by Wolfgang Goede | 2. Oktober 2025 10:40
Kaehlbrandt vs. Schneider – wer liefert die schönsten Beispiele für das allerschönste Deutsch? Oh, das wäre eine Debatte gewesen! Leider ist Letzterer, von seinen Schülern und Fangemeinde als „Sprachpapst“ ebenso verehrt wie auch gefürchtet, schon tot. Roland Kaehlbrandt erwähnt ihn in seinem heute am 2. Oktober 2025 erschienenen Buch über die Schönheit der deutschen Sprache mehrfach respektvoll als „strenger Zuchtmeister“ und verweist im Literaturanhang auf drei Schneidersche Sprachfibeln.
Kaehlbrandtsche „Fasslichkeit“ von Texten
Ohne Wimpernzucken konnte der Journalistenlehrer Wolf Schneider gestandene Kollegen vor versammelter Redaktion mit „dieser Text widert mich an“ in Grund und Boden rammen. Für einige traumatisch, andere motivierend. – Absolute Klarheit, so wie ein vielfach gebrannter hochwertiger Wodka, mit keinerlei Restdenke, noch schlimmer: Schnörkeleien. Das war Schneiders Ding, was er im journalistischen Deutsch wie in einem Kreuzzug einforderte.
Der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt erscheint da, zumindest in seiner schreibenden Wesenheit und „Fasslichkeit“ (einer seiner Ausdrücke) humaner, toleranter, nachsichtiger – und eben auch schnörkeliger. Deutsch, das ist seine große Liebe, wie er bereits in seiner „Liebeserklärung“ vor drei Jahren umfasslich niederlegte. Insofern ist das nunmehr publizierte Folgewerk über die „Schönheit“ seiner Liebe weder eine große Überraschung noch ein Aufbruch zu allzu neuen Sprachufern.
Der Rezensent fühlte sich streckenweise an Ludwig Reiners „Stilfibel“ erinnert (Erstausgabe 1943 und über die Jahre aktualisiert), ein Ratgeber, der seine ersten journalistischen Gehversuche begleitete, die ihn irgendwann mit Schneider zusammenbrachten. Kaehlbrandts Schönheits-Elegie ist ein wenig „déjà-vu“, aber eine mit neuen Eckchen, Spitzen und Glanzpunkten, besonders wenn Kaehlbrandt Kostproben der deutschen Klassiker darbietet und das Meisterliche an deren Formulierungen verstehbar macht.
Sprachlicher Liebesrausch, auch erlaubt
Beim Leser fällt dann immer mal wieder der Groschen: Aha, deshalb haben wir das weiland in der Unterprima gelesen, aber verdammt noch mal, warum hat denn der Deutschlehrer uns so wenig von diesen sprachlichen Kunstwerken nahebringen können?
Damit wird auch klar, dass des Autors Sprachradar zum großen Teil die Vergangenheit abfährt, welche uns großen Respekt abverlangt, gleichwohl mittlerweile ein wenig altertümlich erscheint und nicht mehr ganz so passend für den aktuellen Gebrauch. Im Liebesrausch lässt der Wissenschaftler sich mitunter von zu viel Grammatik und diesbezüglichen Fachbegriffen mitreißen, die ebenfalls im Schulunterricht zu einer Dämpfung von Sprachleidenschaften fürs Deutsche beitrugen.
Apropos Schule: Das machte der coole Französischlehrer seinerzeit geschickter, der mit Liedern, einheimischem Essen und Weinproben, Erzählerchen aus der Welthauptstadt Paris und der damals noch so exotischen Riviera die Liebe für das Idiom weckte.
Vom Erfinden neuer Lego-Worte
Was lässt sich nun aus Kaehlbrandts sprachwissenschaftlicher Analyse herausfiltern, was auch fürs Alltagsdeutsch taugt und auf einem Podium vielleicht sogar Schneiders berüchtigte Polemik ausgebremst hätte?
Also, kurze Sätze sind knackig, aber es gehen auch längere, wenn sie miteinander verbunden sind, so wie die Abteile der Eisenbahn, durch die wir mühelos einen ganzen Zug durchschreiten. Bitte keine Angst davor, so wie die alten Sprachmeister neue Worte zu erfinden, so wie Luther mit „Feuereifer“ oder Stefan Zweig mit „emporzacken“. Deutsch ist eine „Legosprache“, so Kaehlbrandt iterativ, in der sich rasch neue bildreiche Worte zusammenfügen lassen.
Zur gepriesenen Geschmeidigkeit gehört auch, dass sich Satzelemente fast beliebig hin und herschieben lassen, womit Betonung und Aussagekraft neue Nuancen erhalten. Desgleichen kann der Schreiber zwischen verschiedenen Zeitformen wechseln, übrigens viel zu wenig praktiziert, was seinem Stil einen weiteren dynamischen Schub verleiht.
Die kleine Sprachsymphonie
Insgesamt, wäre eine Schlussfolgerung hieraus, sollte das Bauen von Sätzen so viel Spaß bringen wie das Schnitzen an einem Stück Holz. Wem hat das als Kind keinen Spaß gebracht? Und warum haben die meisten von uns das nicht auf unsere Schreibprosa übertragen können?
Die pädagogik-wissenschaftlichen Sünden, warum sich deutsche Schulen so schwertun, Liebe für das Heimatidiom zu erwecken, ja für klassische Bildung überhaupt, dieses Fass machen wir hier nicht mehr auf, resümieren lieber, von Kaehlbrandt angesteckt durchaus liebesbewegt:
Die zu einem Absatz aneinandergereihten Sätze sollten auch komplexe Inhalte transparent, vorstellbar, plastisch machen. In Gänze sollten sie einen Spannungsbogen aufbauen und neugierig auf den kommenden Absatz machen. In Summe sollte das Schreibwerk eine kleine Symphonie sein, komponiert mit Buchstaben, Worten, Sätzen, Höhen und Tiefen, Längen und Verdichtungen, Tempo und Pausen. Wem das nach Konzert klingen sollte, darf sich auch ein Kinderliedchen, einen Song aus dem Rock, Pop, Schlager, sonstigen Musikgenres vorstellen, gerne auch danach tanzen, vor allem: In allen denkbaren Variationen, Gegensätzen, neuen Stilelementen: Text, Inhalt, Formen müssen Sinn ergeben.
Gewisperte Botschaften
Ob ein künstlerischer Text, einer für den Alltagsgebrauch, auch populärwissenschaftlicher – in dieser Synopse könnten sich die beiden Sprachexperten treffen: Er muss mich anwispern, ich bring dir Freude, hab eine spannende Botschaft für dich, kurzum: „Lies mich!“
Roland Kaehlbrandt: Von der Schönheit der deutschen Sprache. Piper München 2025, 14 €
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