Homo Deus im Doppel-Pack

Die beiden Bücher sind Zwillinge, innig verschlungen, wie Zwillingssterne. Die nur durch ihre Polarität und gleichzeitig Homogenität existieren können und sich naturgesetzlich ergänzen zu kosmischen Wundern.

Ritt durch die kosmische Hölle

Chris Ferrie ist eine Art Harald Lesch, nur: Der von Down Under spitzt seine kosmischen Einlassungen viel mehr zu, in angelsächsischer Manier lustvoll zu einer „cosmic brinkmanship“, dem „Spiel mit dem Feuer am Abgrund“. Und dem zum Nachwürzen auch das proletenhafte „Sch …“-Wort im Schriftenglisch nicht fremd ist. 

Dem Australier steht auf deutscher Seite Tim Julian Ruster gegenüber, den soziale Plattformen als „Astro-Tim“ kennen. Mit seinen Podcasts und Videos begeistert er Millionen Follower. Er ließe sich als germano-zentrierter Elon Musk charakterisieren, der mit heiligem Enthusiasmus zum Auszug des Homo sapiens in die kosmischen Weiten lockt. Von deren Kolonisierung verspricht er sich die Neugeburt des Homo sapiens als „Homo galacticus“.

Ferries Inhaltsübersicht skizziert 42 krude Gründe, warum wir Menschen uns auf einem turbulenten Ritt durch die kosmische Hölle befinden, zu dem wir in unserer Unvollkommenheit selbst beitragen: „Die Menschheit erwürgt sich selbst“ und „du bist darauf programmiert, ein egoistisches Arschloch zu ein“; „der Mars ist ein unbewohnbares Drecksloch“ und „jederzeit könnte ein schwarzes Loch auftauchen und uns zerfetzen“; „wir stecken in der beschissensten Version des Films ‚Matrix‘“ und „dunkle Materie hat die Dinosaurier umgebracht und du bist als Nächstes dran“.

„Liebe dieses Universum!“

Diese krassen Weltuntergänge, sie sind alle gepimpt, dann die überraschende dramaturgische Kehrtwende. Ferries intoniert jäh das Lied von uns Zweibeinern als unfassbares kosmische Wunder: Wie anno dunnomals aus quasi nicht mehr als Sternenstaub der humane Zeugungsvorgang hervorging, daraus ein Wesen aus vielen Billionen Zellen immer gleicher DNA entstand, eingebettet in gefühlig denkender, erfindender, kultureller Intelligenz. Schlussendlich Ferries Paukenschlag: „Liebe dieses Universum, denn du bist es, und es ist du.“ – Amen!

Diesem kosmischen Heilsgedanken nähert sich Astro-Tim ohne lange Umschweife auf der Direttissima. Ihn plagen keinerlei Zweifel, dass die Menschheit innerhalb dieses Jahrtausends zur Eroberung des Weltalls ausholt. Wobei die Besiedelung des Mars für ihn praktisch schon gebongt ist und er Menschen in 200 Jahren bereits auf dem erdnächsten Sonnensystem, dem vier Lichtjahre entfernten Proxima Centauri sieht.

In diesem grandiosen Tripple-Sternensystem existieren Exoplaneten, mit dreifachen Sonnenuntergängen gesegnet, die sich zu einem Sprungbrett in die Tiefen des Alls ausbauen ließen. Fusionsantriebe sollen die Fortbewegung ermöglichen, wobei nicht klar wird, wie sie die Lichtgeschwindigkeitsschranke überspringen, auch nicht, wie der Mensch sich und sein so sensibles biologisches Betriebssystem, die DNA vor der mörderischen Strahlung im Weltall schützen will.

Tango zwischen Fakt und Fiktion

Im weiteren Verlauf dann, für die nunmehr ganz großen kosmischen Sprünge wird die Raumzeit gefaltet (beispielweise auf einer Karte der Nordpol über den Südpol gelegt) und schon kriecht Mensch in Windeseile durch das berühmte Wurmloch, Milliarden Lichtjahre im Nullkommanichts durchtunnelnd. Als Energiequelle dazu werden Schwarze Löcher angezapft, wobei bei so viel kosmischer Abenteuerlust den Autor die Sorge umtreibt, ob das All davon nicht Risse davontragen könnte.

Unterm Strich würden sich des Menschen Körper und Geist im All an die diversen physikalischen Umstände und künstlichen Intelligenzen anpassen, mit ihnen verschmelzen, sodass er ein anderer wird: eine intergalaktische Neuschöpfung. Erde und Erdmensch blieben zurück als kosmisches Museum.

Beide Bücher sind knackig zu lesen, mitreißend ebenso wie einschüchternd in ihrer Kühnheit, beschwingen mit kreativen Wortspielereien. Bei aller Abgefahrenheit, um Wissenschaft sind die Autoren zumeist nach Kräften bemüht … immerhin. Am Ende ist dieses zufällige Zwillingswerk über die halbe Äquatorlänge ein kosmischer Tango zwischen Fakt und Fiktion, Für und Wider, mit einem Aufruf zur Demut ebenso wie Aktion. Schließt doch auch der Deutsche mit dem Appell, dass wir „Autoren unseres Schicksal unter den Sternen“ seien.

Auferstehung und Himmelfahrt

Aus beiden ließe sich herauslesen, dass wir unserer menschlichen Unvollkommenheit und allen kosmischen Hürden zum Trotze doch eher gottgleich seien, also doch: Homo deus. Im Griff nach den Sternen zelebriert Mensch seine Auferstehung und Himmelfahrt.

Chris Ferrie (mit Wade David Fairclough und Byrne La Genestra): 42 Gründe das Universum zu hassen und warum wir es trotzdem lieben. Heyne München 2025

Tim Julian Ruster: Astro Tims Sternstunden: Unsere Zukunft beginnt im All. Kosmos Stuttgart 2025

[ Artikel drucken ]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert