Post-fossile Mobilität: Spagat zwischen Vision und städtebaulicher Praxis

Die Fraunhofer Gesellschaft designt die Stadt der Zukunft. Im Projekt Morgenstadt haben E-Mobile Vorfahrt. Die Wohnquartiere passen sich ihnen an. Plus-Energiehäuser werden zu Stromtankstellen. Distanzen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz schrumpfen. Straßen werden zurückgebaut. Was heißt das für eine Großstadt wie München? Wie gehen ihre Städteplaner damit um? Dieser TELI Jour fixe im PresseClub am 22. Oktober 2013 war Teil des Münchner Klimaherbstes 2013. Sein Thema: Die Zukunft der Mobilität. GEHT’S NOCH?! (siehe auch Energiewende = Mobilitätswende)

Steffen Braun, Dipl.-Ing., Architekt und Morgenstadt-Koordinator ist Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Er machte den Auftakt mit seiner Präsentation „Das Ende der Mobilität. Von Stadtmauern und Robotaxis …“ Das war eine Zeit- und Evolutionsreise durch dreieinhalb Jahrhunderte, von der Pferde- und Postkutschenzeit, über den Anfang und Boom der fossil getriebenen Automobile, bis zu den autonom verkehrenden E-Autos in dezentralisierten Stadtquartieren des postfossilen Zeitalters.

Danach löst sich die Megastadt bis 2035/2050 in flexible Stadtstrukturen auf. Hier wird gewohnt, gelebt und gearbeitet – lange Fahrten fallen weg. Das verringert den Schadstoffausstoß, erhöht die Produktivität und die Lebensqualität. Die Fraunhofer-Vision 2020 sind erste reale urbane Labore, darunter das Olympiadorf, die in diese Richtung experimentieren und erste Technologien und Bauformen umsetzen.

E-Mobile haben Vorfahrt

Die zunehmende Digitalisierung spielt für diesen Transformationsprozess eine wichtige Rolle. Denn damit lassen sich Fahrzeuge autonom lenken. Erste Tests mit dieser Verkehrstechnologie laufen bereits in den USA. Danach könnten in diesem Jahrzehnt in New York möglicherweise bereits erste autonome Taxis verkehren. Einer seiner Vorteile: Damit lässt sich die Verkehrsdichte enorm erhöhen, da diese praktisch Stoßstange an Stoßstange führen. Wichtig: Die Reduzierung des privaten Autoverkehrs würde in den Städten riesige Flächen freisetzen, die nicht mehr für Straßen und Stellplätze erforderlich wären.

Braun verglich den Stadtverkehr mit Zigaretten, „die man sich zu rauchen abgewöhnt“. Das war ein Ausdruck der Sucht, die viele Menschen nach ihrem eigenen fahrbaren Untersatz haben. Mobilität werde sich in Zukunft nicht in eigenen, selbst gesteuerten Fahrzeugen niederschlagen, sondern sie werde als Dienstleistung und Mobilitätshilfe gedacht. Brauns Vortag endete mit einem Urzeittier: sterbende Dinosaurier, die durch die kleinen Säugetiere ersetzt wurden. Der Merksatz darunter, nach Darwin:

»It is not the strongest of the (species) cities , nor the most intelligent, that survives. It is the one most adaptable to change…« — ein Appell an die geistige Mobilität der Menschen des 21. Jahrhunderts.

E-Mobile sind Dinosaurier

Auf das Urzeittier antwortete Münchens Stadtbaurätin, Professorin Dr. Elisabeth Merk, mit einem anderen Merk-Satz: „Die mit schweren Akkus beladenen E-Mobile sind auch Dinosaurier.“ Damit plädierte sie für eine Vielzahl von Lösungen, die im kulturellen Dialog miteinander und partizipativ zwischen den verschiedenen Interessensgruppen erstritten werden müssten. Da sei gar nicht einfach, weil sich auf Bürgerversammlungen immer wieder zeige, wie sehr die Menschen an ihren Autos hingen. Für einige seien sie eine Art Fetisch, für andere seien sie zum Erreichen ihrer Arbeitsplätze unabkömmlich. Insgesamt wünsche sie sich beim Umsetzen städtebaulicher Pläne und Mobilitätskonzepten von der Politik schnellere Entscheidungen, vor allem auch im Verbund mit anderen politischen Körperschaften wie dem Freistaat Bayern.

Speziell, auf die Themenstellung bezogen, befürwortet sie ein autofreies Stadtzentrum, das nur für Fahrräder zugänglich ist. Deren Unterbringung sei eine Herausforderung. Möglicherweise müssten öffentliche Parkgaragen mit einer Ebene für Fahrräder ausgestattet werden. Insgesamt sollte der innerstädtische Raum viele Plätze haben, die zum Verweilen einladen. Den Ring um das Zentrum herum kann sich Münchens Stadtbaurätin als E-Mobil-Zone vorstellen.

U- und S-Bahnen

Im Übrigen setzt die Isarmetropole E-Mobilität bereits in Gestalt seiner U- und S-Bahnen ein. „Das Netz gehört weiter ausgebaut“, betonte Elisabeth Merk, durch Ringbahnen und tangentiale Streckenführungen, um bisher unerschlossene Regionen einzubinden.

In der Auftaktveranstaltung zum Klimaherbst am 10. Oktober hatte der Münchner Umweltreferent Joachim Lorenz erklärt: „So geht’s nicht weiter!“ 20 Prozent der Klimagase stammen vom Verkehr. Ziele für München: Erhöhung des Radverkehrs auf 20 Prozent, Ausbau des Nahverkehrs, mehr Carsharing, elektrisch betriebene LKW-Flotten. Professor Hermann Knoflacher,TU Wien, ergänzte, dass die Stadt, Wohnungsbauwirtschaft, Architekten weniger Stellflächen und Garagen für PKWs bereitstellen dürften. Denn die ermutigen zum Autofahren, nehmen wichtigen Wohnraum weg, sind außerdem hoch subventioniert und wären auf einem freien Markt sehr viel teurer, fast unerschwinglich.


Präsentationen von Dipl.-Ing. Steffen Braun, Fraunhofer IAO Stuttgart
Das Ende der Mobilität [PDF 2,4 MB]

Präsentation der Münchner Stadtbaurätin Prof. Dr. Elisabeth Merk
Mobilität im post-fossilen Zeitalter – München heute und morgen [PDF 5,5 MB]

Siehe auch: Mobilität der Zukunft: „Das Auto macht die Stadt kaputt“
Interview mit dem Hamburger Stadtplaner Konrad Rothfuchs –>
http://www.spiegel.de/auto/aktuell/bmw-i3-carsharing-bestimmt-das-autofahren-von-morgen-a-931118.html

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2 Gedanken zu “Post-fossile Mobilität: Spagat zwischen Vision und städtebaulicher Praxis

  1. Mobilität by Braun/Merk: die Mischung macht’s!
    2 Vorträge, die gegensätzlich waren – oder doch nicht?
    Der „Visionär“ Braun (siehe auch das Buch „Morgenstadt“) beschrieb zunächst die Vergangenheit, bevor er (fast zu kurz) auf die Zukunft zu sprechen kam: hier sind es ganz reale Entwicklungen, die er zusammengefasst hat: „Shareconomy“, Mensch-Maschine-Interaktion ermöglicht autonomes Fahren und die Forschungsfelder für zukünftige Mobilität und das Zusammenwohnen in der Stadt. Bei Letzterem ist vor allem Dezentralisierung zu neuen flexiblen Stadtstrukturen / Stadtquartieren bemerkenswert.
    Dieses Thema wurde auch in einem Vortrag am Abend zuvor behandelt: es wird 16 neue Stadtzentren geben, die die Verkehrsplanung und vor allem den MVV vor neue Aufgaben stellt: bis 2030 wird der Fahrgaststrom sich hier verdoppeln – 2x so gross sein wie heute – und 2030 ist garnicht mehr soweit weg! Das stellt die Planer vor riesigen Aufgaben, die sie aber schon heute bemerkenswert gelöst haben: ein detailliert ausgearbeitetes integriertes Konzept von S-Bahn, U-Bahn, Tram, Bus und „Seilbahn“ (im Messe-Bereich), das diese Herausforderungen erfüllen kann, wo das Auto aber keine entscheidende Rolle mehr spielt.
    Bei dem Konzept fehlten mir allerdings die Oberleitungs-E-Busse, die in den 60er Jahren ihre Blüte hatten und auch heute sowohl in den östlichen Ländern v.a Russland, aber auch in Italien, der Schweiz und den USA eingesetzt werden. Ihr Vorteil liegt in der vergleichseise schnellen Realisierungszeit von ca. 2 Jahren gegenüber ca. 10 Jahre für eine neue Tram-Strecke.
    Doch zurück zu diesen zwei Vorträgen. Stefen Braun hat den Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft zu spannen versucht, wobei die Zukunft in den Projekten sich mir schon jetzt ziemlich real erscheinen läßt.
    Frau Prof. Dr. Merk hat als Stadtbaurätin sowohl die Gegenwart aufgezeigt in den bereits realisierten Projekten wie z.B. dem Petueltunnel / -park oder dem innerstädtischen Bereichen. Sie hat aber auch auf die zukünftigen Entwicklungen hingewiesen, wo gerade die Vernetzung der Region mit ihren „Vor-“ Städten bewältigt werden muss. Hier ist eine Neuorientierung von Stadt- / Siedlungsentwicklung, Grüngürteln und Wohn- / Arbeitsbereichen mit den angemessenen Erreichbarkeiten die Herausforderung der zukünftigen Entwicklungen. Und in diesen Punkten sind sich die Referenten auch völlig einig, also eine schöne Ergänzung von Vision und Planung wurde an diesem Abend erreicht.

  2. Der Technokrat Braun gegen die Visionärin Merk: Im Bericht zu dieser Veranstaltung, bei der ich nicht dabei war, zeigt sich gut, wie abgehoben und ohne Kontakt zur wirklichen Welt viele Forscher und Entwickler vor sich hin basteln. Es ist sicherlich gut, Werkzeuge für die Zukunft zu haben. Aber die Auswahl der richtigen, der passenden Werkzeuge sollte man nicht Technokraten überlassen.

    Frau Merk ist glücklicherweise sehr bewusst, dass neue Entwicklungen und Visionen mehr mit Lernen und Umlernen zu tun haben. Technische Lösungen sind nur Werkzeuge. Wirkliche Veränderungen passieren vom Kopf her. Gut, dass sie dem Technikenthusiasmus ihres Vorredners einen Dämpfer verpasste: Ja, auch Elektromobile sind Dinosaurier.

    Die Veranstaltung konzentrierte sich auf die technische Mobilität.

    Wahrscheinlich deshalb stellte wohl niemand die Frage, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass sich die Einstellung zur Mobilität in Zukunft völlig ändert. Hier wurden Pläne ausgebreitet, über Generationen hinaus gehen.

    Braun und Merk sind beide in der Gefahr, zukünftigen Generationen die Möglichkeit zur eigenen Gestaltung im wahrsten Sinne des Wortes zu verbauen.

    Vielleicht auch mal über den Tellerrand schauen und sich erfolgreiche Beispiele moderner Stadtentwicklung anschauen, bei denen die Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht deren Mobilität oder Konsum. Beispielsweise Jan Gehl (Homepage) oder die White-Architekten. Man muss ja nicht immer alles selbst entwickeln…

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