Der Transhumanismus – vom Homo sapiens zum Homo cyborgensis. Bei Radio Lora „Wissenschaft kontrovers“ am 6. Dezember 2018 ging‘s um die Zukunft des Menschen. Transhumanismus ist eine Philosophie, für manche auch eine Quasi-Religion, die den Menschen von seinen naturgegebenen Grenzen befreien will. Dafür eingespannt werden die Nano- und Biotechnologie sowie Computer- und Technikwissenschaften. Ist sich der Mensch nicht mehr gut genug? Steckt gar der Wunsch nach Unsterblichkeit dahinter? Darüber diskutierten Günter Löffelmann und Wolfgang Chr. Goede mit Professor Dr. Godehard Brüntrup, Hochschule für Philosophie in München.
Transhumanismus hat es in sich. In seinem Eingangsstatement machte Studiogast Godehard Brüntrup klar, dass der Begriff „schillernd und vielschichtig“ sei, „Potenzial wie auch Gefahren“ berge. Grundsätzlich geht es um technische Möglichkeiten, Menschen zu optimieren. Das reicht von Beinprothesen für Amputierte, mit denen diese große sportliche Leistungen erreichen, über die Versprechungen künstlicher Intelligenz, die Ärzte und Patienten zu schnelleren und genaueren Diagnosen verhilft, bis hin zum Science Fiction Szenario einer Singularität, in der eine intelligente Maschinenwelt sich vom Menschen abkoppelt und eine neue Schöpfung entstehen lässt.
Das Ethik-Defizit
Brüntrup wies darauf hin, dass Computer heute imstande sind, sich in wenigen Stunden selbständig Schach beizubringen, und zwar so perfekt, dass sie Weltklassespieler schlagen. An Aktienmärkten handeln sie bereits selber und können durch ihre Transaktionen in kurzer Zeit an den Börsen Panikreaktionen auslösen. Damit brachte er die moralische Dimension computergestützter Entscheidungen in die Debatte. Bei der Einführung autonomen Fahrens sei die Crux, ob der Rechner in einer Gefahrensituation seinen Piloten gegen die Wand fahre. Oder, um ihn zu retten, das Fahrzeug in eine Gruppe von Menschen steuere.
Goede griff die fragwürdige Ethik von Technik auf. Über große technologische Entscheidungen wie auch über die Digitalisierung hätten die Menschen nie abstimmen dürfen, obwohl diese ihr Leben in den letzten dreißig Jahren grundlegend verändert hat, mit großen Fragezeichen für die künftige Entwicklung. Die Sozialwissenschaften zusammen mit Philosophie wie auch Religion müssten ein Gegengewicht dazu bilden und als Tandempartner der Technologie die Ethik der zivilisatorischen Entwicklung definieren helfen.
Das Autonomie-Primat
Brüntrup antwortete, dass die Technikfolgenabschätzung in der Tat unterentwickelt sei, große Defizite aufweise, was wiederum mit unserer profitorientierten kapitalistischen Wirtschaft zusammenhänge. Der Philosoph und Jesuit plädierte durchgehend dafür, dass Technologie und Ethik viel mehr in der Öffentlichkeit diskutiert und deren Kontrolle unterworfen werden müssten.
Das philosophische Ideal sei die Autonomie und Selbstbestimmung des Menschen. Dies gelinge nur „in einem herrschaftsfreien Dialog, in dem keiner untergebuttert“ werde. Es liege an uns, uns zu einigen, denn seit der Aufklärung wache darüber keine göttliche Autorität mehr.
Das Bewusstseins-Dilemma
Auf die Frage, ob angesichts der Tendenz des Menschen zu Aggressionen und Fehlverhalten eine künstliche Intelligenz möglicherweise nicht die verlässlichere moralische Instanz sei, sagte Brüntrup: „Wenn wir alle Folgen unseres Handelns abschätzen können, könnten wir auch moralischer handeln“ und nannte als Beispiel Klimamodelle. Die nutzten wir bereits für moralische Abwägungen bei der Klimaerwärmung.
Löffelmann brachte die Einheit von Leib und Seele sowie das Bewusstsein ins Gespräch, als er den Fachmann um seine Einschätzung bat, ob das Herunterladen von Gehirnen auf Computer denkbar sei, um mit den Informationen Avatare zu betreiben. Brüntrup entgegnete, dass wir bei allem Voranschreiten der Digitalisierung „immer noch keinen Schimmer vom Bewusstsein haben“.
In Geist und Materie sind wir in die Evolution eingebunden, bekräftigte der Wissenschaftler. Eine Erlösung des Menschen durch seine Abschaffung, so wie von einigen radikalen Transhumanisten vorgetragen, könne keine Option sein. Die Evolution sei enorm kreativ, arbeite mit unglaublicher Geduld, sei mit uns Menschen noch lange nicht zu Ende. Zufälle könnten sie in völlig andere Richtungen bringen.
Das Quanten-Paradoxon
Das führte zur Frage nach Geist und Materie, deren Beziehung zueinander und ob
das religiöse und von der Physik geprägte Weltbild einander ausschlössen. Brüntrup
verwies auf die Quantenmechanik und die fast spukhafte Verbindung zweier
Teilchen, nach der das eine noch vor Eintreffen eines Signals bereits weiß, was
das andere vorhat. Das Quanten-Paradoxon spreche dafür, dass „Bewusstsein eines
der fundamentalsten Kräfte ist“, in der Natur und Religion zusammenkommen.
Schicksalsfrage Profitdenken
Gleichwohl räumte Brüntrup ein, dass wir die natürlichen Selektionsmechanismen der Evolution durch Fortschritte in der Medizin bereits beeinflussen. Dass etwa Diabetiker eine lange Lebenserwartung haben und sich fortpflanzten, habe Einwirkungen auf den menschlichen Gen-Pool.
Insgesamt sieht der Münchner Wissenschaftler, wie er es am Anfang der Sendung bereits deutlich machte, im Wirtschaftssystem und Profitdenken eine Gefahr für die zukünftige Entwicklung des Homo sapiens. Es sei eine „Schicksalsfrage, ob wir die Kräfte unter Kontrolle bringen“ – momentan sei das nicht der Fall. Er bekräftigte, dass wir keinen Grund hätten, uns vom Menschen zu verabschieden. Sein wahres Potenzial müssten wir aus uns noch herausholen, denn: „Der Mensch ist etwas Wunderbares.“
Die Radio Lora Sendung im Audio-Format:
http://www.form-und-fuellung.de/transhumanismus-vom-homo-sapiens-zum-homo-cyborgensis/
> Bei der Einführung autonomen Fahrens sei die Crux,
> ob der Rechner in einer Gefahrensituation seinen
> Piloten gegen die Wand fahre. Oder, um ihn zu retten,
> das Fahrzeug in eine Gruppe von Menschen steuere.“
Das ist keine „Crux“, das ist ein Dilemma. Und Dilemmata sind per definitionem nicht lösbar. Soviel Logik muss sein. Also bringt es nichts, darüber zu diskutieren.
Es hilft höchstens dabei, unbewusste psychologische Neigungen zu ergründen – und die sind kulturell, regional und sozial höchst unterschiedlich.
Wenn die Gesellschaft oder die Ethik-Kommission es für notwendig erachten sollte, autonomen Autos ein entsprechendes Entscheidungsmodul einzuprogammieren, dann heißt das doch, dass die Gesellschaft bereit ist, tödliche Unfälle im Straßenverkehr ganz grundsätzlich zu akzeptieren.
Das wäre ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft. In so einer Gesellschaft möchte ich nicht leben.
Das Naheliegende wäre doch, die Geschwindigkeit von autonomen Autos so zu begrenzen, so dass ein computergesteuertes Auto entsprechend seiner Rechen- und Manövriergeschwindigkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit immer einen tödlichen Unfall verhindert. Es hätte dann immer genug Zeit, einfach stehen zu bleiben.
Wo ist also das Problem?
Nochwas: Ein menschlicher Autofahrer entscheidet in einer Vorunfall-Situation ja auch nicht. Er reagiert spontan mit einem biologischen Reflex, an dessen Ausführung das Gehirn kaum beteiligt ist. Es gibt für das Gehirn nichts zu entscheiden. Es passiert einfach, dass Arme und Beine irgendwie so zucken, dass der Fahrer überlebt, egal ob dabei andere draufgehen oder nicht. Sicher gibt es aber wohl auch kulturell und sozialpsychologisch geprägte Abwandlungen solcher Reflexe.