, das polarisierende Hickhack statt, bricht aus, mahnt: Nun mal sachte, Leute!
Anstößige Glut-Grafiken
In übersichtlichen Lesehäppchen demontiert der Autor das herrschende Klimanarrativ. An vielen einzelnen Akteuren und deren Einlassungen zeigt er in einem historischen Zeitstrahl, wie das Für und Wider, das Pingpong von Scharfmachern und Schönredern, die Apokalypse in den Zenit des globalen Streits geschossen haben. Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, alle kapitalisieren, wörtlich, das Reizthema für ihre Interessen.
Inklusive die sich selbst stets als objektiv und wahrheitssuchend beschreibende Forschung: wie viele Klimamodelle, gerade die regionalen, völlig unzureichend sind; ihre verwirrenden statistischen Feuerwerke; manipulative Glut-Grafiken, vom deutschen Klimaforscher Schellnhuber (Autor “Selbstverbrennung”) protegiert; wie das fast geheiligte 1,5 Grad UN-Klimaziel quasi durch Geisterhand in die Pariser Klimakonferenz 2015 schlüpfte; dass es eine 97-prozentige internationale Einigkeit über die Klimastrategie nie gab – alles wissenschafts-befreit?
Dies alles im leichten Flow erzählt, dicht an den Personen, ihren Stärken und Schwächen, aber nicht polemisch, mit Wendungen, auch Humor, und Überraschungen, weitläufig unbekannten Begriffen wie strategischer “Pedophrasty”; in der Fülle der Handlungsstränge, Verwicklungen, Überlagerungen für manche Lesergeschmäcker womöglich einen Tuck zu nerdig.
Kohle kommt vor der Moral
Bojanowski, ein mutiger Anders-Denker, der journalistisch immer die unbequemeren Zugänge suchte, spart nicht mit Kritik an der Presse. Darunter den liberalen Leitmedien wie “Spiegel”, dessen Skandal-Autor Relotius die Unwahrheit verbreiten half, dass die Südsee untergehe, obwohl die Meeresspiegel in und um Kiribati seit den 1990ern nachweislich stabil sind. Vor der Veröffentlichung gewarnt hatte der damalige Spiegel-Wissenschafts-Redakteur Bojanowksi – heute Chef-Wissenschafts-Reporter “Welt”. Der Beitrag zierte in seinem Alarmismus dann dennoch das Magazin, frei erfunden, so wie die Story rundherum und wie so viele andere des gehypten Blenders.
Für die Medien, gedeckt durch die grundgesetzliche Meinungsfreiheit, gilt wie für alle an diesem unredlichen Tauziehen Beteiligte: Klima verkauft sich – aber nur als Drama, in Extremismen und spült so Geld in die Taschen.
Womit ein Grundübel der Wirtschafts- und Gesellschaftsform der Industrienationen genannt ist. “Die Kohle kommt vor der Moral”, hätte Brecht dichten müssen: Heuchelei, akademisch vornehm Hypokrisie. Gleichwohl das Thema nie vom Rest der Welt und Global Süd zu trennen ist, worauf Bojanowski richtigerweise hinweist, nämlich: dass wir bei der Klimafrage vor einem “Menschheitsdilemma” stehen.
Heiß- und Eiszeiten – Lauf der Welt
Zweifellos verursachen CO2-Emissionen einen Treibhauseffekt, seit über 100 Jahren bekannt. Nur: Die Ärmeren dieser Welt wollen endlich auch am ihnen verheißenen Wohlstand teilhaben. Der Highway dorthin führt derzeit noch über die konventionelle Energie, Verbrennung kohlenstoffhaltiger Materialien, einst erfunden und über die Welt verbreitet von Europa, der Dampfmaschine und ihren Derivaten. Großstädte des Südens ersticken an den fossilen Dreckschleudern, in Kolumbien als „chimineas“ verrufen, „Kamine“, denen riesige dunkle Rauchschwaden entweichen. E-Mobilität ist in weiter Ferne.
Der Autor enthält sich distanzvoll einer solchen Vertiefung. Gleichwohl eine solche und die Problematisierung basaler Entwickungs- und Unterentwickungsdefinitionen im ökonomischem Grundgebälk ein Kardinalthema des Klimakriegs wäre. Sozialistische Utopien und Wirtschaftsliberalismus, Karl Marx vs. Adam Smith – welche vernünftige Synthese ließe sich daraus für das 21. Jahrhundert schmieden?
Insgesamt wünschte man sich in diesem Klima-Buch mehr Orientierung, um nicht am Ende beklommen, ja ohnmächtig dazustehen. In der Klima-Hybris hilft es sich daran zu erinnern, dass unser Planet jederzeit Klimaveränderungen ausgesetzt ist, etwa in der kleinen Warm- und Eiszeit im Mittelalter, ebenso wie in den großen erdgeschichtlichen Phasen (in deren Heißzeit die fossilen Brennstoffe entstanden). Diese Temperaturachterbahn hätte den Zeitstrahl nach hinten für eine breiter angelegte Perspektive gut verlängern können.
Und: *Nicht* human-produzierte Extremausschläge könnten jederzeit wieder eintreten. Durch kosmische oder planetare Einflüsse wie Störungen in unserem Zentralgestirn oder Heimatgalaxie, Schwankungen der Erdachse oder Vulkanausbrüche. In der Klimadebatte dürften wir diese mächtigen Klimaregisseure nie vergessen, auch nicht den Umstand, dass der Planet Erde auch dieser elementaren Spannung seine enorme, vielleicht einzigartige Vielfalt verdankt. Das mag nicht jeden trösten, Aktivisten auf die Palme bringen, erdet aber und relativiert die von vielen Kräften herbeigeführte zerstörerische Zuspitzung, die Bojanowski beschreibt.
Kabale mit Chili
Formal ist das fast 300-seitige Schreibwerk in 53 Unterkapitel gegliedert, die einladende Titel tragen wie “Kabale und Stürme”, “Immer-schlimmer-ismus”. Bei der Vielzahl der genannten Protogonisten im Pro- und Contra-Modus, agit-prop-mäßig anheizend oder die Klimaerregung glättend fällt die nur dreieinhalbseitige Quellensammlung ins Auge sowie ein fehlendes Register von zitierten Experten und Schlüsselworten. Mitunter purzeln “amerikanisch” und das korrekte “US-amerikanisch” durcheinander, auch “russisch” und “sowjetisch” vermengen sich. Nur ein milder Rechtschreibdreher fällt auf – Feintuning für die 4. Auflage.
Die Klimadebatte dürfte sich aktuell weiter verschärfen. #47 im Weißen Haus, als #45 bereits entsprechend beleumundet, wird Chili darüber streuen. Let’s stay tuned: Der Fortgang findet Niederschlag im Substack Blog des Autors, der das Druckwerk online weiterschreibt.
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