by Wolfgang Goede | 8. Juli 2025 09:40
In 6600 Worten durch ein Jahrhundert. Klingt fast wie Rocket Science. YES WE CAN – hier unsere angepeilte Flugbahn: Am Anfang war die TELI sollte der Start für eine Rundum-Darstellung der TELI-Historie gewesen sein. Bei dieser Ansage blieb es, leider, weshalb auf der Zielgeraden zum 100-jährigen TELI-Jubiläum folgende TELI-Meilensteine hier ausgeleuchtet werden: Im Vorlauf, aus dem Zeitalter der Aufklärung ins Kaiserreich; im Hauptlauf: TELI-Gründung in den Berliner Roaring 1920’s und ihr Weg durch die NS-Zeit, ihr Werdegang in der BRD, im Vergleich mit dem DDR-Wissenschaftsjournalismus, beider Fusion und Performance in der Globalisierung mit ihren zivilgesellschaftlichen Ausläufen – und im Nachlauf Post-Globalisierung, Zeitalter der Autokratisierung, KI-Umbrüche. Auf geht’s in eine erkenntnisreiche mediale Reise durch die Tiefen und Untiefen, den Disruptionen von Macht, Ohnmacht, und Selbstermächtigung.
Dem Gedanken der TELI-Gründung voraus lief eine anwachsende Welle von Technikerfindungen als Teil einer emergenten neuen Wissenschaftswelt: dem immer dichter werdenden Netz von Zeitungen, eingebettet in originelle Wissenschafts-Publizität. Bereits die 1650 in Leipzig erscheinende Einkommenden Zeitungen veröffentlichte Nachrichten aus der Forschung. Je mehr das Zeitalter der Aufklärung in Schwung kam, um so emsiger fütterte die Wissenschaft das rasch expandierende Pressewesen.
TELI-Wurzeln
1750 gab es im deutschsprachigen Raum bereits 250 Zeitungen, darunter der Hamburgische unpartheyische Correspondent, auch beliebt für seine Besprechungen neuer wissenschaftlicher Literatur – 1806 mit einer Rekordauflage von 56.000 Exemplaren. 1833 erschien nach englischem Vorbild das Pfennig-Magazin, thematisch die erste populärwissenschaftliche Zeitschrift, reich mit Holzschnitten geschmückt, mit einer Auflage von 100.000. Die beliebten Moralischen Wochenschriften verbreiteten eher geistesgeschichtlich die Ideen der Aufklärung. Als die Revolution von 1848 zur Beseitigung der Fürstenherrschaft, für eine liberale Verfassung und Pressefreiheit misslang, war die Stunde der Gartenlaube gekommen: Brav und apolitisch, wie ihr Name, dafür aber enthielt sie auch Technik und Forschung – ein formidabler Best- und Longseller: Das Blatt erschien von 1853 bis 1944 mit zeitweise fast 400.000 Exemplaren[1].
Neben dem „Presswesen“ wurden weitere Innovationen geboren, neue Institutionen und Events, die Wissenschaft unters Volk brachten, Neugier säten und eine außerhalb von Academia gedeihende Wissens-Tradition begründeten. So 1827/28 Humboldts berühmten Kosmos-Vorträge in Berlin über seine Forschungen in Südamerika mit 13.000 Besuchern, sozial bemerkenswert breitbandig, vom König bis zur Dienstmagd. Des großen Humanisten Spuren nahm 1888 die bis heute existierende Urania Gesellschaft auf mit einem Feuerwerk wissenschaftlicher Demos und Inszenierungen. Sie gilt als Prototyp von Science Centern. Die Idee hierfür eroberte die Neue Welt (von wo das Format Ende des 20. Jahrhunderts in die Alte zurückkehrte). Die Urania kuratierte Show-Effekte, doch ihr intellektueller Anspruch war hoch, Bürgerinnen und Bürger im Mündig-Werden zu unterstützen und sie Freuden im Nutzen ihres Verstandes zu lehren.
Gründungsgeist
Dies sind maßgeblich historische TELI-Wurzeln, die sich bis ins 20. Jahrhundert hinein verdichteten und den Weg in den Gründungsakt begleiteten. Der erfolgt in der Zeitungsstadt Berlin, während der Weimarer Republik Herz und Seele des Journalismus. Rund um die Spree konkurrierten 150 Blätter mit bis zu drei Ausgaben pro Tag. Über den Potsdamer Platz fuhren stündlich über 400 Straßenbahnen, will der Schriftsteller Anselm Heine gezählt haben.[2] Die deutsche Hauptstadt brummte nur so vor neuer Technik, Spitzenforschung und Aufgeschlossenheit dafür, wozu ein halbes Dutzend Kaiser Wilhelm Institute (später Max-Planck-Institute) beitrug. Kunst, Kultur, Theater boomten, bis 1914 gab es 300 Kinos. Berlin war Magnet der Avantgarde, Anders- und Neudenker, mit New York, London, Paris einer der großen Brennpunkte, Nabel und Transformationszentren der Morgen-Welt in einer Achterbahnfahrt zwischen Extremen, die in „Babylon Berlin“ einen so beeindruckenden filmischen Niederschlag fand.
Begleitet von einer wahren Flut alternativer Kulturimpulse wie Feminismus und Homosexualität, Wandervogelbewegung und Eso-Anthroposophie: „Das Deutschland um 1900 ähnelte einem Laboratorium, in dem die Reaktionen auf die Kultur der ‚modernen Zeit‘ getestet wurden, ob es sich nun um neue Technologien … oder neue Ansichten über Sexualität … handelte“, urteilt der Historiker David Blackbourn.[3][4] In derlei Um-, Auf- und Durchbrüchen, zwischenzeitlich obendrein erschüttert durch den Ersten Weltkrieg, keimte ab Mitte der 1920er Jahre die Idee, Technik-Journalisten und Pressesprecher großer Unternehmen in einer berufsständischen Vereinigung zusammenzuführen. Am 11. Januar 1929 hoben sie die TELI aus der Taufe als unbestritten *welterste* Organisation von Technik- und Wissenschaftsjournalisten.
Das und ihren Werdegang hat das verstorbene TELI-Mitglied Hans Christian Förster[5] nachgearbeitet. Die Nachrufe in Berlins Presse würdigen den Autor als eine Art wandelnde Enzyklopädie und intimen Experten der Berliner Geschichte. Die TELI-Gründerjahre beschrieb der Ostberliner anschaulich in dem grafisch gelungenen Am Anfang war die TELI. Journalismus für Wissenschaft und Technik 1929-1945. Nachweislich des Impressums ein Gemeinschaftswerk von beiderlei Journalisten, „Ossis“ und „Wessis“, entstanden 2007 im Vorgriff auf das 80. Jubiläum 2009. Seither ziert das Werk, im Stil der 1920er Jahre, die Webseite und Landing Page der Journalistenvereinigung.
NS-TELI
Nach dem furiosen TELI-Start wird Hitler vier Jahre später Reichskanzler und der Marsch in Diktatur, Krieg, Holocaust beginnt. Sofort beschneiden der NS-Apparat und seine Propaganda-Akteure die journalistische Freiheit. Am Beispiel ausgewählter TELI-Protagonisten zeichnet Förster die Rezeption dieses Einschnitts nach. Systematisch säte das Regime völkische Technikbegeisterung, u.a. für Automobile („Volks“-Wagen) und die neuen Medien wie Radios und Fernsehen („Volks“-Empfänger), auch als Teil der zivilen Aufrüstung für den Krieg. Und damit waren die Nazis bei den TELIanern nicht unbedingt an der falschen Adresse.
Aber der Gründer und erste TELI-Vorsitzende Siegfried Hartmann (1875-1935) blieb dem NS-Staat gegenüber skeptisch. Während Mitbegründer Hans Dominik (1872-1945), der angesagte Sciencefiction Autor seiner Zeit, auch „deutscher Jules Verne“ genannt, opportunistisch hin und herpendelte, sich auch mit Blick auf den reibungsfreien Abverkauf seiner Bücher mit den Nazis eher arrangierte; siehe hierzu Detlef Münchs[6] facettenreiches Dominik-Porträt. Viele aus der Gründergeneration waren in den frühen Jahren des Deutschen Kaiserreichs und den wirtschaftlich-technisch so durchschlagend erfolgreichen Gründerjahren der 1880er sozialisiert worden. „Technik- und wissenschaftsbegeistert“, so liest sich die DNA jener, die sich unter der Parole „Technik voran“ zusammenfanden. Viele hätten vermutlich Heinrich Seidels Hohelied auf die Ingenieurskunst angestimmt. Ihm setzte die Comic-Sprachschöpferin Erika Fuchs im „Ingeniör ist nichts zu schwör“ ein zeitloses idiomatisches Denkmal.
Heinrich Kluth[7] (1902-1986), Hartmanns Nachfolger ab 1932 lavierte durch die politischen Zwänge und forderte in seiner Ansprache zum fünfjährigen TELI-Geburtstag vor Parteiprominenz: dass die Berichterstattung in der Presse „allgemeinverständlich, deutsch, vielgestaltig“ werden müsse; denn in der Welt werde nur ein Volk eine Zukunft haben, das technisch genügend vorgebildet sei, um den technischen Fortschritt für sich richtig auszunutzen, Zitat: „Daran für Deutschland mitzuarbeiten, sei unsere heiligste Pflicht.“[8] Um 1938 trat Kluth der NSDAP als Mitglied bei und bleibt nach Ende des Krieges bis 1962 Vorsitzender, danach wird er Ehrenvorsitzender.
Während seiner Amtszeit wurde die TELI genauso wie andere Vereine gleichgeschaltet und unter NS-Aufsicht gestellt; jüdische Mitglieder werden ausgeschlossen, von denen einige in KZs umkamen, nach Försters Recherchen. TELIaner wurden als Soldaten eingezogen, andere zogen als Kriegsberichterstatter an die Fronten, einige unabkömmlich „u.k.“ gestellt für wichtige in ingenieurtechnische wie auch propagandistische Aufgaben an der Heimatfront. Die letzte TELI-Versammlung erfolgte 1944.
Zusammengefasst: Die TELI machte mit, musste mitmachen, agierte indes vorsichtig, anders als etwa einige Sportvereine, die euphorisch die NS-Parolen von Blut und Boden, arischen Rassenwahn und völkischen Lebensraum im Osten aufgriffen und zu verbreiten halfen. TELIaner standen als eher Unverdächtige im Schatten der Nazi-Observation, anders als ihre Kollegen in den politischen Ressorts – so wie später auch die DDR-Wissenschaftsjournalisten eine ideologisch-propagandistisch relativ freie Nische in der kommunistischen Medienlandschaft besiedelten.
BRD-TELI
Dann, Anfang der 1950er in den BRD-Aufbaujahren, die ins legendäre Wirtschaftswunder führen, ist die TELI wieder da[9], stärker denn je, mit 250 Mitgliedern, renommierten Namen darunter. Deutschlandweit hat sie sich in etliche Regionalkreise[10] untergliedert. Ihre Aktiven begleiten publizistisch die wachsende Technologieszene. Mit Auto und Chemie, Maschinenbau und Elektrotechnik, die Bundesrepublik blieb technikgetrieben und wuchs erneut zu einer bedeutsamen Wirtschaftsmacht heran. Diesen Prozess begleitend, hatte sich die TELI das Klären der technischen Zusammenhänge auf die Agenda geschrieben, so wie im Gründungsgedanken niedergelegt.
Die meisten TELIaner waren dafür allerdings, wie zuvor in der Gründungszeit, nicht geschult. Sie kamen eher aus den ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen mit allenfalls sehr technischer Schreibe. Gleichwohl es nicht an Anstrengungen fehlte, zumindest Aufrufen, die Mitglieder kommunikativ fit zu machen und für eine informativere Aufklärung der Bevölkerung zu sorgen. Das 1979 zum 50. Bestehen herausgegebene Jubiläumswerk Forschung kritisch gesehen. Die TELI erschließt Wissenschaft und Technik von heute und morgen[11] – mit einem Geleitwort des damaligen Forschungs- und Technologieministers Volker Hauff – adressiert dies und warnt vor technophiler Romantisierung:
„Neben romantischer Bewunderung für rauchende Schlote und stampfende Maschinen, für glühende Stahlblöcke unter fauchenden Dampfhämmern“ hatten sich um die wissenschaftlich-technisch rasante Jahrhundertwende immer mehr Bedenken angemeldet „gegen die Zerstörung der ländlichen Idylle durch eine ‚leblose Maschinenwelt‘“. Damit und im Entkräften dieser Besorgnis sind TELI und das Deutsche Museum in München, 1925 vier Jahre vor der TELI-Gründung eröffnet, durchaus miteinander verwandt im Geiste.
Auch dessen Begründer, Oskar von Miller, wollte durch die Darstellung von Technik, sozusagen museal hands-on, den beunruhigten Menschen demonstrieren, in einer Welt unverbildeter Natur und rein landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsformen sozialisiert, dass die neuen Apparate von keinerlei diabolischen Wesen getrieben wurden. Das war eine geradezu abergläubische Angst, die für große Unruhe in der Bevölkerung sorgte, die manche sogar eine Revolution befürchten ließ, weiß der Historiker und langjährige Museums-Archivar Wilhelm Füßl[12]. Münchens Museumsinsel, die 2025 ihr hundertstes Jubiläum in Anwesenheit des Bundespräsidenten sowie des hundertmillionsten Besuchers zelebrierte, verwaltet – noch ein verwandtschaftliches Verhältnis – die umfangreichen Archivalien der TELI[13].
Europa-TELI
Das TELI50-Jubiläumswerk im angesehenen ECON Verlag – heute antiquarisch noch erhältlich – ist ein „Who is Who“ der damaligen Wissenschafts- und Technikjournalisten, die sich unter dem TELI-Dach versammelten. Zwei Beiträge sind hervorhebenswert. Hermann Laupsien, Mitherausgeber des Buches, Ressortleiter Handelsblatt und als „Mister Technik“ bekannt, widmet sich im Kapitel „Kritischer Journalismus“ manipulativen, sensationsgetriebenen und falschen Meldungen im deutschen Journalismus rund um Forschungsthemen. Er hält ihnen eine aus der Wissenschaft, dem Grundgesetz und der Ethik abgeleiteten Wahrheitspflicht entgegen – eine bis heute geltende und in Zeiten von Fake-News und Verschwörungstheorien um so wichtigere, gleichwohl immer häufiger verletzte Maxime.
Im Eingangskapitel ergreift der damals 77-jährige Kluth das Wort in einer Bilanz über ein halbes Jahrhundert TELI und ihrer Entstehungsgeschichte. Die technologische Aufbruchsstimmung im Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts macht er auch emotional greifbar, etwa mit den Rekordflügen von Orville Wright über Tempelhof und den Anfängen einer revolutionären „Einschienenbahn“, „Balance-Kreisel“-stabilisiert (die Jahrzehnte später die ungeliebte Magnetschwebebahn hervorbrachte, die am Ende in China Premiere feierte).
Kluths Beitrag, der auch die Vielfalt der neuen Medien der damaligen Welt und deren Appetit auf Technik widerspiegelt, macht deutlich: Alles schien machbar in diesen Roaring Twenties, eingebettet in die umtriebige Weimarer Republik und heiß umstrittenen ersten deutschen Demokratie. Der ehemalige TELI-Vorsitzende, drei Jahrzehnte lang im Führersitz, begeistert sich für die damaligen großen Errungenschaften, überlappend mit denen der sich anschließenden Hitlerjahre: Kunstkautschuk und Kohleverflüssigung, magnetische Schall- und Bildaufzeichnung, Düsenantriebe und Raketenforschung, Atomspaltung.
Über die NS-Diktatur, Holocaust, Zweiten Weltkrieg findet er nur einen kryptischen Satz, folgenden: „Von ihm (Heinrich Kluth, über sich in der dritten Person schreibend) wurde trotz des durch wenig erfreuliche politische und unruhige kriegerische Ereignisse überaus bewegten Dezenniums mit Unterstützung durch ältere und jüngere Mitglieder der Grundgedanke (der TELI) konsequent und erfolgreich fortgesetzt.“
Von hier gelangt er rasch zur TELI-25-Jahrfeier an der TU Berlin im September 1954 mit dem Highlight einer Siegfried-Hartmann-Gedenkmünze in Bronze, Silber und Gold, verliehen an TELI-Honoratioren und wichtige Persönlichkeiten in Forschung und Wirtschaft. In den 1960ern ging‘s in dem Verein dann immer mehr in Richtung Zusammenarbeit in Europa, die 1971 in die Gründung der EUSJA unter der Ägide des damaligen Vorsitzenden Heinz Rieger[14] mündete (1970-77: dpa-Wissenschaftskorrespondent, der allererste bei der großen Nachrichtenagentur). Damals gab es in Westeuropa nach dem TELI-Vorbild bereits neun große wissenschaftsjournalistischen Verbände, die sich 1974 in der „Salzburger Deklaration“ europaweit bei Politik, Forschung, Wirtschaft, Medien für eine grundsätzliche Verbesserung der Bedingungen des Wissenschaftsjournalismus einsetzten.
TELI-Lobbyisten
Dieser Appell erwies sich zumindest in der BRD als fruchtbar. In den 1970er Jahren gründeten viele Tageszeitungen wie etwa die Süddeutsche Zeitung Wissenschaftsbeilagen. Vorbild dafür war auch die FAZ. Indes weitgehend unbekannt: Der Anstoß dazu ging vom US-amerikanischen Pressemarkt aus, wo „Supplements“ fröhlich Urständ feierten, entdeckt als kommode Plattform für Reklame und Werbung. Die ehrgeizige Akquise ließ es nicht bei den gewöhnlichen Verdächtigen bewenden, Mode, Kulinarik, Tourismus, sondern holte auch Technik und Wissenschaft mit den um diese sich gruppierenden Produkte ins Werbeboot[15], die nunmehr mit redaktionellen Themen angereichert werden mussten. Jenen war bis dahin ein eher verschämtes Ghettodasein in Feuilletonsparten beschieden. Das brachte in Deutschland den Wissenschaftsjournalismus auf Touren, gefördert mit Rückenwind aus der Werbebranche und Wirtschaft.
Zur Ergänzung der bereits etablierten Medien wie Bild der Wissenschaft, 1964 von Heinz Haber gegründet, gab es Neugründungen wie das P.M. Magazin (das sich im Namenskürzel am weltweit erfolgreichen Popular Mechanics anlehnte, seit 1902 am Markt). P.M. definierte in Deutschland mit sehr eigenen Beiträgen das populärwissenschaftliche Segment als kultig neu und erzielte damit Auflagen von über einer halben Million mit großer Leserschaft unter Jugendlichen. Etliche fanden über die P.M.-Lektüre in technisch-naturwissenschaftliche Berufe. Mit Schwester-Ausgaben in Frankreich und Spanien, lange Zeit auch in vielen Ländern Lateinamerikas, strahlte das Konzept europaweit und transatlantisch aus[16].
Ja, es lockerte sich, vieles sogar bewegte sich in diesen Jahren. Last but not least launchte die Bosch Stiftung eine Ausbildungsoffensive und trainierte in den 1980er Jahren 200 Wissenschaftsjournalisten[17]. Mit im Berater-Team war Reiner Korbmann, Chefredakteur von Chip, Bild der Wissenschaft und Veranstalter von Dialog-Foren, bis heute Senior TELI-Mitglied. Das Boschprogramm wurde angeleitet von dem Kommunikationswissenschaftler Stephan Ruß-Mohl, der sich als Professor an der FU Berlin und Universität Lausanne auch um den Wissenschaftsjournalismus verdient machte. Insgesamt und endlich, prima Zeiten für den Wissenschaftsjournalismus, nicht zuletzt auch infolge der zupackenden Lobbyarbeit von TELI und EUSJA.
Aber: Bei vielen der immer besser ausgebildeten Wissenschaftsjournalisten kam die TELI nicht so gut weg. Für manche war sie zu wenig journalistisch, zog keine klare Trennlinie zwischen kritischer Berichterstattung und kommerzfördernder Unternehmens- sowie reiner Wissenschaftskommunikation, stand salopp gesagt dem VDI näher als dem Journalismus. Und so kam es in einer Art Backlash zur Abspaltung. 1986 riefen prominente Vertreter der Profession, Rainer Flöhl (1938-2016) FAZ, Günter Haaf (*1946) GEO, Jean Pütz[18](*1936) WDR, die „Wissenschafts-Pressekonferenz“ WPK ins Leben. Sie sollte die politische Bundespressekonferenz ergänzen und wollte eigene forscherische Themen setzen sowie kontrovers ausleuchten. Mit der alljährlich stattfindenden „Wissenswerten“, an der die TELI anfangs beteiligt war, hat die WPK ein markantes Profil gewonnen.
Tschernobyl-Niederschlag
Die WPK trat sehr journalistisch an, was allerdings selbst in der großen Frankfurter Tageszeitung im empirisch-journalistischen Tagesgeschäft auf Widerstände stieß: Während der Tschernobyl Reaktorkatastrophe ignorierte und boykottierte die FAZ die Berichterstattung über den historischen Vorfall, nach damaliger Auskunft von Flöhl aus Rücksicht „auf wirtschaftliche Interessen“[19]. Ironischerweise fast in Übereinstimmung mit den DDR-Leitmedien, und zwar bei jenen mit Rücksicht auf den großen Bruder und sowjetische Hegeonialmacht. Daher kritisierte die Ost-Stimme die West-Medien als “aufbauschend und irreführend”.
Tschernobyl, das war das Debatten- und Streitthema der deutschen Wissenschaftsjournalisten, die im Sommer 1986 auf Einladung der Boschstiftung sich zu einer zweitägigen Konferenz in Stuttgart einfanden. Vorangegangen waren Monate eines politisch ausufernden und die Bevölkerung verunsichernden Hickhacks über Strahlengrenzwerte, ähnlich der Kontroverse über die Infektionsrisiken und Erkrankungsraten während der Corona-Pandemie dreieinhalb Jahrzehnte später. Die Feder, Zeitschrift der IG Druck und Papier für Journalisten und Schriftsteller, berichtete in ihrer 09-1986-Edition unter dem aktivistischen Titel: “Raus aus dem Getto und aufmüpfig werden! Welche Lehren der Wissenschaftsjournalismus aus Tschernobyl zieht.”
Mit auf dem Bosch-Panel saß Haaf. Davon angefressen, dass wie zuvor bei allen brisanten Wissenschaftsthemen auch bei der Atomkatastrophe die Politik-Ressorts die Berichterstattung an sich gerissen hatten, obwohl dort sachverständige Kenner über Reaktortechnik und Radioaktivität eher exotischen Seltenheitswert hatten. “15 Jahre in den Wind geschrieben”, zürnte Haaf. Nämlich die Zeit, die er mit anderen reformerischen Kollegen damit verbracht hatte, die Wissenschaftsressorts in den Medien zu stärken. Als der Sozialwissenschaftler Dr. Hans Peter Peters, Kernforschungsanlage Jülich, die These der Neutralität vertrat, Wissenschaftsjournalisten dürften weder Anwalt noch Kritiker sein, konterte Haaf, dass es “keine wertneutrale Forschung gibt”, weshalb es auch “keinen wertneutralen Wissenschaftsjournalismus geben” kann. “Wahrheit sein ein schönes ideales Ziel”, aber der Wissenschaftsjouranalist stehe zwischen rivalisierenden Gruppen, die ihn auf ihre Seite zu ziehen versuchen, denn:
“Wissenschaftler sind keine Asketen, sondern Menschen, die um ihren Ruf und Geld für ihre Forschungsvorhaben kämpfen. Ihre Einstellung zu den heißen Themen unserer Zeit wie Energie und Strahlung wird von ihrer persönlichen philosophischen Weltanschauung bestimmt.”
Mit anderen Worten, auch Forscher sind keine Wesen sui generis, sondern kochen auch nur mit Wasser. Wie alle anderen. Schützenhilfe erhielt er von einem Rundfunkkollegen, der Selbsthilfe anmahnte: “Wenn uns die Wissenschaftler keine Erklärung für Becquerel geben können, müssen wir das eben selbst austüfteln und herausfinden, wieviel Milch wir noch trinken dürfen.”
Was in das Plädoyer des Wiener Kommunikationswissenschaftlers Professor Wolfgang R. Langenbucher mündete, in den 1970er Jahren der Pionier eines Diplomstudiengangs für Journalisten an der LMU München, aus dem Allrounder wie auch Wissenschaftsjournalisten hervorgegangen waren; seine Initiative war nicht unumstritten, nachdem Journalismus traditionell als schriftstellerischer Begabungsberuf galt, den man allenfalls über ein Volontariat erlernen konnte. Langenbuchers Stuttgarter Eckpunkte, die er sämtlichen Gattungen des Journalismus verschrieben sehen wollte:
Er berief sich auf die Denktradition von Karl Popper, wonach es keine unumstößlichen Wahrheiten gebe, sondern nur Annäherungen. Durch Falsifikation, wissenschaftlichen Nachweis von Fehlern in alten Theorien entstünden neue, wahrheitsnähere.
Der mittlerweile 79-jährige Haaf, am Starnberger See ansässig, gehört zu den streitbarsten, artikuliertesten, reflektiertesten deutschen Wissenschaftsjournalisten. Statt eines Studiums absolvierte er eine Lehre als Verlagskaufmann und erlernte sein journalistisches Rüstzeug als Hobby-Redakteur, in den 1960ern d i e Technik-Zeitschrift. Seine berufliche Laufbahn führte über angesehenste Verlage und Publikationen, darunter Stern, Zeit, bei Geo Gründer von Geo-Wissen, Natur – dazwischen mit Abstechern in die USA als Fellow zu Science und Scientific American. Die Position als Redaktionsdirektor beim Wort & Bild Verlag krönte seine Karriere. Dort erscheint u.a. die Apothekenumschau, im Rufe des wichtigsten deutschen Gesundheitsmediums. Haaf ist ein prototypisches Beispiel dafür, dass der Bottom-up Einstieg in den Wissenschaftsjournalismus für die Branche von größerem Gewinn ist als der akademisch-promovierte Top-Down Einstieg, heute immer häufiger.
TELI-Wiedervereinigung
Nach dem Mauerfall 1989 fanden die meisten Wissenschaftsjournalisten der DDR in der TELI eine neue Vereinsheimat. Im letzten Jahr vor der Jahrhundertwende, 1999, kam es mit weit über 200 Teilnehmenden in Berlin zu einem großen, vorerst letzten gesamtübergreifenden, quasi Festival der Wissenschaftsjournalisten. Die TELI feierte ihr 70. Jubiläum zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der ehemaligen DDR sowie Mitgliedern von WPK und EUSJA, festgehalten in der Festschrift Kompass für die Zukunft[21]. Der Kalte Krieg war endgültig überwunden, die Grenzen offen, der Austausch und die Globalisierung in vollem Schwunge, wovon der Gästestrom von Budapest über Warschau bis Moskau zeugte. Alles wohlintoniert, sozusagen im Gleichklang mit Francis Fukuyamas gefeiertem End of History, was in jenen Jahren nach fast einem halben Jahrhundert Kalten Krieges Riesenecho fand.
Dafür stand nicht nur dieser große gesamteuropäische Ost-West-/West-Ost-Event, sondern auch der Kongressvorsitzende Gerhard Kirsch: TELI-Geschäftsführer und 2. Vorsitzender, Diplom-Journalist der Universität Leipzig und 18 Jahre lang bis zum Fall der Mauer Leiter der Pressestelle im Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR sowie Vorsitzender der Sektion Wissenschaftsjournalismus im Verband der Journalisten VdJ in der DDR. Beide Traditionsverbände hatten über die Grenzen der schier unüberwindlichen Mauer hinweg fusioniert.
DDR-Journalismus
Damit tritt diese Studie ein in die Auseinandersetzung mit dem Journalismus/Wissenschaftsjournalismus im marxistisch-leninistischen Arbeiter- und Bauernstaat DDR, der Deutschen Demokratischen Republik. Sie wurde als Gegenmodell zur Bundesrepublik Deutschland BRD von einem der Siegermächte über das Dritte Reich, der Sowjetunion und Besatzungsmacht über Ostdeutschland gegründet: BRD und DDR, 40 Jahre lang in Feindschaft ebenso wie Wettstreit verbunden. Eine Untersuchung über den DDR-Journalismus an der Ludwig Maximilians Universität München LMU von Anfang der 2010er Jahre kam zu folgenden Ergebnissen[22]:
Die Studie erschien 2011 als Buch mit dem Titel Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR und gilt weiterhin als repräsentive Aufarbeitung des DDR-Journalismus. Nach Erscheinen wurde es breitbandig in den deutschen Medien besprochen, hervorhebenswert erscheint diese aus dem Berliner Tagesspiegel, im folgenden Auszüge zur Vervollständigung des Bildes.
DDR-Wissenschaftsjournalismus
Viele dieser Statements fügen sich ziemlich eins zu eins in den Wissenschaftsjournalismus ein. Für ihn steht jemand, der im Berliner öffentlichen Leben immer noch aktiv ist – der bereits erwähnte Gerhard Kirsch, Jahrgang 1937, seinerzeit Tagungsleiter des 70. TELI-Jubiläums 1999, im neuen Jahrtausend rund um den Berliner Tourismus medial und journalistisch engagiert. Beim ersten gesamtdeutschen Seminar für Wissenschaftsjournalismus 1990 in Bonn war er als umfänglicher Kenner der DDR-Journalistenszene als Referent geladen. Das Protokoll zitiert Kirsch so:
“In der Vergangenheit sei gerade der Bereich wissenschaftlicher Berichterstattung eine Nische gewesen, in der sich Journalisten staatlicher Bevormundung mehr haetten entziehen können, als es in anderen Sparten moeglich gewesen sei. Allerdings sei nicht zu verkennen, dass der Wissenschaftsjournalismus in grossen Teilen den Charakter eines Verlautbarungsjournalismus getragen habe.”
Im Rückblick aus den 2020er Jahren hat Kirsch diese Einlassungen in einem Interview[23] ergänzt, spezifiziert und exemplifiziert:
Klaus Töpfer holte als Bundesminister für Umwelt, Natur, Reaktorsicherheit (1987-1994) Gerhard Kirsch nach der Wende in seinen Mitarbeiterstab als Pressesprecher.
NS-Aufarbeitung
Und nun? Was lehrt uns die gesamtdeutsche Geschichte, auch in einer heute erneut ungewissen Zukunft? Was ist qualitativ-guter Wissenschaftsjournalismus? Konkreter aus der TELI-Historie heraus: Kluth versus Kirsch, zwei Leitende (beide unter den politischen Verhältnissen auch Leidende) – wie sind beide zu bewerten? Der eine wirtschaftsnah, der andere staatsnah. Anders als der Ostdeutsche seine DDR-Vita hat der Westdeutsche seine NS-Vita in Gänze ignoriert, auch als er Gelegenheit gehabt hätte, sich dazu zu äußern. Beide Vereinigungen, das legt auch die TELI Aufarbeitung 1929-45 nahe, waren gegenüber NS- und SED-Staat regimetreu, so wie die BRD-TELI auch gegenüber den westlichen Siegermächten und deren Auftrag zu Demokratie und Freiheit, aber:
Hinlänglich bekannt ist, dass es 1945 im Westen keine Stunde Null gab, sondern das besetzte und zur Demokratie verpflichtete Westdeutschland zum großen Teil mit dem Personal der NS-Zeit in vielen staatstragenden Bereichen weitergemacht hat. “Meine Lehrer waren meist Nazis”, ist ein häufig gehörter Kommentar der Schülergeneration aus den 1950/60ern. So war ein beliebter Sportlehrer an einem Kieler Gymnasium Parteimitglied und Funktionär im Lebensborn, der den arischen Menschen züchten wollte. Das wurde erst in den 2010er Jahren bekannt, trotz öffentlich zugänglicher Archive mit der Dokumentation des Falls.
Erst seit den 1970ern war die NS-Aufarbeitung auch in Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft progressiv intensiviert worden. Doch viele Täter wurden erst nach der Jahrhundertwende überführt. So in Kiels Gartenstadt Kronshagen, wo ein dereinst hochgeachteter Pfarrer erst durch minitiöse historische Recherchen zum 750. Geburtstag des Ortes im Jahr 2022 als NS-Täter aufflog. Eine nach dem NS-Bürgermeister benannte Straße soll jetzt umbenannt werden. Im Rudersport hat die Diskussion über die NS-Vergangenheit seiner Funktionäre und Vereine 2024 gerade erst begonnen. Diese auffällige Verzögerung unterstreicht auch die 2025-Neuerscheinung “Der blinde Fleck. Die vererbten Traumata des Krieges und warum das Schweigen in den Familien jetzt erst aufbricht” in ihrem Titel.
Insgesamt, der historische Vorwurf des Ostens gegenüber dem Westen war durchaus begründet, was aber auch Licht darauf wirft, dass die DDR ihre NS-Historie weitgehend ignoriert hat, die Täter saßen ja nach SED-Lesart nur jenseits des “antifaschistischen Schutzwalls”, und erst nach der Wende wurde das DDR-eigene NS-Soziotop zum Thema.
PR-Agenturen
Zum Befund von Meyen/Fiedler, dass der DDR-Journalismus und damit auch Wissenschaftjournalismus in seiner Agit-Prop-Funktion “PR für das Unternehmen DDR” ablieferte. Ließe sich das Diktum übertragen, dass auch die TELI eine Art PR-Agentur war, nicht für den Staat, aber für Technik und Wirtschaft? War doch die Technisch-Literarische Gesellschaft nach den PR-Abteilungen der großen Unternehmen benannt, die sich in der damaligen Gründerzeit technisch-literarische Büros nannten. Und die TELI, so fortschrittlich das für die damalige Zeit auch war, eher eine Drehscheibe für die Kommunikation über Forschung, Wissenschaft, Technik sein wollte, die Forschende, Wirtschaft, journalistische Berichterstatter zusammenbrachte.
Hinzu kommt, dass die in der TELI Organisierten so wie Kluth selbst oftmals gelernte Ingenieure waren, von Haus aus keine Journalisten. Er selbst nannte sich im Werk zum 50. Jubiläum “Obering.” und gab darin wie auch zuvor eine große Passion für den technischen Fortschritt kund. In diesem Geiste wurde die TELI in die neu entstehende Bundesrepublik geführt, eher als Forum der Wissenschaftskommunikation denn als Anwalt für unabhängig-kritischen Journalismus gegenüber den technisch-wissenschaftlichen Herausforderungen, zudem blind für die Vergangenheit sowie Lehren daraus. Dieser Weg führte in die Abspaltung, nämlich Begründung der Wissenschafts-Pressekonferenz WPK als journalistisch real tickende Instanz bei Forschungsthemen.
Östlicherseits dagegen bestand zumindest der Wunsch zu einem Neustart, nach 80 Millionen Toten infolge der Nazi-Kriegskeule und sechs Millionen Holocaust-Opfern, als Alternative zum NS-Volksgenossen den sozialistischen Bürger im Sinne der kommunistischen Utopie zu erschaffen. Was unter der Vorherrschaft des sowjetischen Stalinismus (mit Millionen Gulag-Toten) freilich eine trügerische Idee bleiben musste, eine blauäuige bei vielen Mitstreitenden, die wie einige Kulturschaffende sich später davon distanzierten, dafür Verfolgung, Gefängnis, Ausweisung in Kauf nahmen. Gleichwohl als Ostblock, Teil des Warschauer Paktes, mit den Leitzentralen in Moskau waren die Freiheitsspielräume gering, sowohl für Parteispitzen als auch darunter angesiedelten Führungsetagen so wie auch für die Bürgerschaft.
Ein weiterer entscheidender Bremsklotz: Der Marxismus versteht sich als objektiv-wissenschaftliche Lehre, wogegen es in diesem Sinne auch gar keine Gegenthese gibt, so wie der zuvor zitierte Popper den wissenschaftlichen Fortschritt definierte. So gut wie auch immer die Einwände gegen eine Theorie argumentiert sein mögen, weder politisch-gesellschaftlich noch wissenschaftlich haben sie eine Chance. Das System hat sich sozusagen selbst einbetoniert, entgegen allen Lehren von Entwicklung und Anpassung, die uns aus der Evolution geläufig sind. Insofern gab es gegen die Partei, auch der unter ihrem Schirm stattfindenden Forschung und Technikgestaltung, gar keine Widerrede, nach dem SED-Anspruch und der Maxime aller autokratisch-totalitärer Regime: Die Partei hat immer recht.
Nichts könnte falscher sein. Zielführend ist das Gegenteil. Jeder Mensch, besonders der in Parteien organisierte und ideologisierte, ist fehlbar – Kontrolle und Ausgleich, die berühmten “Checks and Balances” sind entscheidend, was nur in demokratisch verfassten Gesellschaften mit institutionalisierter Gewaltenteilung und liberaler Grundordnung möglich ist. Insofern war der westliche Teil des geteilten Deutschlands bei all seiner spät-braunen Vergangenheit und aller Ergebenheit an die Industrie, aber Commitment zu einer sozialen Marktwirtschaft auf human-besserem Wege.
Corona-Kritik
In den Studien zum DDR-Journalismus werden ihre Vertreter als Wasserträger des Regimes dargestellt, in den Anfangsjahren gänzlich unausgebildet dafür, später indoktriniert. Aber: Auch in der BRD gab es den offenen Zugang zum Journalismus, nur wenige Medien brachten den Mut auf wie der Spiegel in “Bedingt abwehrbereit”, und auch sonst herrschten reichlich Willkür und Anpassung.
Darüber berichtet das Journalistenmagazin Der Journalist regelmäßig, u.a. in 9/83, “Die falsche Berufswahl”. Demokratie in Leitartikeln predigen, die Redaktion aber behandeln wie ein Gutsherr seine Knechte, zum Durchsetzen ihrer Politik sogar Gewalt androhen, das war in westdeutschen Redaktionen keine Ausnahme, von Leitmedien sogar verschwiegen. Kommentar einer sogenannten Edelfeder, die über den dahinterstehenden Konflikt schrieb, auf den Bericht eines solchen Vorfalls während seiner Recherche: “Ach, das hat der nicht so gemeint.”
Bei einem Wissenschaftsmagazin sagte eine Redakteurin, dass sie nur einen einzigen Leser habe, ihren Chefredakteur, dessen Daumen hoch – grünes Licht für ihr Manuskript, Daumen runter: Papierkorb. Chefredakteure in vielen Medien agieren nach wie vor wie absolutistische Herrscher. Auch und besonders Freie kennen das: Wenn ein Beitrag dem Ressort nicht genehm ist, etwa zu freigeistig und zu wenig auf Linie, dann ist es oft aus mit der freien Mitarbeit, eventuell sogar mit einer Schmähung, und wer nicht aufpasst, geht sogar seines Ausfallhonorars verlustig: Freie sind fast vogelfrei.
Im für viele DDR-Bürger so “goldenen Westen” waren Journalismus und Wissenschaftsjournalismus nicht auf Rosen gebettet, ganz und gar nicht. Die obigen Beispiele relativieren das im Westen verbreitete Schwarz-Weiß-Denken gegenüber dem Osten. Das tiefe Missverständnis übereinander, auch mit der Wiedervereinigung nie überwunden, eventuell eher vertieft, hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend in die so oft beklagte politische Polarisierung geführt.
Insgesamt ließe sich der Journalismus und Wissenschaftsjournalismus auch im wiedervereinigten und modernen Deutschland mit viel Kritik bedenken. Die Corona-Pandemie gäbe Anlass zu solcher und erinnert an die Tschernobyl-Reaktorkatastrophe. Der Wissenschaftskommunikator Marc-Denis Weitze hat 2023 in seiner Aufarbeitung Corona-Kommunikation: Eine Krise in Wissenschaft, Politik, Medien eine Vielzahl von Pannen, Ungereimheiten, massiven Fehlern in der Zusammenarbeit der Medien mit der Forschung und politischem Apparat diagnostiziert. Auszug aus dem Klappentext:
“Naturwissenschaftler haben oft der Versuchung nachgegeben, erwiesenen Fehlinformationen im öffentlichen Diskurs mit wissenschaftlichen Ergebnissen entgegenzutreten, die sich später selbst als falsch erwiesen. Und Medienvertreter haben wohl hin und wieder guten Wissenschaftsjournalismus mit Berichterstattung über Einzelstudien und Preprints verwechselt.”
Insgesamt eine nüchterne und faktisch tief-recherchierte und kuratierte Bilanz anhand von Fallbeispielen – aber das Werk war seitens der Wissenschaft als Beitrag für Transparenz und Aufklärung nicht so richtig willkommen. Über die systemimmanenten Fehler und Pannen wollten nur Wenige Bescheid wissen. Dann im Juli 2025 beschloss der Bundestag hochamtlich das Einsetzen einer Enquete Kommission zur politischen Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen.
Autokratie-Welle
Nach der Pandemie ist die Welt in eine weitere Krise gerutscht. Das bis dahin währende Zeitalter der Globalisierung, vom Mauerfall eingeleitet, hatte die TELI innovativ auch europaweit mitgestaltet mit der Wissenschaftsdebatte[24][25][26], die Journalisten und Wissenschaft mit der Öffentlichkeit zusammenbrachten und Bürgerinnen und Bürger eine Mitsprache ermöglichten. Die Globalisierung ist mittlerweile in eine De-Globalisierung, Re-Nationalisierung, auch Multi-Polarität umgeschlagen. Die Grenzen, gerade auch zwischen Ost und West, sind zurück. Der Umgang von US-Präsident Trump mit den Hochschulen seines Landes, insbesondere der renommierten Harvard Universität, legt auch ein neues delikates Verhältnis zur Forschung bloß. Es ist wohl richtig, was Christina Berndt, mit vielen Preisen bedachte Wissenschaftsredakteurin der Süddeutschen Zeitung, über Trumps Motive schreibt, nämlich den unabhängigen Geist der Forschung in Ketten zu legen auf dem Weg hin zur Autokratisierung der USA:
“Populisten hassen Wissenschaft … Schließlich ist sie es, die mit ihren über Jahrhunderte etablierten Methoden von Beleg und Zweifel am Ende jene Fakten liefert, die Populisten am liebsten in alternative Fakten verdrehen möchten. Die also oftmals, sehr schmerzlich für Phrasendrescher, widerlegen kann, was Populisten einfach mal so behaupten. Weil es ihrem Weltbild entspricht. Weil sie es wollen. Weil es ihnen in den Kram passt, wenn sie mal wieder auf Seelenfang sind. Die Wissenschaft stört dabei nur.”
Nur, bisher schweigt der US-Wissenschaftsjournalismus weitgehend dazu. Laura Helmuth, die international renommierte Chefredakteurin des Scientific American, 1845 gegründet und damit weltälteste Wissenschaftszeitschrift, trat nach der Wahl Trumps zurück. Die frühere Präsidentin der National Association of Science Writers NASW hatte zuvor ein Novum durchgesetzt. Seit 2020 sprach sich der Scientific American für und damit automatisch auch gegen Kandidaten für das höchste Staatsamt in den USA aus (während einige Leitmedien wie Washington Post und Lost Angeles Times anders als 2020 in 2024 erstmals davon abgesehen hatten).
Mit diesem Schritt hatte der Wissenschaftsjournalismus einen öffentlich weithin sichtbaren Schritt in der politischen Arena vollzogen. Damit räumte er ein, dass sich Wissenschaftsjournalismus nicht von Journalismus und Journalismus als solches nicht von Politik trennen lässt. Das dürfte für viele in der Forschung, die sich traditionell neutral gibt und sich nach allen Seiten offen hält, ein Ärgernis gewesen sein.
Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalismus gilt international als Leuchtturm in der Branche, handwerklich wie auch programmatisch. Er ist vielen der 70 im Weltverband der Wissenschaftsjournalisten WFSJ organisierten nationalen und regionalen Vereinen ein Vorbild. Die ein buntes kommunikatives Patchwork formieren und die, nebenbei gesagt, oft noch viel weniger journalistisch unterwegs sind, als man je der TELI hätte nachsagen können. Werden sich angesichts des politischen Umschwungs daheim die US-Amerikaner so wie die TELI-Altvorderen 1933-45 bedeckt halten und eher einen modus vivendi mit einer unberechenbaren, sich allmächtig gerierenden Staatsmacht suchen? Oder, sich selbst ermächtigend, eine Antwort darauf finden?
Zivilcourage
Die Medien im Dritten Reich, in der DDR, auch in der BRD und im wiedervereinten Deutschland, aktuell auch in den USA: Sie ringen mit der Wissenschaft, den Hierarchien in der Forschung, der Politik, Pressehäusern, Rundfunkanstalten, Mediengesellschaften um die Fakten und deren Interpretation, aus dem ein Bild von Wahrheit entsteht. Dies war, ist, bleibt die Aufgabe und ist permanente Herausforderung, ohne das es dafür eine Formel gäbe, außer die praxis-orientiert pragmatische: mit ein gerüttelt Maß an Zivilcourage in diesen Beruf gehen, eingebettet in ein Berufsverständnis, wie seinerzeit in den 1980ern von Haaf/Langenbucher anlässlich des Tschernobyl-Katastrophe umrissen.
Das unterstreicht auch die US-Soziologin Dorothy Nelkin. Sie beschrieb 1995 in ihrem nach wie vor lesenswerten Buch Selling Science unser aller großes Handicap im Umgang mit der Wissenschaft und Autoritäten jeder Art:
„Wir schreiben alles gläubig auf, was unsere Wissenschaftler – Götter – uns erzählen … Es fällt uns gar nicht ein, dass auch diese Leute Motive haben können, die weniger als ehrenhaft sind.“
Journalismus war seit seinen Anfängen im 17. Jahrhundert eine Frage von Freigeist, Courage, unabhängigem Denken. Übrigens viel mehr als heute. Noch im Deutschen Kaiserreich (1871-1918) dräute den Autoritäten gegenüber unbotmäßigen Redakteuren Gefängnis. Die staatliche Zensur war allgegenwärtig. Kritik an den Herrschenden und deren Politik stieß auf eine sehr geringe Toleranzschwelle. Um den Zeitungsbetrieb aufrechtzuerhalten, hatten die meisten Redaktionen einen als “Sitzredakteur”[27] konnotierten Kollegen. Bei Intervention der Zensur über die Berichterstattung ging er in die Haft, ohne dass die Redaktionsarbeit zum Erliegen gekommen wäre.
Damals wie vor allem heute gilt für alle Ressorts in den Medien. Im Sinne von Immanuel Kant und seinem kategorischen Imperativ: Sapare aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Oft zitiert, wenig realisiert. Die Furcht vor Konflikten blockiert die Verstandeskräfte. Angst ist des Homo sapiens allmächtiger innerer Begleiter und schneidiger Zensor. Insofern schließt diese Bilanz der TELI Historie, einem Jahrhundert Wissenschaftsjournalismus und den Auftakt zu TELI100 mit Goethe, dessen Ritterheld Götz von Berlichingen mit dem Absolutismus abrechnet und selbigen in seinem Kampfe um Selbstbestimmung gegenüber Adel, Klerus, Gelehrten rebellisch im Sturm und Drang ausrufen lässt:
Wo die Furcht weicht, wächst Freiheit.
[1] Vgl. Wolfgang C. Goede: Geschichte des Wissenschaftsjournalismus, S. 235ff, in: Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hg.): Fachjournalismus. Expertenwissen professionell vermitteln. UVK Konstanz, 2004
Siehe hierzu ergänzend auch >> http://pantaneto.co.uk/the-twenties-exciting-times-in-germany-wolfgang-c-goede/ (04.07.2025)
[2] Nach David Blackbourn: Die Deutschen in der Welt. Siedler, Händler, Philosophen. Eine globale Geschichte vom Mittelalter bis heute. DVA, München 2023, S. 444
[3] Vgl. Blackbourn, S. 455
[4] Das Wort „schwul“ entstand aus dem Berliner Dialekt lange bevor im US-amerikanischen Sprachgebrauch „gay“ dafür gebräuchlich wurde, vgl. Blackbourn, S. 536
[5] Nachrufe in Tagesspiegel >> https://www.tagesspiegel.de/berlin/hans-christian-forster-geb-1953-2404861.htmlv/ und Verein für die Geschichte Berlins >> https://www.diegeschichteberlins.de/64-allgemein/statisch/774-nachruf-fuer-hans-christian-foerster.html (28.06.2025)
[6] Detlef Münch: Der Bilder der Technik. Hans Dominiks technische Belletristik 1902-1921. Synergen Dortmund 2017, siehe die TELI Wissenschaftsdebatten Rezension https://www.teli.de/der-prophet/ (28.06.2025)
[7] Siehe Manfred Kluth über seinen Vater Heinrich Kluth und dessen Verdienste um das TELI Archiv sowie und die Entstehung von „Am Anfang war die TELI“ >> https://www.teli.de/zum-tode-von-manfred-kluth-ein-diamantener-bund/ (28.06.2025)
[8] „Am Anfang war die TELI“, S.29f
[9] >> https://www.teli.de/zum-tode-von-manfred-kluth-ein-diamantener-bund/ (02.07.2025)
[10] Die TELI Regionalkreise erlebten einen Boom bis um die Jahrhundertwende, wonach sie Konkurrenz mit vielen neuen Wissenschaftsformaten allmählich ihre Präsenz einbüßten. Der erfolgreichste und bis heute existierende ist der TELI Regionalkreis Süd in München. Lange stand er unter dem Vorsitz von Dietmar Schmidt, ehemaliger Pressesprecher der Ludwig Maximilians Universität LMU, Ehrenmitglied im Bayerischen Journalistenverband BJV sowie mit großen Verdiensten um den PresseClub München.
[11] Siehe dazu auch den Eintrag über die TELI in der Wikipedia >> https://de.wikipedia.org/wiki/Technisch-Literarische_Gesellschaft (28.06.2025)
[12] S. Wilhelm Füßl: Oskar von Miller. 1855 – 1934. Eine Biografie. C.H. Beck München 2005, S. 247ff (der Autor ist der langjährige Archivar des Museums).
[13] Das TELI-Archiv im Deutschen Museum steht weiterführenden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verfügung: ein riesiger Fundus für Doktoranden!
[14] >> https://www.teli.de/wp-content/uploads/pdf/eusja-book-teli-hr.pdf, S. 15 (28.06.2025)
[15] >> Bruce Lewenstein in „Kann Wissenschaft witzig?“, S. 145ff
[16] Der Autor ist ehemaliger P.M. Redakteur und seit den Nuller-Jahren TELI-Mitglied.
[17] Bilanz >> https://www.polsoz.fu-berlin.de/kommwiss/arbeitsstellen/wissenskommunikation/media/bericht.pdf (28.06.2025)
[18] Jean Pütz, Ende 80 und wie aus seinen TV-Sendungen erinnerlich ebenso rheinisch-jovial wie streitbar, hält als jahrzehntelanges Mitglied der TELI weiterhin die Stange und bestritt 2024 einen TELI Jour fixe im Münchner PresseClub vor vollem Hause über die Methanolwirtschaft und Energie aus der Wüste >> https://www.teli.de/teli-jour-fixe_jean-puetz/; https://www.teli.de/unterhaltsam-und-lehrreich-ein-abend-mit-tv-legende-jean-puetz-und-ceo-frank-obrist-wie-zu-hobbythek-zeiten/ (29.06.2025)
[19] damalige Anfrage des Autors bei der Bosch-Wissenschaftsjournalismus-Konferenz Stuttgart 1986
[20] Ähnlich dem aus den 1990er Jahren überlieferten Zitat des Tagesthemen-Moderators Hanns Joachim Friedrichs >> https://www.rnd.de/medien/hanns-joachim-friedrichs-warum-ist-sein-beruehmtes-journalistenzitat-ein-missverstaendnis-656PQPXXD5DQBHNIQQI3Z5PDGI.html (04.07.2025)
[21] TELI: Kompass für die Zukunft? Journalismus im Spannungsfeld der Wissens- und Mediengesellschaft. 70 Jahre Technisch-Literarische Gesellschaft e.V., Vistas Berlin 1999 (mit einer lesenswerten TELI-Dokumentation von Hans Christian Förster, der Entstehungsgeschichte und sämtlichen Vorsitzenden bis zur Jahrhundertwende s. 201-216 sowie sechs Seiten mit TELI-Mitgliedern und ihren Publikationen >>
https://lux.collections.yale.edu/view/text/5432d934-c87b-4350-886f-61a47afcc65d (28.06.2025)
[22] >> https://www.researchgate.net/publication/269783634_Journalisten_in_der_DDR_Eine_Kollektivbiografie
(30.06.2025)
[23] Mit dem Verfasser dieser Studie am 07.07.2025
[24] >> https://www.teli.de/teli100-100-jahre-wissenschaftsjournalismus-suchen-nach-einer-krone/ (30.06.2025)
[26] Siehe hierzu auch >> http://www.scielo.org.co/scielo.php?script=sci_arttext&pid=S0120-48232011000200007 (05.07.2025) (auf spanisch)
[27] Heute auch bei Geschichtswissenschaftlern in Vergessenheit geraten, aber in der Erinnerung gehalten u.a. durch die historischen Vorlesungen zur Zeitungsgeschichte von Otto B. Roegele an der LMU München und damaligem Inst. für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft).
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