80.000 Jahre langes Bettgeflüster

by Wolfgang Goede | 16. Juni 2025 11:34

Yes they can! Archäologen haben eine populärwissenschaftliche Kulturgeschichte der Menschheit verfasst. Fokus: unser Bett – Bühne des Lebens. Ein erkenntnisreicher Lesespaß.

Wo Reclam draufsteht, ist auch Reclam drin: Kultur satt. Die Reclam-Schullektüre in den schmalen dichtbedruckten gelben Heftchen war ja mitunter nicht soo bekömmlich, aber: Dieses Reclam-Buch über die Kulturgeschichte des Bettes ist cool, auf fast jeder Seite spannend, nun ja, vielleicht immer noch ein wenig zu „bleiwüstig“.

Pointenreich mit Erzählerchen

Was im Bett geschah ist ein schönes Geschenk der Wissenschaft, erstmals auf Englisch erschienen 2019 in der Yale University Press, dann 2022 von Reclam übersetzt, breitbandig in den Medien rezensiert und 2024 in Zweit-Auflage erschienen – ein ebenso originelles wie zeitloses Buch. Zwei britische Archäologen, Nadia Durrani und Brian Fagan (ihrer beider Vita fehlt leider im Buch), begaben sich auf die wissenschaftliche Suche nach den Ursprüngen der Bettstatt.

Unsere steinzeitlichen Vorfahren betteten sich zunächst noch in den vor Raubtieren sicheren Bäumen; sodann, mit der Erfindung des Feuermachens, auf Moos- und Blätterlagern rund um Feuerstätten. Die ältesten Fundstellen datieren auf ca. 80.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Erst mit den Hochkulturen vor 10.000 entstand dann das uns heute vertraute Bett. Bettkästen, die später auf Füße gestellt wurden zum Ausdruck einer höheren sozialen Stellung.

Das Bett, in dem wir ein Drittel unseres Lebens verbringen, ist ein Pars pro Toto, ein „Teil für das Ganze“: Es steht fürs Leben, ist seine Bühne mit allem drum herum, von der Zeugung über die Geburt bis zum Tode. Das alles ist in diesem Buch ganz wunderbar erzählt, mit vielen Pointen und Erzählerchen. Wie etwa Sonnenkönig Ludwig XIV. von seinem riesengroßen Himmelbett regierte (sogar den Geburtsvorgang im Liegen durchsetzte), dies Churchill nachahmte, der quasi liegend, mit Champagner zum Frühstück, Hitler den Garaus machte.

Mega-Betten für 52 Schläfer …

Im Bett erwachen wir aus Träumen, aus denen oft Großes hervorgeht, epochale Kunst und disruptive Erfindungen. Und, na ja, das Bett ist seit Jahrtausenden auch die beliebteste Location für Sex. Auch hierüber wissen die Autoren viel zu erzählen, oft eher ernüchterndes, wie Europas Könige, Pharaonen, Chinas Kaiser auf Gedeih und Verderb dazu vergattert waren, Nachfolger zu zeugen, worüber Hofbeamte Buch führten, gleichzeitig die vielen Konkubinen und deren Machtansprüche befriedigt und die herrschaftliche Ejakulation immer der richtigen zuteilwerden musste – kein Traumjob. Ähnliches gilt für Adelsfamilien und Großgrundbesitzer, für die Frauen Mittel zum Zweck waren für den Fortbestand der Dynastien.

Das Schlafgemach war ein öffentlicher Raum. Zeugen, Gebären, Sterben (Bett und Sarg sind sprachlich mitunter identisch) erfolgte im Beisein der Höflinge, den Familienangehörigen in den unteren sozialen Rängen. Auch bett-technisch wurde keiner verwöhnt. Vor Erfindung der Sprungfedern lag die Matratze auf straff gespannten Gurten, die oft nachgaben, sodass die Schläfer in die Mitte rollten. In den oft mit Stroh und Lumpen gefüllten Matratzen hauste Ungeziefer, die berüchtigten Bettwanzen, die ein Mediziner sogar als Mittel gegen Hysterie empfahl. Auch menschliche Bettgenossen gab es zuhauf. Im historisch größten Bett fanden 52 Schlafende Platz.  

Auch militärtechnisch waren Betten eher umständlich. Römische Feldherren nahmen sie mit auf ihre Einsätze, bei den Briten machte der Betten- und Möbel-Tross sogar bis zu 30 Kilometer Länge aus. Ob das Schildkrötentempo auch mit dem Niedergang des Kolonialreiches zu tun hatte? Viel flexibler die US-Truppen, die im Ersten Weltkrieg noch auf dem Boden lagerten. Heute ein Leichtes, auf Iso-Matte und im Schlafsack, aber der Weg bis zum modernen Schlafkomfort war noch ein langer. Vom Wasserbett zur auf Magnetfeldern schwebenden Lagerstatt, Luxusmatratzen aus Kaschmir und Vikunja Wolle mit 6-stelligen Preisen bis zum praktischen Federbett, welches das dereinst umständliche Betten-Machen enorm erleichterte. Einfach Aufschütteln – fertig!

… und Lotterbetten

Wo viel schreiberischer Glanz, da auch grafischer Schatten. Das Eingangsbild (S. 5) mit dem verlotterten Bett ist optisch eine schwer dechiffrierbare Graumasse, und was dahintersteckt, erklärt sich erst im Lauftext (S. 10). Eine kurze Bildlegende wäre eine dankbare Handreichung gewesen. In Sachen Grafik hat Reclam noch Luft nach oben.

Nadia Durrani, Brian Fagan: Was im Bett geschah. Eine horizontale Geschichte der Menschheit. Reclam, Ditzingen 2024, übersetzt von Holger Hanowell >>

https://www.reclam.de/produktdetail/was-im-bett-geschah-9783150114896

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