Doping gegen Angst

Am Anfang war die Angst. Sie ist ein Überlebensprogramm aller höher entwickelten Wesen. Bis sich dieses verselbständigte. Heute leidet jeder Zehnte in den Industrieländern an Panikattacken, Phobien, angstvoller Unruhe. Hinzu kommt, oft als Mischform, Depressionen und Burnout.

Managerin in Ketten: Hetzen und ängstigen wir uns zu Tode? (c) Benjamin Thorn_pixelio.de

Die Medizin, Psychologie und Psychiatrie sind ziemlich ratlos. Es werden massenweise Beruhigungstabletten verschrieben, manchmal hilft eine Expositionstherapie. Grundsätzlich, darin sind sich viele Experten sowie Selbsthilfegruppen einig, hilft nur eine radikale Veränderung des Lebensstils.

Das hat der von sportlichem Ehrgeiz getriebene US-Golfer Charlie Beljan bisher noch nicht beherzigt. Bei einem Turnier in Florida griff er sich plötzlich an die Brust. Herzrasen, Atemnot, Schwindelgefühl. Er musste sich hinsetzen. Ein Krankenwagen holte ihn ab und brachte ihn ins Krankenhaus mit Verdacht auf Herzinfarkt. Organisch war der Mann völlig intakt. Panikattacke hieß die Diagnose.

Ein Prominenter, dem das vor laufender Kamera widerfuhr: ein Novum. Der Zwischenfall hat die Diskussion über unsere Psycho-Hygiene angeheizt. Dass das Internet alles immer schneller drehen lässt und die Arbeitswelt unter immer größeren Druck setzt ist seit Jahren bekannt. Wieviel mehr kann sich der Mensch aufhalsen, ohne wie der erst 28-Jährige zu kollabieren?

Eine bemerkenswerte Beobachtung dazu hat die britische Publizistin Ruth Whippman notiert. Sie lebt in den USA und argumentiert aus dem transatlantischen Vergleich heraus. Doch ihr Eindruck lässt sich fast eins zu eins auf Europa übertragen.

Basis zunehmender Ängste und psychischer Störungen ist ihres Erachtens die Suche nach Glück. Dieses ist für viele Menschen die Arbeit: „Intensive Arbeit, unter Druck, analysiert in Motivationsseminaren und Therapiesitzungen, mit Rückzugsnischen in der Meditation und den Leseangeboten auf Flughäfen“, schreibt sie. „Zur linken Hand Yoga, zur rechten Jesus, alles ohne Atem zu holen.“

Im Klartext: Wir arbeiten wie die Irrsinnigen in der Illusion, uns damit glücklicher zu machen – und ruinieren uns dabei. Haben Mediziner und Forscher, Therapeuten und Angstselbsthilfegruppen diesen Teufelskreis begriffen? Oder dopen sie ihre Patienten, Klienten oder „Konsumenten“ – wie die Journalistin und Psychiatrieerfahrene Bettina Jahnke diesen Kreis unlängst nannte – bloß für eine weitere Runde im Hamsterrad?

Übrigens: Charlie Beljan kehrte nach seinem Angst-K.O. auf den Platz zurück, schlug sich mit zitternden Händen durch, siegte und räumte fast eine Million Dollar an Preisgeldern ab. Narr oder Held?

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13 Gedanken zu “Doping gegen Angst

  1. Manche Menschen haben wohl gar kein Hirn mehr. | So einen Beitrag kann man unmöglich teilen, das sollte nicht für manche Personen bestimmt sein. |Darf man so etwas denn auch wirklich teilen? Ich bin mir da nicht so sicher. Die Moral zählt heutzutage

  2. Als ehemalige Panikattacklerin und heutige Coacherin frage ich mich: „Was tun wir Menschen nicht alles für ein bisschen Sicherheit? Was lassen wir in Unternehmen und in Beziehungen mit uns machen für, zum Beispiel, Arbeitsplatz-Sicherheit?“

    Und ich denke auch: Angst zu haben sagt, oder brüllt ganz einfach: „Schau mich an. Schau an, was für eine Angst ich bin.“
    Sie tut das, damit ich ins Handeln komme.

    Die Zeiten heute sind erst mal wie sie sind. Schwierige Zeiten gab es schon immer – anders schwierige halt.
    Ich frage mich: „Was habe ich, was haben wir (i.S.v. viele Menschen in Deutschland, vor Allem die über 45) darüber gelernt wie Leben, gutes Leben, gelingendes (um einen Unterschied zu erfolgreich zu machen)Leben, funktioniert? Und was lernt unsere Jugend von uns? unsere Kinder?“

    Für mich ist das Thema Resilienz interessant und wichtig. Nicht jeder, aber manche Menschen könnten im Buch von Monika Gruhl: Die Strategie der Stehauf-Menschen (Herder-Verlag), für sich Lösungen finden.

  3. Zu perfekte KollegInnen sind eine Belastung für das Team

    Die Angst der UNTERgebenen und ihr Eifer, alles besonders gut zu machen, wie MusterschülerInnen, torpediert auch das Team, das den zu eifrigen und pedantischen Mitarbeitenden vor lauter Selbst-Überlastung leicht aus den Blick gerät:

    Es ist auch eine der schwersten Aufgaben, die zur Selbstgerechtigkeit und zum Mobbing neigenden KollegInnen davon zu überzeugen, dass gemeinschaftliche Ergebnisse und nicht ihre speziellen Ausarbeitungen zählen. Da bleibt oft nur die Sonderrolle der allein arbeitenden Assistenz, bei direkter Anleitung.

    Ich halte es für einen Teilschaden unseres zu alleiniger Arbeit in Konkurrenz erziehenden Schulsystems, das, auch wenn es von gruppen- oder Team-Arbeit redet, doch immer nur die Einzelleistungen wertet.

    Durch die deutsche Selbstlob-Kultur der Konservativen und der Wirtschaftssprecher sehe ich bei den nicht-internationalen Betrieben wenig Bewegung und Einsicht in die Angst der Elfmeter- Schützen …

  4. Vielen Dank, liebe Rita Wüst, für Ihren Beitrag, den ich leider erst jetzt entdeckt habe. Übrigens: Die dieser Tage erscheinende Sommerausgabe der Deutschen Angstzeitschaft daz befasst sich mit EX-IN und dessen positiven Anstöße für die mentale Gesundheit.

    Zum Glück wird Ihr Gedanke über die Verantwortung von Führungskräften für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter_innen in Unternehmen allmählich aufgegriffen. Nur: „Wie sag ich’s meinem Kind“, wenn ich selber im Hamsterrad hechele?

    Um Firmen, deren Manager und Angestellte in den Sattel zu helfen, könnte sich eine NEUE INITIATIVE für die Selbsthilfebewegung herausbilden: Gemeinsame Besuche von Betriebsversammlungen, Ansprechen der Probleme, Abhilfe, Prophylaxe.

    Übrigens: Laut Wirtschaftsteil der „Süddeutschen“ vom 12.VI.13 „Ausgebrannt“ müssen immer mehr Arbeitnehmer wegen psychischer Leiden frühzeitig „verrentet“ werden, mit e n or m e n K o s t e n für die Kassen sowie einer steilen Zunahme von Altersarmut >>> in summa Belastungen für die Gesellschaft.

    Nach Recherchen der SZ ist die Summe aller Erwerbsminderungen mittlerweile zu fast 50 (!) Prozent psychischen Störungen geschuldet „wie Depressionen und Angstzuständen“, schreibt das Blatt. Das ist eine V E R D O P P E L U N G in anderthalb Jahrzehnten. Im Klartext: Die Zahl geht auf E I N E M I L L I O N Bundesbürger zu.

    Sollten wir da gemeinsam nicht etwas anstoßen?

  5. Einige Gedanken zum bisher Geschriebenen aus der Sicht einer Aktiven im Münchner Bündnis gegen Depression:
    Ja – die Anforderungen in der Arbeitswelt sind gestiegen, in mehrfacher Hinsicht: Die Anforderunden an die Arbeitnehmer haben sich verändert(Zeitdruck, Aufgabenvielfalt, ständige Erreichbarkeit u.v.m. wurde bereits genannt), gleiches gilt aber auch für die Arbeitgeber! Gerade im Hinblick auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter erleben wir ständig Anfragen von Unternehmen, die Unsicherheit, Ängste und Unwissenheit im Umgang mit dem Thema widerspiegeln. Führungskräfte stehen in der Verantwortung, „(psychisch)gesund“ zu führen. Müssten sie, um dies zu leisten, nicht mit bestem Beispiel vorangehen? Teams sind gefordert, den Umgang mit psychisch belasteten oder erkrankten KollegInnen zu lernen. Doch jeder Einzelne kämpft am Arbeitsplatz täglich mit und für sich. Auf der Strecke bleiben in der Regel immer die, die nicht ins System und in die Norm passen. Oder sie finden trotz oder gerade aufgrund ihrer Besonderheit einen ganz eigenen Platz, sogar in der Arbeitswelt. Die EX-IN-Bewegungen stößt hier einiges an (z.B. http://www.ex-in.info/). Kein Mensch ist gerne psychisch krank! Aber ebenso wenig wie der Körper bleibt auch die Psyche ein Leben lang nicht ohne Gebrauchsspuren. Viel können wir diskutieren ob und warum ausgerechnet das, womit ein Großteil der Bevölkerung rund die Hälfte ihrer Zeit verbringt, krank macht: Arbeit. Aber leben nicht alle Menschen davon, dass sie eine Aufgabe haben, eine Struktur und damit einen „Sinn“. Ich gebrauche nicht das große Wort „Glück“, ich halte es pragmatisch: Wer von uns mag es nicht, das Gefühl gebraucht zu werden, sich sinnhaft einzubringen?
    Und genau das erhalten (scheinbar) viele über die Arbeit, über ihr TUN … Oder?

  6. Mut zur Lücke! Gewinn durch Verzicht?

    „Stress im Beruf wird zunehmend zum Problem“ – Tagesschau Online 29.01.13
    Wieder lernen mit weniger auszukommen, ist das die Lösung?

    Siehe Kommentar „Mut zur Lücke“ :
    http://meta.tagesschau.de/id/69486/stress-im-beruf-wird-zunehmend-zum-problem#comment-934564

    Eine von vielen Optionen Stress abzubauen, die Angst vor Arbeitsplatzverlust zu mindern.
    Wer profitiert davon? Machen wir es uns und den Arbeitgebern zu leicht?

  7. Noch einen Aspekt nachgeschoben:
    Zwei Grafiken in dem unten erwähnten Spiegelartikel zeigen ein denkwürdiges Phänomen. Vergleicht man die Gruppe der Erwerbstätigen und Arbeitslosen hinsichtlich der Einnahme von Antidepressiva und der Krankheitstage aufgrund psychischer Erkrankungen, zeigt sich, dass die Zahlen bei beiden ansteigen. Jedoch wesentlich drastischer bei Menschen ohne Arbeitsplatz als bei Berufstätigen. Allein am Stress im Berufsalltag kann die Zunahme von psychischen Leiden also nicht liegen.
    Deshalb hier noch der Hinweis auf einen Online-Vortrag des Soziologen Prof. Dr. Klaus Hurrlemann zum Thema „Machen moderne Gesellschaften krank?“ am 05. Februar 2013.
    Siehe: http://idw-online.de/de/news517062

  8. In einem kürzlich erschienen Spiegel-Artikel („Wahnsinn wird normal“; Ausgabe 4/2013; S.111ff) von Jörg Blech, kritisiert dieser, wie nahe viele der DSM („Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen“) Autoren der Pharmaindustrie stünden. Im Mai 2013 wird der neue DSM-5 erscheinen. Dieser bestimme „was noch normal ist und was schon verrückt“ (S.112). Laut Blech würde die Zahl der Menschen die als psychisch krank behandelt würden, schon allein deswegen immer weiter steigen, weil das DSM immer neue Störungsbilder aufnähme und dadurch immer mehr Menschen ins Raster von Psychiatern und Psychologen geraten würden. Verständlicher Weise hätte die Pharmaindustrie ein Eigeninteresse an dieser Entwicklung, weil dadurch mehr Therapien, oft mit Unterstützung von Psychopharmaka, verordnet würden.

    Was sind also die Ursachen dafür, dass die Anzahl psychischer Erkrankungen statistisch stetig steigt? Werden wir aufgrund steigender Leistungsanforderungen im Beruf, Dauerstress und einer immer schnelllebiger werdenden Welt einfach häufiger psychisch krank? Verhilft die gesellschaftliche Entstigmatisierung uns offener über unsere seelischen Leiden zu sprechen und tauchen diese deswegen auch häufiger in der Krankenakte als Grund für Behandlungen und Fehltage auf? Sind wir Opfer von Wachstumsinteressen der Pharmaindustrie, der Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten usw.? Verändern die Anforderungen unserer Hochleistungsgesellschaft und deren immanenten Glaubenssätze über Funktionalität die Grenzen zwischen dem was menschlich normal, akzeptabel, gesund und dem was störend, untragbar und krank ist?

    Die vielleicht entscheidenden Fragen aus meiner Sicht lauten deshalb: Was heißt in diesem Zusammenhang gesund zu sein oder krank? Wie unterscheiden wir den Kranken vom Gesunden? Was ist normal und was nicht? Wer entscheidet dies, auf welcher Grundlage? Wann ist diese Unterscheidung hilfreich und für wen? Sind wir nicht alle im Laufe unseres Lebens von einer oder mehreren psychischen Krankheit/en betroffen? Ist es normal davon auszugehen, dass nur der Körper Leiden entwickelt, aber Geist und Seele ein Leben lang gesund bleiben? Und unter welchen Umständen sind anhaltende Lustlosigkeit, Traurigkeit, Angstzustände oder ähnliche Phänomene völlig normale menschliche Reaktionen?
    Das DSM ist eine berechtigte Errungenschaft um Willkür in der Diagnostik psychischer Krankheiten zu verhindern. Der Weisheit letzter Schluss ist es nicht!

  9. BERLIN taz 29.01.12| Es sollte der gelungene Abschluss einer großen Konferenz werden. Am Dienstag wollte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor rund 300 Gästen aus Politik, Wissenschaft und Arbeitswelt im Berliner EWerk eine gemeinsame Erklärung ihres Hauses und der Sozialpartner präsentieren. Tenor: Man nehme sich der wachsenden Bedeutung psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt an.

    Doch daraus wurde nichts. „Die Erklärung war bereits abgestimmt, aber die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hat sie in letzter Minute torpediert“, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gewerkschaft IG Metall.

    „Wir haben in vielen Punkten Einigkeit erzielt“, hielt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dagegen. Aber eine neue Rechtsverordnung, wie sie die Gewerkschaften forderten, „ist aus unserer Sicht weder sinnvoll noch notwendig“, sagte Hundt. Mit einer Verordnung wollen die Gewerkschaften erreichen, dass der nur allgemein im Arbeitsschutzgesetz verbriefte Anspruch der Beschäftigten auf den Erhalt ihrer Gesundheit konkret für psychische Belastungen ausbuchstabiert wird.

    Die Debatte erhielt am Dienstag Nahrung durch eine neue Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Sie hat für ihren „Stressreport“ rund 18.000 Erwerbstätige befragt. Jeder zweite leidet danach häufig unter starkem Termin- oder Zeitdruck.

    Mindestens vier von fünf Erwerbstätigen berichteten aber auch über ein gutes soziales Klima am Arbeitsplatz. Dies könne dazu beitragen, Herausforderungen besser zu bewältigen, so die Bundesanstalt. Sie betont, dass es seit der letzten Befragung 2005/06 kaum Veränderungen gibt. Von einer Entwarnung könne jedoch nicht gesprochen werden. Die Anforderungen an die Beschäftigten befänden sich zum Teil auf hohem Niveau.

    Hundt sagte in Berlin, dass Arbeit durchaus eine Ursache für psychische Erkrankungen sein könne, warnte aber vor „unnötigen Dramatisierungen“: „Berufstätigkeit schafft Selbstbestätigung und Anerkennung. Deshalb leiden Beschäftigte auch seltener an psychischen Erkrankungen als Nichtbeschäftigte.“

    Annelie Buntenbach verlangte für den Deutschen Gewerkschaftsbund konkrete Maßnahmen, denn: die Anforderungen in der Arbeitswelt seien gestiegen. Zumindest die Bundesarbeitsministerin war optimistisch, dass man noch zu einer gemeinsamen Erklärung komme.

  10. Danke, Christian Zottl, für die Annahme des Balls! Ich darf ihn gleich weiterspielen an die Masse der Angestellten, die unter Arbeitsstress immer mehr leiden. So meldet die taz über den PSYCHISCHEN GESUNDHEITSSCHUTZ:

    Depressionen und andere psychische Erkrankungen haben nach einer Analyse der Krankenkasse DAK-Gesundheit auch 2012 zugenommen. Dies werde für die Arbeitswelt „zunehmend zum Problem“, heißt es in einer Mitteilung vom Montag. Psychische Erkrankungen nahmen danach um vier Prozent zu und rückten erstmals auf Platz zwei aller Krankschreibungen.

    Der Anteil psychischer Erkrankungen am Krankenstand steigt seit Jahren kontinuierlich. Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen dauern laut DAK-Gesundheit im Durchschnitt 33 Tage. Erst am Wochenende war bekannt geworden, dass die Krankheitstage aufgrund von Burn-Out-Syndrom innerhalb von acht Jahren bis Ende 2011 um das 18-fache gestiegen waren.

    An diesem Dienstag will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz erstmals mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam angehen. Geplant war auch, eine gemeinsame Erklärung zur Verbesserung des psychischen Gesundheitsschutzes im Betrieb zu unterzeichnen. Dazu wird es aber nicht kommen, weil man sich nach Arbeitgeberangaben nicht abschließend einigen konnte.

    Parallel dazu schreibt die Zeit:

    Demnach sind zunächst einmal 43 Prozent der Befragten davon überzeugt, dass ihr Arbeitsstress in den vergangenen zwei Jahren zugenommen hat. 19 Prozent fühlen sich überfordert und rund jeder zweite Arbeitnehmer (52 Prozent) arbeitet nach eigenen Angaben unter starkem Termin- und Leistungsdruck.

    Knapp 60 Prozent der Befragten gaben an, verschiedene Aufgaben gleichzeitig betreuen zu müssen. Fast jeder Zweite (44 Prozent) wird demnach bei der Arbeit durch Störungen wie Telefonate und E-Mails unterbrochen. Weil für 47 Prozent der Beschäftigten Ruhepausen nicht in den Arbeitsablauf passen oder sie nach eigenem Bekunden zu viel Arbeit haben (38 Prozent), lässt jeder Vierte (26 Prozent) die Pause ausfallen.

    Insgesamt 64 Prozent der Beschäftigten arbeiten dem Report zufolge auch am Samstag, 38 Prozent an Sonn- und Feiertagen. Fast die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten arbeitet mehr als 40 Stunden pro Woche, rund ein Sechstel sogar mehr als 48 Stunden. Dies führt dazu, dass 40 Prozent der Befragten arbeitsbedingt nur selten oder nie Rücksicht auf familiäre oder private Interessen nehmen können.

    Die Arbeitsbelastung führt zudem auch immer öfter zu Krankheiten. Klagten 2006 noch 43 Prozent über Rückenschmerzen waren es im vergangenen Jahr bereits 47 Prozent. Während 2006 nur 30 Prozent unter stressbedingten Kopfschmerzen litten, waren es 2012 bereits 35 Prozent. Die Anzahl der von nächtlichen Schlafstörungen geplagten Arbeitnehmern stieg von 20 auf 27 Prozent.

    Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen appellierte an die Verantwortung der Unternehmen. „Stress bei der Arbeit kann vorkommen, aber nicht dauerhaft. Und er darf auch nicht krank machen“, sagte die CDU-Politikerin der Bild-Zeitung und kündigte Konsequenzen an. „Ich will dem chronischen Stress den Kampf ansagen und erwarte, dass die Betriebe mitziehen.

    @ CHRISTIAN, ANGSTSELBSTHILFEN, GEWERKSCHAFTEN, ZIVILGESELLSCHAFTLICHE AKTEURE: SOLLTEN WIR IM WAHLJAHR NICHT DAFÜR SORGEN, DASS DIE STIMMEN DER STRESS-FORSCHER NICHT LÄNGER UNTERGEHEN UND POLITIK UND ARBEITSWELT SIE ENDLICH BERÜCKSICHTIGEN?

  11. Der Titel „Doping gegen Angst“ ist zwar etwas irreführend – wir dachten erst, es ginge wirklich um irgendwelche Drogen, Aufputsch- bzw. in dem Fall besser: Beruhigungsmittel.

    Gemeint ist aber wohl ein Doping durch Arbeit und Geldverdienen, das heutzutage als das Mittel gegen die Angst, das eigene Glück zu verfehlen, allgemein verbreitet ist. Man versucht, die Angst durch Konsum zu betäuben. Es ist klar, dass in einer solchen gesellschaftlichen Athmosphäre Angststörungen eine guten Nährboden finden. Angststörungen sind heute aktueller denn je und trotz aller Fortschritte in Medizin und Psychtherapie nach wie vor ein großes Problem. Eine radikale Änderung des Lebensstils zu fordern, ist zwar leicht, aber aus Sicht des Einzelnen schwer zu verwirklichen. So bleibt den Betroffenen nichts anderes übrig, als die eigene persönliche Angst in den Griff zu bekommen. So wie Charlie Beljahn trotz Panikattacke auf den Golfplatz zurückkehrte, ein aus therapeutischer Sicht ja durchaus richtiges Verhalten. Denn Vermeiden ist auch keine Lösung, predigen uns die Therapeuten, es führt u.U. nur zum Teufelskreis der „Angst vor der Angst“.

  12. In letzter Zeit ist häufiger von Arbeitsbedingungen und einem damit verwobenen Lifestyle in westlichen Industrienationen zu hören und zu lesen die deren Bewohner unter Dauerstress setzen und letztlich damit krank machen. Diesem westlichen Menschen wurden in den vergangen Jahrhunderten seine Glaubenssätze, seine Gewissheiten genommen und er lebt nun in einer „entzauberten Welt“. Diese umfassende Verunsicherung wird flankiert durch Errungenschaften des technologischen Fortschritts, beispielsweise im Bereich der Kommunikation, Information und des Transportwesens sowie durch die Verschärfung des globalen Wettbewerbs und globaler Bedrohungen (z.B. Klimawandel, Finanzmarktkrisen usw.). Alles geht hier Hand in Hand. Kausalitäten sind jedoch komplex, ambivalent und umstritten. Selbst im politischen Weltgeschehen wurde, durch das Ende des kalten Krieges, eine Ära der unklaren Verhältnisse ausgelöst. Das Individuum wird in ein Hamsterrad aus schnelllebiger werdenden Lebensbedingungen gesetzt und strampelt nun zunehmend schneller gegen all diese Ungewissheit an. Je schneller er tritt, desto schneller läuft das Rad. Von Entschleunigung als Gegengift ist dann gern die Rede.
    Diese recht verbreitete Diagnose enthält jedoch verkürzte Grundannahmen:
    Erstens stellt sich die Frage, ob es diese „westlichen Industrienationen“ überhaupt noch so gibt. In vielen dieser Länder spielt die klassische Industrie eine geringer werdende Rolle. Sogenannte frühere Schwellenländer, haben, hauptsächlich aufgrund geringerer Lohn- bzw. Standortkosten, seit Jahrzehnten im industriellen Bereich vieles abgenommen. Dienstleistungsgesellschaften, Wissens- und Innovationgesellschaften gewinnen weltweit an marktstrategischer Bedeutung. Das globale Rennen um Arbeit und Wohlstand wird international, vorherrschend vom wirtschaftlichen Wachstum abhängig gemacht. Somit sind von der Beschleunigung nicht nur „westliche Industrienationen“ betroffen, sondern alle die etwas vom Kuchen abhaben wollen.
    Zweitens werden in der Diagnose viele dieser Rahmenbedingungen oftmals so unverrückbar beschrieben wie Naturgesetze, denen der Mensch ausgeliefert zu sein scheint und selbst daran verrückt werden muss. Für sein individuelles Heil könne er sich jedoch durch Entschleunigung auf der Wellnessfarm ohne W-Lan, in einer Meditationsgruppe oder auf der abgelegenen Berghütte mit Vollpension Ausgleich schaffen. Natürlich nur wer es sich leisten kann und vorher entsprechend im Hamsterrad getreten hat. Die Standardbehandlung um den Menschen arbeitsfähig zu halten entspricht da schon eher dem Doping das Wolfang Goede in die Diskussion wirft.
    Wolfgang Goede legt den Finger in die Wunde, wenn er den Bezug herstellt, dass das Hamsterrad mit unserer individuellen Suche nach Glück verbunden ist. Wir sind es, die es erschaffen, die es betreiben und die es am Laufen halten. Selbst das berechtigte Bedürfnis nach Entschleunigung, kurbelt als nicht induzierte Nebenwirkung das Rad weiter an. Es bedarf tatsächlich einer „radikalen Veränderung des Lebensstils.“ Dass Angsterkrankungen zu einer Volkskrankheit geworden sind, könnte als gesunder Hinweis darauf verstanden werden, dass wir mehrheitlich versäumen, diese Veränderungen in Angriff zu nehmen.

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