Vom Frankozän zum Novazän

„We Are Volcanoes“, very much indeed: In ihrem gleichnamigen Buch präsentiert die Schriftsteller-Journalistin Charlotte Kerner ein „Triumfeminat“, wie sie jenes Trio von Öko-Visionärinnen tauft, das auch das Cover ziert. Es besteht aus Rachel Carson, mit „Silent Spring“ die Vordenkerin, die in den 1960ern bereits auf den drohenden Ökozid aufmerksam machte. Ihre eher unbekannteren *US*-Kolleginnen Lynn Margulis und Donna Haraway machen die Troika rund.

Erdlinge als Symbioniten?

Im fulminanten Vorwort glänzt die Autorin mit Wortspielereien, Bildern, Alliterationen. Sie machen Lust auf die Kapitel „Stiller Frühling“, „Heißer Sommer“, Gefluteter Herbst“, die frisch von der Leber das Aufbegehren des Dreier-Gestirns erzählt, gegen die alten Dogmen von Wirtschaft und Wachstum, die die Natur kaputt machen. Das ist alles durchaus lesenswert, wenngleich sich stellenweise Déjà-vues aufdrängen. Das wirklich Spannende kommt dann in IV, dem Abgang, überschrieben mit „Leerer Winter: ÜberLeben“.

In dieser „Science-Fabulation“ kommt es zu einer biologisch-digitalen Großfusion. Erdlinge, Fauna (wahrscheinlich auch Flora) vereinen sich zu „Symbioniten“, die in einer biblischen Arche ihren Hafen suchen, aber nicht auf H2O, sondern Bit & Bytes, Informationsmeeren schwimmend.

Diese Vision ist eingebunden in ein GGG, einem Gaia-Grundgesetz, regiert vom „großen WIR“ und „Otherness“. Geleitet vom „CaMaHa“-Braintrust, führt die Autorin von Frankenstein und vermeintlicher Machbarkeit aller Dinge, dem Frankozän, durch die rücksichtslose Ausbeutung, den Kapitalozän, ins künftige Novazän.

Doppelnatur der Vulkanausbrüche

Es bleiben Zweifel, auch naturwissenschaftlicher Art, selbst und insbesondere mit Blick aufs Attribut „Wissensbuch des Jahres“: Ob hier nicht der Wunsch nach einer heilen, perfekten, himmlischen Welt die schriftstellerische Feder geführt haben könnte? Denn nach allem, was wir über die planetare Natur wissen, sind auch das Säugetier Mensch und seine Erfindungen inklusive KI ein Produkt vieler unberechenbarer Kräfte, vor denen dereinst bereits Christus kapitulierte.

Nomen, der Buchtitel, est omen, Zeichen. Vulkanausbrüche haben das Schicksal des Planeten und des Lebens darauf mitgeprägt, erratisch und unvorhersehbar. Mögen geistige Vulkanausbrüche helfen, uns selbst und die Bedingungen unserer Evolution besser zu verstehen und die Weichen in eine gelingende Zukunft zu stellen.

… und die Lektoren?

Ach ja, Fehlermeldung gehört ja auch zum Job des Rezensenten. Nein, Dreher, Verstümmelungen und dergleichen sind ihm nicht ins Auge gestochen. Das Buch ist liebevoll lektoriert und hergestellt, nur etwas Grundsätzliches: Warum werden Lektoren, die ja Hebammen und oft viel mehr sind, erst in der Danksagung erwähnt, nach Belieben des Autors, und nicht standardmäßig vorneweg, so wie Übersetzer?

Charlotte Kerner: We are Volcanoes. Die Öko-Visionärinnen. Rachel Carson Lynn Margulis Donna Haraway Westend 2024

https://westendverlag.de/We-are-Volcanoes/2080

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