Zurück zur Natur?

Hätte Rousseau das geahnt! Wie grausam das Stammesleben indigener Völker im Dschungel ist. Die Autorin Sabine Kuegler, besser bekannt als das Dschungelkind, wie ein nach ihren Erlebnissen verfilmter Kinoblockbuster heißt, beschreibt in ihrem neuesten Buch das unromantisch-archaische Leben im Busch von Papua-Neuguinea. Die starren Rollen von Mann und Frau, er als Jäger und sie als Gebärende und Bäuerinnen, fehlende Liebe, die absolute Autorität des Häuptlings, Blutrache zwischen den Clans, wie Kranke aus der Gemeinschaft verbannt werden, weil sie angeblich ein böser Fluch getroffen hat. Monsieur Rousseau, wollten Sie wirklich zurück zur Natur?

Tödliches Lächeln

Am krassesten in Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind ist der Bericht über einen Einheimischen, der den Ehemann einer westlichen Besucherin mit einem Pfeilschuss tötet. Die Frau hat ihn freundlich angelächelt, wie man das beim Kennenlernen halt so tut, was aber im Brauch der Einheimischen ein Heiratsantrag ist. Nur, was mit dem Ehemann tun? Das ganze Dorf ist Zeuge der Szene, der Angelächelte fürchtet um seine Ehre, die er damit verteidigt, indem er den Nebenbuhler tötet. Der Zwischenfall demonstriert, wie schwer sich Global-Nord und die Indigenen in Global-Süd miteinander tun, jeder gefangen im Korsett seiner Rituale und Denkgerüste.

Kein richtiges Problem damit hatte die Schreiberin, jedenfalls als sie klein war. Als Missionarskind war sie in der Region aufgewachsen und von den Einheimischen als Stammeskind angenommen worden, glaubte sie, um erst später als Erwachsene nach Europa zu kommen. Für sie war die Rückkehr in ihre Heimat, dem sie das Buch widmet, die Rückkehr in die Freiheit. Die europäische Zivilisation war ihr wie eine Zwangsjacke vorgekommen: Menschen, die wir Roboter funktionieren, verkniffene Gesichter, unglücklich und getrieben, im Hamsterrad hechelnd.

Heimatlos

Eine mit westlicher Medizin unheilbare Krankheit hatte sie befallen und im Busch suchte sie nach einer Naturmedizin dagegen. Darüber vergehen mehrere Jahre. Alles in allem eine hochstrapaziöse Abenteuerreise, die selbst Fittesten einiges abgefordert hätte und der Lesende fragt sich wiederholt, wie ein eigentlich todkranker Mensch das überstehen konnte.

Sabine übersteht, findet das Heilmittel und wird sich der Tragik ihrer Existenz voll bewusst, als sie von ihrem einheimischen Begleiter gesagt bekommt, dass sie als Weiße nie von den Stammesangehörigen anerkannt werden wird. Ein Lebensgefühl zerplatzt und sie wird gewahr, dass sie eigentlich nirgendwo hingehört, weder nach Papua-Neuguinea noch Deutschland (gleichwohl sie gelernt hat, sich dort medial ganz gut zu vermarkten). Dabei beschrieb sie zuvor so authentisch, was es mit einem macht, wenn man auf die Jagd geht, so wie sie es als kleines Kind gelernt hatte. Das Erlegen eines Wildtiers erlebte sie wie im Blutrausch und einer Emotion, die sie mit einem Orgasmus verglich.

Knallhart

Das Buch ist durchweg spannend, aber es ernüchtert. Den „edlen Wilden“, wo gab es ihn? Das Leben im Busch ist knallhart und nur in absoluter Solidarität überlebt der Stamm. Ausscheren wird, ja kann wohl gar nicht geduldet werden. Kuegler beschreibt das Alltagsleben im Stamm zwar als heiter-entspannt, als Antipode zum Leben im Norden, doch sie konzediert auch, dass es immer mehr Stammesangehörige in die Großstädte mit ihren zivilisatorischen Errungenschaften zieht. In ein paar Jahrzehnten dürften die meisten einheimischen Dörfer mit ihren so heiter-rigorosen Verhaltensnormen verschwunden sein, worin sich die zweite große Tragik in diesem Buche andeutet.

Manche Passagen wiederholen sich und vertrügen gut ein paar Kürzungen. Neugierige würden sich vielleicht auch über ein Dreizeiler freuen, der die „Mitarbeit von Katja Suding“ erläutert, die auf dem inseitigen Titel quasi als Co-Autorin firmiert. Über die wenigen Rechtschreibfehler und Dreher (bspw. S. 41, 90, 216) dürften die Meisten großzügig hinweglesen.

Landkarte, bitte!

Das allerdings größte Manko ist die fehlende Landkarte. Allzu gerne würde man mit dem Finger die Reisen der Akteurin nachverfolgen, um sich von dieser, ja fast Odyssee in Global-Südost auch ein räumliches Bild, in ihrer Wildnis leider sterbenden Weltregion machen zu können.

Sabine Kuegler
Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind
Westend Verlag 2023

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