Deutsch für Deutsche

Stehen wir nicht alle, mehr oder weniger, auf Kriegsfuß mit unserem Idiom – spätestens seit den eher absurden und unvollständigen Rechtschreibreformen?

Der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt stopft ein paar Löcher in Deutsch. Eine Liebeserklärung, ebenso kenntnisreich wie liebenswürdig. Das Buch ist für jene, die mit Deutsch zu tun haben, also quasi Alle, ein stattlicher Zugewinn; übersichtlich in zehn „Vorzüge“ gegliedert, mit Lust machenden Vorspännen und Zwischentiteln, meist leicht lesbar, im Erzählstil, mit überraschenden Wendungen – für nur 12 Euro.

Musiksprache

Ein Bild drängt sich bei der Lektüre auf, was aber in inhaltlicher Schwebe verbleibt. Sprache ist Buchstabenmusik. Ganz egal, ob im Umgangsdeutsch oder in literarischer Kunstsprache: ein komponiertes Werk, mit unserem Alphabet statt mit Noten. Mittel zum Zweck sind Kommata und Satzbau, hilfreiche Füllwörter, ja, auch Endlossätze.

Thomas Manns punktlose Einseiter, dafür mit vielen anderen Satzzeichen garniert, waren eine Komposition, wie der Autor beschreibt. Das Sprachexperiment wäre spannend: Wie läse sich der Nobelpreisträger in einer Serie von Hauptsätzen, die der erwähnte Sprachpapst Wolf Schneider Journalisten ans Herz legt, die zwar nicht Kunst verfertigen, wohl aber hochkomplexe Prozesse transparent machen.

18 Millionen Wörter-Sprache

Übrigens: Wer wie unser großer Schriftsteller zu langen Sätzen neigt, aber von Zweifel umtrieben ist, sei hiermit zum Semikolon eingeladen. Das war bei der Süddeutschen Zeitung dereinst als altmodisch angesehen, was heute wiederum als lange überholt gilt. Denn mit dem „Komma-Punkt“ ist eine effektvolle Satztaktung möglich. Auch hierzu wäre Kaehlbrandts Expertise nützlich gewesen.

Sprache, in welcher Form auch immer, folgt kompositorischem Gusto. Jeder ist auf seine Weise ein Sprachkünstler, ob er gerade mal das Minium von 750 Wörtern beherrscht, die 10.000 eines gut gerüsteten Sprechers, Goethes 90.000 oder die 5.000.000 Duden-Wörter nachschlägt (mit „Gelegenheitskonstruktionen“, so der Autor, was immer die wären, sogar auf 18.000.000 [!] steigerbar).

Weltsprache

Und, wo wir gerade bei Zahlen sind, fast 300.000.000 Deutschsprechende zählt die globale Community. Wir sind Weltsprache!

Auch wenn Mark Twains Diktum, „das Leben zu kurz ist, um Deutsch zu lernen“, an dem sich der Autor abarbeitet, nicht ganz so einfach vom Tisch zu wischen ist. Deutsch mit den drei Geschlechtswörtern der, der, das (spanisch zwei, englisch eines) und vier Fällen bleibt komplex, auch wenn Tschechisch in der Aussprache mit den Ketten von Konsonanten und Finnisch mit 15 Fällen unvergleichlich viel hochkomplexer erscheinen.

Lego-, Steno-, Kanak Sprak

Angesicht der lauernden Fallen ist die vom Linguisten so ausführlich gepriesene „Legosprache“, die Zusammensetzbarkeit aus bekannten Wortelementen, kein allzu großer Trost. All die Ableitungen von „Haus“ (S. 41) etwa bleiben schwer erlernbar und laden den Nichtmuttersprachler zu irritierenden Verwechslungen ein. Der Verfasser geht zwar auf die Kurzsprache der Jugend ein mit ein paar amüsanten Wendungen; was aber auffallend deutlich fehlt, ist seine Einordnung der „Leichten Sprache“, welches viele Behörden vorschreiben.

Denn, machen wir uns nichts vor, die vom Autor vorgestellten hochtalentierten Schriftsteller aus dem nicht-deutschen Sprachraum sind Ausnahmen. Gern les- und hörbares, auch originelles, vor allem informierendes Deutsch bleibt ein hochdotiertes Ziel. Es dürfte sich unterm Einfluss weiter zu erwartender Einwandererzuströme, den stets präsenten Sprachmoden, auch der derzeit angesagten Whatsapp-Stenosprache signifikant verändern. Und welche Spuren erst Kiezdeutsch und Kanak Sprak hinterlassen (leider auch ausgeblendet).

Bürgersprache

Eine Kaehlbrandtsche Ansage ist allerdings eineindeutig und fünf Sternchen wert: Deutsch ist ein Gewächs von ganz unten. Seine Schöpfer waren großteils Menschen wie fast Du und ich, Luther („dem Volke aufs Maul schauen“) und die Grimm-Brüder; anders als Französisch, über das seit dem 17. Jahrhundert der Staat höchstpersönlich wacht und bis vor kurzem alles Englische „einfranzösischte“. Frankophile werden aufheulen, aber vielleicht auch deshalb kommt Deutschen die zugestandenermaßen elegante Sprache mitunter steril, wie ein Laborprodukt vor.

Deutsch, beschreibt der Autor anhand vieler historischer Beispiele, musste sich nicht nur gegen das Französische durchsetzen, die Sprache der Wahl an den Höfen, sondern auch gegen Latein. Noch vor drei Jahrhunderten endete die Ankündigung einer Vorlesung auf Deutsch mit einem handfesten Eklat. Deutsch ist eine Sprache der Bürger und des Volkes, dem Urgestein des Staates. Sehr demokratisch.

Slangsprache

Innovation und Mut zählen, auch in der Sprache! Goethe durchbrach die „blutleere Philistersprache“ der Gelehrten und Beamten (S. 129), der er selber einer war, mit Satzabbrüchen, Ausrufen, Wiederholungen; Trakl genügten für seine expressonistische Poesie 3800 Wörter, und selbst Kaehlbrandt benutzt das Slangwort „krass“ (mittlerweile sogar ins Hochenglisch eingewandert). Yeah, we Germans can!

Wohlan: Wir, Sie dürften, mit diesem frischen Blick, gut und gerne auch ein wenig stolz auf unser Idiom sein, in schönstem Lego-Deutsch: Es ist uns an-ver-traut (S. 235).

Roland Kaehlbrandt
Deutsch. Eine Liebeserklärung
Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache
2022 Piper, München

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