Frischer Wind aus Brüssel. EU und Laien schleifen die Bastionen des Herrschaftswissens. Erkrankte bewerten die Arthrosebehandlung mit Gen- und Stammzellentherapien.
Dreiunddreißig Betroffene aus dem Raum München hatten sich tagelang mit ihrer Krankheit und innovativen Therapievorschlaegen auseinandergesetzt. Dazu veranstalteten sie ein Hearing mit Forschern und interviewten Experten. Ihr abschließendes Gutachten präsentierten die Laien im Klinikum rechts der Isar den Fachleuten und der Öffentlichkeit.
Darin bringen die Arthrose-Erkrankten erhebliche Bedenken zum Ausdruck, etwa die Entstehung von Krebs durch entartete Stammzellen. Auch vor einem „Dammbruch“ und Aufweichung der Grenzen der Gen-Therapie warnen die Laien. „Umfassende Risikoforschung, die einen Tunnelblick vermeidet“, ist in ihren Augen unerlässlich.
Das Laien-Gutachten erkennt aber auch viel Positives in dem Forschungsvorstoß. Durch den Einsatz körpereigener Stammzellen könnte das Auftreten der Symptome, Leiden und Schmerzen hinauszögern. „Allerdings wünschen wir uns, dass die Therapie auch für Menschen über 45 Jahre anwendbar wird“, betonen die Laien. Das könnte ihnen den chirurgischen Gelenkersatz ersparen.
Die Laien appellieren an die Gen- und Stammzellenforscher, die Ethik ernster zu nehmen. Schon der Forschungsantrag sollte sie einbeziehen und fragen, was der Mensch von den wissenschaftlichen Untersuchungen hat. Ethik-Kommissionen sollten zu nicht mehr als die Hälfte aus Mediziner bestehen, der Rest aus Statistikern, Theologen sowie „informierten Laien“.
Die Studie stieß einhellig auf Zustimmung. „Ich bin tief beeindruckt, denn die Wissenschaft legt fest, was machbar ist, aber die Gesellschaft muss festlegen, was gemacht wird“, sagte der Direktor des Münchner Genzentrums der Ludwig-Maximilians-Universitaet, Professor Patrick Cramer beim Entgegennehmen des Laien-Gutachtens. Der Vertreter der EU-Kommission, Dr. Henning Arp, ergänzte: „Dieser Dialog hat gezeigt: Beteiligung ist machbar! Laien können eine Frühwarnfunktion übernehmen.“
Soweit ein Extrakt der Pressemitteilung der beiden Dialog-Expertinnen Maren Schüpphaus und Katharina Zöller von Science Dialogue. Ein ähnliches Projekt hatten die Dialog-Expertinnen vor ein paar Jahren bereits über Nano-Technologie durchgeführt, bei dem junge Menschen Experten gegenüber ihre Bedenken über Nano-Tech zum Ausdruck brachten.
Das alles sind ermutigende Ansätze auf dem Weg zur europäischen Bürgergesellschaft. Was mit Bürgerinitiativen und Bürgerplattformen begann, dass Bürger auf kommunaler Ebene die Zügel in die Hand nehmen und Politikern den Weg weisen, setzt sich im Verhältnis zur Gesundheit, Wissenschaft und Forschung nun fort.
Seit neuestem mischt sich in dieses Thema ein veritabler Bundespräsident ein, noch sehr vage, dennoch richtungsweisend. In vielen seiner Reden und Äußerungen hat Joachim Gauck sich auf diesen Empowerment-Diskurs eingelassen. Darin fordert er immer wieder zu einer “ermächtigenden Aktivierung” auf. Wenn man das weiterdenkt, müsste sich die Gesellschaft selber, also aus eigenen Stücken ermächtigen, besonders in Wissenschaft und Forschung, die die Weichen in die Zukunft stellen.
Darauf zielt die TELI-Wissenschafts-Debatte. Sie wird sich im November auf der Wissenswerte in Bremen präsentieren, das Debattenformat aufblättern und dessen Selbstermächtigungs-Potenzial ausloten.