Es werde Neues

Crashkurs in 2000 Jahren europäischer Philosophie, in nur 2 Stunden. Das ist jetzt möglich. Nämlich mittels einer modernen Graphic Novel, sprich einem Comic (amüsant-moralischen Strichzeichnungen, miterfunden von Wilhelm Busch, perfektioniert mit Mickey Maus sowie Asterix und Obelix). Dies ist die abgespeckte Version des 40-Millionen-Weltbestsellers Sofies Welt, übersetzt in weit mehr als 40 Sprachen.

Fragen stellen! Wer bin ich, woher kommt das Leben, was ist sein Sinn, meine Rolle in der Welt, im Universum – letztlich die Faustsche Kernfrage: Was hält die Welt im Innersten zusammen? Das ist Philosophieren, systematisiert mit diversesten Denkansätzen und Methoden aus den griechischen Stadtstädten, Polis genannt, zeitgleich mit der Erfindung der Demokratie vor 2500 Jahren.

Die Grafiken führen in Zeitreisen zwischen griechischer Antike, Mittelalter, Renaissance und Barock in die Gedankenwelten dieser Epochen und gießen in Bild und Sprechblasen das Essenzielle der jeweiligen Geisteswelten.

Das ist ein intellektuelles Abenteuer besonderer Art, gleichwohl hier vermerkt: Die Zeichnungen fallen für ihre Größe in DinA-4 eher grobschlächtig aus – ein kleineres Druckformat könnte charmanter, griffiger sein. Aber: Den Texten gelingt es, Komplexes auf Einfaches herunter zu brechen, und man ertappt sich bei der Frage: Was, so simpel ist Wissenschaft — ist das überhaupt noch Selbige?

Insgesamt wird deutlich: Über sich und die Welt nachzudenken, ohne Tabus und mit allen Konsequenzen, positiv wie negativ, ist Inbegriff von Freiheit, bis heute erhalten und fortentwickelt, ein Pfeiler der liberalen Demokratien westlicher Tradition, und zwar gegen sämtliche Anfechtungen, die indes ernst genommen werden müssen und in denen wertvolle Reformimpulse mitschwingen.

Die historische Botschaft: Selber und unabhängig denken war schon immer (lebens-)gefährlich!

Was dunkel bleibt und aufgehellt gehörte im größeren historisch-geografischen Umgriff: Merkmale indo-europäischen Denkens und seine weit verstreuten Samen in Asien und Afrika; und, ebenso, wie sich aus der gleichen Wurzel heraus jüdischer, muslimischer, christlicher Glaube aufgespalten haben; Letzterer wird in Katakomben und sprechenden Totenköpfen abgehandelt – Nomen est Omen?

Insgesamt verfestigt die Grafik-Novelle euro-zentristisches Denken, sät aber Hoffnung, denn für dieses Jahr ist die Fortsetzung angekündigt, der Weg aus dem Barock in die Jetzt-Zeit. Damit auch aus den Sackgassen europäischer Geistesgeschichte? Vielleicht mit Anleihen bei den Philosophien in Asien und bei Indigenen, auf der Suche nach Antworten auf die Grundfrage: Wer sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir?

Sofie rüttelt auf ihren Wissensreisen mit vielen Überraschungselementen bereits heftig an maroden abendländischen Fundamenten. Bspw. am Übel der Frauendiskriminierung, die sich seit der Antike übers Christentum bis heute fortsetzt, sowie der drohend aufziehenden Klimakatastrophe, angelegt in europäischer Kultur-, Wissenschafts- und Technikgeschichte.

Diese Rezension, verdichtet zur finalen Schlussgrafik, um auf der literarischen Ebene zu bleiben, wäre so darstellbar: Ein Philosoph eingemauert in einem Griechentempel, der mit kühn-scharfem Geiste dessen Mauerwerk verdampfen lässt und in der Spruchblase kundtut: „Erit Novum, es werde Neues.“

Sofies Welt oder die Geschichte der Philosophie
Vincent Zabus u. Nicoby
Graphic Novel nach dem Roman von Jostein Gaarder
Hanser Verlag 2022, ISBN 978-3446-27470-9, € 25,-

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