Mit dem Rücken zum Meer

Spricht man dieser Tage angesichts von Asyl und Migration vom Meer, denken viele an das blaue Massengrab Mittelmeer – es sei denn, die ließen sich an dessen Stränden braten. Dabei flohen viele nicht vor Kriegen, sondern vor den Auswirkungen des Klimawandels – und werden abgeschoben. Indess waren es die reichen Ländern, deren maßloser Konsum ihre Lebensgrundlage zerstört hat.

Reden wir also übers Klima. Und weil die Erde ein Wasserplanet ist: Reden wir über das Weltmeer.

Den Ozeanen geht es schlecht. Doch wir sehen es nicht. Der Horizont ist immer noch weit. Die Wellen rauschen ewig unbeirrt, mal sanft und beruhigend, mal schaumig brüllend. Der Wind streicht durchs Haar oder peitscht manchmal die Haut. Es riecht nach wie vor nach Tang und Salz, manchmal vermischt mit Schiffsdiesel.

Blick von Malmö über den Öresund zur Örresundbrücke

Über den Wellen: Träume. Foto: Neubert

So what?

Fast drei Viertel der Erde sind von Wasser bedeckt, das um die drei bis vier Kilometer, manchmal über zehn Kilometer tief reicht – mehr als die höchsten Berge hoch sind. Das ist nicht neu, kann aber ab und zu die Perspektive wieder gerade rücken.

Die sieben Milliarden Menschen dagegen drängen sich auf 29 Prozent der Erdoberfläche, zumeist an den Küsten. Für die Ernährung all dieser Menschen stehen nicht einmal zehn Prozent der Globusoberfläche zur Verfügung. Der vielfach idealisierte tropische Regenwald breitet sich auf weniger als drei Prozent der Erde aus, alle andern Wälder bedecken noch einmal sechs Prozent.

Allein diese Größenordnungen zeigen, was das eigentliche Lebenserhaltungssystem der Erde ist: Der Weltozean.

Aber wir leben noch

Dass die Menschheit trotz Umweltverschmutzung und Klimagasausstoß überhaupt noch überlebt, liegt daran, dass die Meere vieles schlucken ohne dass wir es merken.

Die Dimensionen machen aber auch deutlich, wie gewaltig die Menge an Umwelt- und Klimaschadstoffen ist, die die heute knapp 1,3 Milliarden Menschen in den reichen Ländern einfach verkonsumiert, verbrannt und weggeworfen haben und es immer noch tun. So viel, dass sie zu inzwischen unübersehbaren Problemen für einzelne Landökosysteme geworden sind. Aber nur die sind es, die die Menschheit sieht und leibhaftig erfährt.

Den Meeren dagegen kehrt die Menschheit den Rücken zu. Müll und Abgase decken die Wellen gnädig zu. Doch als ausgleichender Wärmepuffer kommen sie schon an fühlbare Grenzen.

Weit mehr als ein Viertel des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2), das der Mensch seit der Industrialisierung durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas in die Luft geblasen hat, haben die Weltmeere aufgenommen. Teilweise nahmen es die winzig kleinen Planktonorganismen auf und zogen es beim Absterben mit in die Tiefe.

Chemische Reaktionen kann man nicht abschalten

Aber der größte Teil des CO2 setzte chemische Reaktionen in Gang, die noch Hunderte von Jahren weiter laufen werden und nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Folge: Das Meerwasser ist saurer geworden. Zahlreiche Planktonorganismen und Korallen können nicht mehr ihre Kalkschalen und -skelette aufbauen. Sie sterben ab und entfallen damit auch als Transporteure für CO2 in die Tiefe.

Wie gefährlich nahe die Ozeane daran sind, als Lebenserhaltungssystem zu kollabieren, zeigen eine Reihe von wissenschaftlichen Modellrechnungen und Auswertungen, die gerade in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden. Sie kommen alle zum selben Ergebnis: Den Ozeanen droht der Kollaps.[1] [2] [3]

Deshalb müssen wir also auch über die Ozeane reden. Sie haben keinen Schalter, mit dem sich die chemischen Reaktionen abschalten lassen. Sie werden also weiter auch das regionale Wetter massiv beeinflussen – und das für die meisten Menschen nicht mehr positiv.

Jetzt Zinsen zurück zahlen

Es wird ein ganz normaler Zustand werden, dass immer mehr der knapp 6 Milliarden Menschen die Reise antreten, Menschen, denen die 1,3 reichen Milliarden seit Jahrhunderten die Ressourcen Luft, Land, Bodenschätze und Einkommen streitig machen. Jetzt fordern die Armen legitimerweise Rückzahlungen und Zinsen von dem Kapital, das vor allem Europa und Nordamerika reich machte.

Flüchtlingscamp Choucha, Tunesien

Flüchtlingscamp Choucha, Tunesien. Foto: Mohamed Ali Mhenni (Wikimedia)


[1] Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (2015): CO2 aus der Luft zurück zu holen kann die Ozeane nicht retten. https://idw-online.de/de/news?print=1&id=635582

[2] Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (2015): Den Ozeanen droht der Kollaps http://www.helmholtz.de/erde_und_umwelt/den-ozeanen-droht-der-kollaps-4307/

[3] Alfred-Wegener-Institut (2015): Die Meere können nicht mehr http://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/die-meere-koennen-nicht-mehr-forscher-befuerchten-einen-grundlegenden-wandel-der-ozeane-selbst.html


Dieser Artikel erschien zuerst bei ScienceCom.eu

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