Die beiden Diskussionsteilnehmer in der Lora-Sendung waren: Sharad Gandhi, IT-Ingenieur, Technologiephilosoph und Mitautor des Buches „AI & U (KI und Du). Translating Artificial Intelligence into Business1″; sowie der Physiker, Wissenschafts- und Technikjournalist Arno Kral, Vorsitzender der Journalistenvereinigung TELI e.V.
MACHT UND OHNMACHT
Die Debatte begann mit der Bitte an die beiden Gäste, den Satz „Künstliche Intelligenz ist für mich …“ zu vervollständigen. Dabei zeigten sich zwischen dem wirtschaftlich orientierten Gandhi, von Geburt Inder, und dem sich für Ethik und Datenschutz engagierenden Kral, gebürtiger Oberpfälzer, grundsätzliche Unterschiede.
„KI ist die Fähigkeit von Maschinen, Entscheidungen zu treffen, die uns helfen können oder auch nicht“, antwortete Gandhi. Kral dagegen sieht in KI „eine Hoffnung der Machthabenden auf noch mehr Macht sowie eine Hoffnung der Menschen, die Machthabenden zu entmachten und vernünftige Entscheidungen für unser Leben zu treffen“. Während Gandhi ein Optimist und Befürworter neuer Technologien ist, argumentiert Kral in der Tradition des Technikskeptizismus von Frank Schirrmacher und dessen Kritik über den technologischen Totalitarismus2.
SIRI – NOCH NICHT INTELLIGENT
Unkontrovers bei den beiden Diskutanten waren die Definition von KI und die Einschätzung ihrer derzeitigen Wirkmacht. Grundlage von KI ist das rasche Sammeln riesiger Mengen von Daten und deren Analyse. Durch den Vergleich lässt sich schnell ermitteln, ob etwa ein Patient an Hautkrebs erkrankt ist oder nicht.
Bei diesen Assistenzsystemen liegt die Entscheidungshoheit aber immer noch beim Menschen, nicht Maschinen. Insofern steht KI immer noch am Anfang ihres Entwicklungspotenzials. Selbst Siri, Apple’s Sprachassistent, zeige noch keine eigenständige Intelligenz, versicherte Kral.
AUSBEUTUNG DURCH DATEN
Dann ging es zur Arbeitswelt und KI. Eine kürzliche McKinsey Studie, wonach bis 2030 bis zu 30 Prozent aller Arbeitsnehmer erdweit ihre Jobs verlieren könnten, kommentierte Gandhi so: Dass sich Berufe verändern und jeder im Berufsleben ständig Neues lernen muss, sei ein normaler Prozess. Es werde genug Jobs für alle geben.
Anders Kral: Wenn, wie in der Vergangenheit, eine Dampfmaschine schwere Arbeit übernehme und uns davon entlaste, sei das ok. Wenn wir aber mit und bei unserer digitalisierten Arbeit ständig Daten lieferten und andere damit reicher machten, sei das Ausbeutung. Dazu nannte er den Film „Matrix„, in dem die Menschen gar nicht mehr wüssten, dass sie in einer natürlichen Umwelt lebten und die Maschine die Lebensenergie aus ihnen herausholte.
GLOBALE ETHIK-CHARTA?
Das Thema Ethik vertiefte Co-Moderator und Medizinjournalist Günter Löffelmann. Die Praxis Chinas, von seinen Bürgern Digital-Profile mit ihrer staatsbürgerlichen Verlässlichkeit zu erstellen („social credits“), könne in Kontrolle und Totalitarismus münden.
„Ethik ist ein kulturelles Thema“, erwiderte der Technologiephilosoph Gandhi. China, Islam, Indien, jede Kultur definiere ihre eigene Ethik. Eine globale Ethikcharta sei deshalb kaum möglich, sagte Gandhi. Wenn es eines Tages um die Programmierung von Moral gehe: Jede KI werde mit den eigenen, kulturspezifischen Ethikregeln gefüttert.
KÖNNEN KI’S SCHMUSEN?
Löffelmann fragte nach Empathie: Könnten zwei KIs auch miteinander schmusen? „Grundsätzlich ja“, antwortete KI-Experte Gandhi.
KI-Skeptiker Kral griff den Ethik-Ball auf und stellte die Frage nach dem Weltfrieden. Wenn man alle Politentscheidungen und Richterurteile in eine Datenbank steckte, ließe sich bei künftigen Entscheidungen von großer Wichtigkeit persönliche Willkür ausschalten. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung. Voraussetzung wäre allerdings, dass das KI-System sich nicht in privater, sondern öffentlicher Hand befinden müsste.
SMART WIE MENSCHEN BIS 2050
Wohin also geht die Reise? Gandhi glaubt, dass KI bis 2050 den Stand von Menschenintelligenz erreichen könnte. Sehen, Stimme und andere Empfindungen zu kombinieren und daraus Entscheidungen zu fällen. Bei dem KI-Marathonlauf stünden wir derzeit weiterhin erst am Anfang.
„Der Vergleich hinkt“, widersprach der Hobbykoch Kral. Ki, das sei wie Mehl, Hefe, Wasser, mit exponentiellem und damit wenig vorhersagbarem Wachstum. „In den Blasen dieser Masse kann Neues entstehen“ und in schwer nachvollziehbaren Entscheidungen resultieren.
KI UND MENSCH IN KONKURRENZ
Kral erwähnte auch die Singularität, wenn Maschinen eines Tages selber entscheidungsfähig werden sollten. Elektrizität sei für sie der Lebenssaft, was aber im Falle eines Blackouts? Dann werde KI wahrscheinlich erst einmal selber für sich sorgen, vielleicht sogar völlig legitim, um das zivilisatorische Leben im Gange zu halten, möglicherweise aber zum Nachteil ganzer Menschengruppen.
Gandhi, deutscher Staatsbürger mit indischer Geburtsurkunde, ist Skeptizismus, gar German Angst fremd. „Wir haben so gefährliche Technologien wie Bio-Tech und Kernkraft geschaffen und sind in der Lage, damit umzugehen, ohne dass größerer Schaden entstanden ist.“ Wir seien durchaus imstande, neue Technologien zu beherrschen.
COMPUTER-SCHIZOPHRENIE?
Die Debatte endete mit einer Grundsatzfrage von Löffelmann. „Wird KI jemals eine Mona Lisa erschaffen können?“ Gandhi bejahte, aber: „Kreativität kann für KI ganz anders sein, so wie chinesische Kultur für uns anders ist.“
„Sicher“, beantwortete die Frage auch Kral. Wer aber bestimme, was schön ist? Bei einer Optimierung des Algorithmus könne KI immer nur Monas Lisas malen. Für wirkliche Kunst müssten ihr verschiedene Rollen erlaubt sein. Und schloss mit der Gegenfrage: „Können Computer schizophren werden?“
Die Audio-Datei zum Nachhören dieser Lora-Wissenschafts-Sendung findet sich auf der Günter-Löffelmann-Webseite, mit Dank an Selbigen für die Postproduktion.
1) Sharad Gandhi: AI & U (Artificial Intelligence and you). Amazon 2017, Open Source
https://www.amazon.com/AI-Translating-Artificial-Intelligence-Business/dp/1521717206
2) Frank Schirrmacher: Technologischer Totalitarismus
http://www.suhrkamp.de/buecher/technologischer_totalitarismus-_7434.html
Siehe zum Thema auch den Neujahrsempfang des Bayerischen Journalistenverbands BJV im Münchner PresseClub mit Buchautor Sharad Gandhi zu KI und Zukunft des Journalismus.
http://www.bjv.de/news/kuenstliche-intelligenz-wie-marathonlauf
KI ist nach wie vor ein spekulatives Thema mit vielen Ebenen der Auseinandersetzung. Wissenschaft Kontrovers Co-Moderator Wolfgang Chr. Goede wählte für sich persönlich den künstlerischen Zugang. Im Schreibgenre des fiktionalen Journalismus beschreibt er in „Alpha Deus“ die Hoffnungen, Irrungen und Abstürze von KI bei der Friedenssuche.
https://www.amazon.de/Alpha-Deus-Wolfgang-Chr-Goede/dp/9463423036/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1519852649&sr=1-1&keywords=alpha+deus