Die Gehirnforscherin Barbara Sahakian, Professorin für Psychiatrie an der englischen Cambridge Universität, hat ein heißes Eisen angepackt. Im SZ Magazin (17.V.13)* räumte sie ein, dass viele ihrer Wissenschaftskolleg_innen Aufputschmittel nehmen, um den hohen Leistungsanforderungen und Karriereansprüchen gerecht zu werden. Diese Amphetamine, im Volksmund „Speed“, verstecken sich hinter vielen Namen wie etwa Modafinil, kognitive Enhancer oder, bekannter, Ritalin. Letzteres bewirkt bei Überaktiven, dass sie sich besser auf das Wesentliche konzentrieren können.
Da diese Mittel immer mehr Zuspruch in allen Bevölkerungskreisen finden eingenommen werden, damit man/frau im Alltag funktioniert, hält die Akademikerin „eine öffentliche Diskussion für überfällig“, sagt sie in dem Medium. Sie äußert sogar Verständnis für den Gebrauch, wenn etwa Ärzte sich in anstrengenden Nacht- und Wochenendschichten mit diesen Pillen fit halten. Sie seien geeigneter als Nikotin oder Koffein, insbesondere weil Letzteres Zittern auslöst, ungut bei chirurgischen Eingriffen.
„Möglicherweise gibt es Berufsgruppen, bei denen es im Interesse aller wäre, wenn sie solche Medikamente zu sich nähmen“, sagt die Forscherin und verweist auf Busfahrer und Schichtarbeiter.
Das Thema ist übrigens nicht neu und hat Wurzeln in Nazi-Deutschland. Bekannt war, dass deutsche Piloten vor Einsätzen „Hallo-Wach-Schokolade“ verabreicht bekamen. Unlängst deckte die taz** die ganze Dimension des Drogenmissbrauchs auf. Danach waren im Krieg die ganze Nazi-Führung inklusive Hitler, Heerschaften von Soldaten und die Generalität, praktisch halb Deutschland auf Speed, um durchzuhalten. Die Droge der Wahl hieß Pervitin, das an KZ-Häftlingen ausprobiert und optimiert wurde. Auch die Alliierten, so die Nachforschungen der taz-Reporter, hielten dem Kriegsstress nur mit Aufputschdrogen stand.
Wie es weiterging, ist bekannt. Speed rettete sich in den Sport und wurde dort immer auffälliger, bis Sportler darauf getestet wurden, ob sie sich dopten. Der weiße Schnee Kokain gilt bereits seit Jahrzehnten bei Intellektuellen, Bankern, Künstlern als das Mittel, um tagelang durchzuarbeiten. Einige Brausen tuen ein Übriges. In der internet-getriebenen Gesellschaft, die Erreichbarkeit und Einsatz rund um die Uhr verlangt, ist die Frage der Leistungssteigerung aktueller denn je. Die Psychiaterin schließt das Interview mit einem zweitdeutigen Hinweis:
„Mir graut vor einer Gesellschaft, die Drogen nimmt, um Tag und Nacht zu arbeiten.“ Sie hoffe, dass der Mensch lernt, auf natürliche und gesunde Weise Kreativität zu erlangen, aber wir uns, „wenn sonst nichts hilft, einen Caffè latte vom Straßencafé holen, mit einem Schuss Modafinil.“
*) http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/39957/Mit-allen-Mitteln
**) http://www.taz.de/!84440/
Warum dem allgegenwärtigen Trend folgen und die Sprache so verunstalten: „Wissenschaftskolleg_innen“?
Wäre es nicht schöner zu schreiben: „Wissenschaftskolleginnen und Kollegen“?
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