by Wolfgang Goede | 25. November 2010 02:24
Das ist ein stolzer Rekord. In 100 Jahren hat sich Berlin Adlershof dreimal neu erfunden. Die Initialzündung war den tollkühnen Männer in ihren fliegenen Kisten geschuldet. Die Erfinder des Motorflugzeuges, die Gebrüder Wright, hatten vor den Toren der Stadt im Südosten eine Flugwerft errichtet und bauten ihren Doppeldecker dort. Während des Ersten Weltkriegs wurde er flugs zu einem Kampfflugzeug umgerüstet. Etwa tausend Stück entstanden in Adlershof und formierten sich zur neuen Luftwaffe.
Auf diesem historischen Grund, heute vier Quadratkilometer groß, wurde die Deutsche Luftreederei aus der Taufe gehoben, aus der 1926 die Deutsche Lufthansa hervorging. Die erste offizielle Fluglinie ging von hier aus nach Weimar, dem Ort der Nationalversammlung, wo die erste demokratische Verfassung Deutschlands verabschiedet worden war.
Der Versailler Friedensvertrag setzte dem fliegerischen Ehrgeiz der Deutschen allerdings enge Grenzen, sodass das einstige Flieger-Dorado sich nach einer neuen Existenzgrundlage umsehen musste. So zogen Filmstudios auf das Gelände, das allmählich den Ruf eines deutschen Hollywoods gewann und Zelluloid-Klassiker wie Nosferatu produzierte.
Unter den Nazis kehrten der militärische Flugzeugbau und die Flugzeugforschung zurück. In Windkanälen, bis heute erhalten, entstanden die Grundlagen der gepfeilten Flügelbaus. Weil Adlershof von der Flak so gut gesichert waren, wagten die alliierten Bomberverbände sich kaum hierher, sodass das Gebiet von Bomben ziemlich unversehrt blieb. Nach Kriegsende demontierten die Sowjets alle Anlagen und schafften sie nach Moskau.
Der zweite Neustart erfolgte unter der Regie der DDR. Sie siedelte auf dem Gelände Forschungseinrichtungen an sowie das Fernsehen. Das währte bis zum Fall der Mauer 1989. Die Akademie der Wissenschaften und das Staats-TV wurden abgewickelt, nur acht Institute in die bundesrepublikanische Forschungslandschaft integriert.
Nachdem 90 Prozent der alten Industrien weggebrochen waren, ging Adlershof in die dritte Innovationsrunde: Photonik und Optik, Biologie und Umwelt, Informationstechnologien, Photovoltaik sowie Medien machten es zu einem Hightech-Zentrum. Der moderne Technologiepark trägt den Namen „Stadt für Wirtschaft, Wissenschaft, Medien“ und hat eine eigene Autobahnausfahrt.
„Wissen wurde zum Turbolader für die neuen Unternehmen“, erklärt Dr. Peter Strunk von Wista-Management, das die industrielle Entwicklung anschiebt und koordiniert. Adlershof sei zu einem Vorzeigeobjekt für die Reindustrialisierung Berlins geworden. Die Bilanz seit der Wende:
819 Unternehmen und 17 Forschungseinrichtungen mit 14 000 Beschäftigten sowie 6800 Studenten der Humboldt Universität. Bei einer Rundfahrt wechseln einander ab Bauten aus der wilhelminischen Zeit und modernste Architektur, dazwischen gesprenkelt ein paar alte Hangars und vor allem: viel freier Platz.
Alles sieht hier noch ein wenig nach Trabantenstadt aus, kühl und anonym, doch jetzt bringen die ersten Geschäfte mehr Leben nach Adlershof. Und dort, wo einst die Wright-Werft stand, erstreckt sich ein Supermarkt. Ein Kindergarten öffnet demnächst seine Türen, und 1000 Wohneinheiten sind geplant. Wenn am benachbarten Schönefeld der neue Flughafen Berlin Brandenburg in Betrieb geht, dürfte Adlershof zu einer neuen globalen Technologie-Drehscheibe werden – und sich noch einmal neu erfinden.
Flugzeuge ziehen sich wie ein roter Faden durch diesen imposanten Innovationsmarathon. Die Nähe zu dem modernen Verkehrsmittel, Inbegriff moderner und sich stets verjüngender Technologie, ist mit der Erfolgsgeschichte Adlershof eng verwoben — und macht dessen Botschaft an die Teilnehmer der TELI-Jahresversammlung 2010 sowie Besucher aus aller Welt um so deutlicher:
Nur wer sich ständig neu erfindet, dem bleibt das Schicksal der Dinosaurier erspart.
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