TELI-Mitglied Dr. Gert Latzel, engagierter Teilnehmer der Veranstaltungen der TELI-Süd, hat sich an die Fersen von Forschern geheftet, um sie für die TELI-Wissenschaftsdebatte zu gewinnen. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Dr. Peter Gruss, entwand sich aus Zeitmangel Peter Latzels Griff. Schade, aber kein Problem, sagte Gert Latzel, und stellte aus den Reden des MPG-Chefs folgenden Artikel zusammen – ein wichtiger Beitrag zur W-Frage:
MUT ZU SCHNITTEN
Jede Krise bedeutet die Chance für einen positiven Neuanfang durch notwendige Strukturveränderungen. Dazu müssen Innovationen gefördert, also grundlegende neue Lösungen und Durchbrüche gesucht werden, anstatt bestehende Systeme noch möglichst lange wettbewerbsfähig erhalten zu wollen; z. B. nicht eine herkömmliche Landkarte raffinierter gestalten, sondern eine ganz neue Technologie an ihre Stelle setzen, wie GPS oder auf dem Energiesektor nicht die Weiterförderung der als problematisch erkannten herkömmlichen Energiequellen, sondern die Erschließung völlig neuartiger Ansätze wie die Kernfusion forcieren oder (Ergänzung des Autors) sich an den Lösungsstrategien der Natur orientieren (Bionik). Nur so können wahre Durchbrüche (Quantensprünge) erreicht werden.
KEIN KOTAU VOR DER INDUSTRIE
Die Abwrackprämie war wohl ein Kotau vor der bisherigen Technologie der Autoindustrie und damit eine sehr kurzsichtige Lösung; dagegen sind langfristig gesicherte Steigerungen der Fördermittel für Wissenschaft und Forschung die bessere Lösung, unseren Kindern ein vernünftiges Überleben zu sichern. Es sind aber weitere Fördermaßnahmen auf dem Bildungssektor angesagt, um junge Leute zu begeistern, da sie langfristig gesicherte Arbeitsplätze und auch eine wissenschaftliche Laufbahn erwarten können. In diesem Zusammenhang zitiert Gruss den amerikanischen Präsidenten Obama: „I believe it is not in our character (…) to follow. It´s our character to lead.“
FREIHEIT FÜR INNOVATIONSTREIBER
Um solche Ziele zu erreichen, sollte sich gerade Deutschland leisten, besonders auch in hochtechnologieintensive Forschungsbereiche viel Mittel zu investieren; denn nur so können Elite-Forscher gewonnen und gehalten werden. Der Staat ist gefordert besonders auch die Grundlagenforschung zu fördern, die kurzfristig keine Gewinne verspricht, aber der eigentliche „Innovationstreiber“ ist. Gruss erkennt an, dass zwar die Politik die Verantwortung für die richtige Verteilung der Steuergelder übernehmen muss, aber sie sei die falsche Instanz zu entscheiden, was in den Grundlagenwissenschaften erforscht werden soll. Dies müsse frei, autonom und unabhängig von Rentabilitätsüberlegungen erfolgen.
SICH NICHT KÖDERN LASSEN
Das so genannte Shanghai-Ranking habe ergeben: Autonomie bei der Festlegung und Freiheit bei der Auswahl und der Bezahlung des Personals rentieren sich auch finanziell, da sich die Effizienz des Mitteleinsatzes verdoppele. Gruss zitiert dabei gerne auch intelligente Aussagen anderer, so von Bob Wilson, dem ersten Direktor des großen Teilchenbeschleunigers Fermilab, der auf die Frage, was sein Labor zur Verteidigung des Landes beitragen wird, geantwortet hat: ,,Nichts, aber es wird dafür sorgen, dass es verteidigungswert ist.’’ Dies sei auch das Ziel der MPG-Institute in Deutschland. Aber wir wollen uns von der Politik nicht zusammen mit dem Geld die Forschungsinhalte „anweisen“ lassen. „Das entspräche wohl dem Fisch, der meint, aufwärts geht´s, wenn er an der Angel hängt.“
Mehr zu den bedenkenswerten Ansichten des MPG-Präsidenten Professor Peter Gruss unter diesem Link!
Peter Gruss hat sehr bedenkenswerte Überlegungen angestellt, wie
unser Wissenschaftssystem besser in die Gesellschaft hineinwirken kann.
Das ist höchst begrüßenswert und sehr an der Zeit!
Meine Sorge betrifft allerdings das Wissenschaftssystem selbst, womit
ich mich an die Seite von Lee Smolin (The Trouble with Physics),
Peter Woit (Not Even Wrong) und vieler weiterer Kollegen stellen möchte
und glaube, dass der momentane Wissenschaftsbetrieb in einer
tiefen Krise steckt, u.a. in Europa und speziell auch in Deutschland.
Grade in Deutschland haben wir es z.T. um höchst provinzielle
Begutachtungsverfahren zu tun, die sich gelegentlich internation verkleiden,
aber letztlich dann – neben deutschen – nur Gutachter aus der Schweiz
und Österreich umfassen. Des weiteren ist auf das peer-review Verfahren
kritisch hinzuweisen, das mittlerweile aus verschiedensten Gründen aus
dem Ruder läuft. Alternativen zum bisherigen Betrieb wie Open Access
und vor allem Public Reviewing werden nur zähnknirschend diskutiert.
Man hat den Eindruck, dass grad das deutsche Wissenschaftssystem fast geschlossen einem historischen Prozess ausweichen will, der letztlich doch unabwenbar ist. Dazu gehören die kontraproduktiven Befristungsregeln.
Kein zielorientiertes Unternehmen würde Hochleistungsträger hinaus- und der Konkurrenz in den Rachen werfen. Unser Wissenschaftssystem leistet sich diesen Luxus. Freilich steckt dahinter eine unbeabsichtigte Wirkung gewerkschaftlicher Forderungen nach „tenure“. Die Politik ist bisher aber nicht in der Lage gewesen, diese Fehlsteuerung zu korrigieren. Auch erweist sich die Einstufung des Wissenschaftsbetriebs als eine primär hoheitliche und durch Beamte zu steuernde Tätigkeit als fundamental falsch. Das gegenwärtige System unterstützt vorrangig die Verwalter und Manager der Wissenschaft
(„Mandarine der Wissenschaft“), nicht aber diejenigen, die Innovationen beitragen. Die Kraft der Wissenschaft kommt aber durchweg aus den Nischen und nicht von den „Bestsellern“, die man in den diversen TV-Sendungen bewundern darf. Da der extrem teure Wissenschaftsbetrieb heute vor allem der Erzeugung von Innovationen dienen soll, müssen die Verhältnisse umgekehrt werden. Das Management und die Förder- und Antragsbürokratien müssen in den Hintergrund treten. Wenigstens sollte ein Patt erzielt werden.