Wo steht die deutsche Wissenschaftskommunikation heute, angesichts fundamentaler Veränderungen im Mediensystem, zwei Jahre nach der Finanz- und Wirtschaftskrise? Was sind aktuell die größten Herausforderungen, welches viel versprechende Lösungswege? Umfassende Fragen wie diese untersucht eine umfangreiche, vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft geförderte Trendstudie unseres Forschungszentrums. Betrachtet werden dabei alle drei Perspektiven der Wissenschaftskommunikation sowie deren gegenseitige Einflüsse aufeinander – Wissenschafts-Journalismus, Wissenschafts-PR und die innerwissenschaftliche Kommunikation.
Ausgehend von einer Bestandsaufnahme unter gut 300 befragten Wissenschafts-kommunikatoren diskutierten 30 Experten aus Wissenschaft und Praxis im Rahmen einer Delphi-Studie mögliche Lösungsansätze. Demnach bricht – historisch betrachtet – gerade die fünfte Entwicklungsphase der Wissenschaftskommunikation an: von den Utopien der 50er Jahre (1) über die frühen Aufklärungs-kampagnen (2) und die mit zunehmender Kritik auch immer umfassendere Wissenschafts-berichterstattung (3) bis hin zum „Public Understanding of Science and Humanities“ (4).
Noch während der Vorhang fällt, beginnt der nächste, fünfte Akt mit der Suche nach neuen Konzepten, Formaten und Werkzeugen. Diese „Phase 5“ ist gekennzeichnet vom Bedeutungszuwachs des immer interaktiveren Internets als neues Leitmedium der Wissenschaft. So erlebt die PR, wie ihre über Jahre hinweg professionalisierte „Verpackungsindustrie“ aus den Angeln gehoben wird. Grundlegend verändert das Web 2.0 auch die Kommunikation der Wissenschaftler untereinander, was einige etablierte Mechanismen des Wissenschaftssystems fundamental in Frage stelle. Der Studie zufolge sind es aber vor allem die klassischen Wissenschaftsmedien, die schmerzhaft zu spüren bekommen, wie die Grenzen zwischen Individual- und Massenkommunikation verschwimmen. Ob sie es schaffen, diesen Veränderungsdruck für eigene Innovationen zu nutzen, wird deshalb über die weitere Zukunft der Wissenschaftspublizistik entscheiden.
Zusammenfassung der 4 Megatrends als Auszug
Trendstudie_LESEPROBE.pdf
[pdf, 3 MB]
Sämtliche Ergebnisse sind als Buch erschienen (edition innovare, ISBN 978-3-9814811-0-5) und können hier versandkostenfrei bestellt werden (wk-trends.de/6.html).
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft stellt außerdem eine kostenfreie, komprimierte E-Book-Version zur Verfügung: www.stifterverband.de/wk-trends
@ MDW:
Neben der Kommunikation DER Wissenschaft und ÜBER DIE Wissenschaft soll es in der Tat in der Folgestudie mindestens gleichrangig um die Kommunikation INNERHALB DER Wissenschaft gehen (siehe dazu auch das Kapitel Ausblick), denn hier zeichnen sich jüngst immer mehr Veränderungen auf – ASEO oder IVERSITY zum Beispiel, aber auch das ganze Thema Citizen Science. Da auch wir dies gegen Ende der Untersuchung festgestellt haben, wurde eigens ein zusätzlicher internationaler Workshop in Berlin durchgeführt, der sich ausschließlich der „Scientific Communication“ widmete: http://innokomm.eu/update/veranstaltungen (hierzu gibt es auch Blog-Beiträge, Videomitschnitte und Pressebesirhcterstattung; siehe Webseite).
Die von Ihnen genannten Anwendungsbereiche sehe ich natürlich genau wie Sie als wichtige und größtenteils sogar (wenn auch in begrenzten, meist bildungsprivilegierten Zielgruppen) auch erfolgreiche Formate, allerdings sind all dies aus meiner Sicht klassische PUSH-Formate alter Schule, die uns eben in wichtigen Fragen der Wissenschaftskommunikation gerade nicht ans Ziel gebracht haben. Das alleine wird nicht reichen. Uns geht es mit dem Trend-Prozess deshalb eher um Ausblick und Wandel, weniger um Rückschau.
Die von Ihnen vermissten Science Centern werden in der Studie u.a. gleich im ersten Kapitel behandelt (S. 11 unten), allerdings nicht auf Basis der Delphi-Experten, sondern auf Basis einer Befragung von 37 Kommunikatoren aus dem „Event-Bereich“, wie ich ihn genannt habe. Demnach stand schon bei der ersten Befragungsrunde (Ende 2009) fest, dass die oft gehört Forderung nach mehr Event-Formaten im Widerspruch steht zu einer zunehmend prekären Finanzsituation der bestehenden Anbieter (Science Center, Wissenschaftsfestivals u.a.m.), insbesondere was die Förderbereitschaft durch Stiftungen und Unternehmen anbelangt (siehe hierzu auch die Umfrageergebnisse hier >> http://www.slideshare.net/AlexanderGerber/gerber-wk-trends-2009-umfrage, Folien, 18, 27, 28). Die Delphi-Experten diskutieren dies u.a. ausführlich (und für mich überraschend kritisch / skeptisch) auf den Seiten 30-33. Demnach überwiegt die Ansicht (nur 13% Widerspruch), dass es nach wie vor schwierig ist, den Ausgleich zu finden zwischen „eventwissenschaftlicher Bespaßung“ mit hohen Besucherzahlen auf der einen Seite und einer wirklich nachhaltigen Wirkung auf der anderen.
@Gerber at al: Das Ganze ist eine prima Intro, fasert aber noch ein wenig aus:
* Was sind die originären Aufgaben des Wissenschafts-Journalismus in dieser Dekade, in klarer Abgrenzung zur Wissenschafts-Kommunikation UND über das bisher Gesagte (s. Buch Hettwer & Co: Wissenschaftsjournalismus in Theorie & Praxis) hinaus?
* wo verläuft die aktuelle Grenze, wie können sich beide bereichern??
* wie müssen sich Wiss-Journs und TELI aufstellen???
Das ist der Pudels Kern
@ Wolfgang Goede: Vielen Dank für die Blumen. 😉
Die Studie versteht sich in der Tat als Auftakt für einen Diskurs, der künftig sowohl die forschungspolitische Ebene als auch die Praktiker an der Basis gleichermaßen erreichen muss.
Wissenschaftskommunikation – leider reduziert auf Journalismus und PR.
Dabei gibt es da doch mehr: Museen, Science Center, Schülerlabore, Wissenschaftsfilme, Wissenschaftstheater… übrigens auch Schule und Universität. Manches davon wird kurz gestreift, dann aber nur oberflächlich angekratzt.
Liegt das vielleicht an der Methodik und an Auswahl der Experten, die zum größten Teil dem Journalismus und der PR entstammen?
Quadratur der Wahrheit
Die Arbeit des Kollegen Alex Gerber liest sich wie ein „Who is Who“ der Wissenschaft, Wissenschafts-Kommunikation und des Wissenschafts-Journalismus. Viele Prominente äußern sich mit überwiegend treffenden und anschaulichen Beobachtungen.
Wo treibt uns alle die „Evolution“ hin, wieviel Selbststeuerungskraft haben die Akteure, verkochen am Ende wir alle zu einem Eintopf, in dem wir Journalisten nur noch ein paar Speckwürfelchen sind?
Daran wären wir nicht unschuldig. So bedauert der TELI-Vorsitzende Hajo Neubert den Hang zur „Wissenschafts-Esoterik“. TELI-Mitglied und Fraunhofer-Sprecher fordert die Medien auf, für mehr Orientierung zu sorgen. Communicator-Preisträger und Paläoanthropologe Friedemann Schrenk gar verlangt, was wir Journalisten in unserem eigenen Ethik-Portfolio haben sollten, dass „die Gesellschaft zumindest teilweise mitbestimmen sollte, was erforscht wird“.
Und die PR-Frau Irene Haas spricht an, wovor wir Journalisten gerne die Augen verschließen, dass wir schreiben und sprechen „im Auftrag von Sendeanstalten und -formaten, die meist eine ideologische Ausrichtung haben, die dann auch bedient werden muss“.
75 Seiten, eindringlich und leicht zu rezipieren, am Ende eine Art „open end“, muss sich jeder Journalist selber fragen, auf welcher und wessen Seite er steht und ob er nicht zur Kochmasse werden will, über der kochlöffelschwingend der Wissenschaftsbetrieb steht.
Was sind die „To-Do’s“, um dieses Schicksal abzuwenden, aus meiner Sicht:
* die jeweils bestmögliche Geschichte auf der nach oben offenen „Nannen-Schneider“-Skala abzuliefern
* noch viel kritischer an den Stoff heranzugehen, denn Wissenschafts-PR kann es nicht um „Wahrheit“ gehen, sondern nur um die eigenen Interessen und Gelder, wie Gerbers Buch herausarbeitet
* no innvoation without representation — diese moderne Lesart der amerikanischen Revolution könnte dem Journalismus als Brücke zwischen Forschung und Bevölkerung eine neue Zukunft öffnen, die sonst keiner bespielen kann